Seit über 25 Jahren wollte ich mich für einen Freiwilligendienst bewerben. Vor etwas mehr als einem Jahr stieß ich auf "EIRENE Internationaler Christlicher Friedensdienst", der Freiwilligendienste nicht nur für junge Menschen organisiert, sondern auch für Menschen mit langjähriger Berufserfahrung in Form eines Sabbatjahres.
Die Corona-Pandemie hatte bei mir voll zugeschlagen. Durch die Insolvenz meines Arbeitgebers wurde ich arbeitslos. Der lang ersehnte Herzenswunsch schien in greifbarer Nähe. Da ich gelernte Bekleidungsschneiderin und diplomierte Bekleidungsingenieurin bin, bewarb ich mich für die Einsatzstelle "St. Francis Family Helper Programme", die unter anderem eine Berufsschule für angehende Schneider*innen unterhält. Die meist 18- bis 23-jährigen jungen Menschen können nach zweijähriger Lehrzeit entweder für eine der vielen Schneidereien am Ort arbeiten oder sogar eine eigene Schneiderstube eröffnen.
Kurz vor Weihnachten 2020 bekam ich die Zusage von EIRENE. Seit September 2021 lebe ich in Mbarara. In Uganda ist Englisch die Staatssprache, darüber hinaus gibt es circa 40 verschiedene Sprachen. In den ersten vier Wochen habe ich das lokale "Runyankore" gelernt, was nicht im Entferntesten irgendeiner mir bekannten europäischen Sprache ähnelt. Schon mit einfachen Redewendungen wie "guten Morgen" und "vielen Dank" zeigt man Respekt und bekommt ein warmes und unbezahlbares Lächeln zurück. Am Ende der zweiten Woche konnte ich sogar schon kurze Sätze bilden. Mein Sprachlehrer hat mir auch viele mir bis dahin fremd erschienene Verhaltensweisen erklärt.
Meine Entscheidung für einen Freiwilligendienst bei St. Francis war gut. Der Ort, auch der Zeitpunkt scheinen ein Volltreffer zu sein. Die Schneiderschule soll von einer zweijährigen auf eine dreijährige Ausbildung ausgeweitet werden und langfristig einen Diplomabschluss ermöglichen. Mit meiner über 30-jährigen Berufserfahrung kann ich mich sehr gut bei der Erstellung des neuen Lehrplans und der Anfertigung von Musterteilen einbringen.
Für eine über 50-Jährige ist ein Freiwilligendienst sicherlich ungewöhnlich. Die Mitfreiwillige, meine Mitbewohnerin im Guesthouse der Einsatzstelle, könnte meine Tochter sein. Klar, in 30 Jahren Berufserfahrung habe ich vieles erlebt und erlernt, und ich kann auch sicherlich meinen Teil zum Weiterkommen der Schule beitragen. Aber es gibt auch für mich noch vieles dazuzulernen. Zum Beispiel bei Stromausfall mit einer manuellen Nähmaschine zu nähen; die Geräte werden heute noch in Indien hergestellt.
Auch staune ich, wie anders Lehrerinnen und Lehrer in Uganda sind, wie viel Disziplin sie von ihren Internatsschülern verlangen müssen, wie sie zu Sauberkeit und Ordnung erziehen, ihre Zöglinge anhalten, Schlafräume und Toiletten zu putzen, bestimmte Essgewohnheiten einzuhalten und regelmäßig im Garten zu arbeiten. Anders als in Deutschland sehen die Schülerinnen und Schüler in Uganda im Lehrpersonal immer absolute Respektspersonen. Das wird mir besonders an dem recht harschen Ton der Lehrer bewusst.