Im Bürgerkriegsgebiet der südlichen Philippinen schützt ein Netzwerk von Bauern, Geistlichen und Politikern Zivilisten vor Tod und Vertreibung. Dazu brauchen sie kaum mehr als ein paar Handys. Und eine schier überirdische Zähigkeit Text Tilman Wörtz Fotos Paul Hahn/laif
07.10.2010

Pater Bert ist ein toleranter Mensch. Er lässt sogar sein weißes Hündchen mit dem Namen "Frieden" Frösche quälen. Das ist Friedens Lieblingsbeschäftigung. Hüpft ein Frosch über die Terrasse des "Konvents der Unbefleckten Empfängnis", macht Frieden einen Satz und apportiert den Frosch dorthin, wo er losgehüpft ist. Das macht Frieden so lange, bis der Frosch gar nicht mehr richtig hüpfen will.

"Es ist nun mal ein Hund", sagt Bert Layson dann und lacht. Sein Lachen passt gut zu Badelatschen, Boxershorts und randloser Brille. 45 Jahre ist er alt, wirkt aber jünger und manchmal fast schüchtern. Seine Toleranz erstreckt sich auch auf Religiöses. In einem Eck seines Zimmerchens lehnt ein eingerollter Gebetsteppich ­ für die muslimischen Mitarbeiter seines Konvents. "Ihre Religion schreibt fünf Gebete pro Tag vor", sagt Pater Bert und lächelt: "Es sind nun mal Muslime."

Dann steigt er in seinen blauen Geländewagen und erfüllt seine Mission.

Pater Berts Lächeln kann sehr plötzlich verschwinden. An diesem Tag reichen drei SMS-Zeilen, und seine Mundwinkel verziehen sich nach unten. Er drückt seine Brille auf die Nasenwurzel und zieht die Augenbrauen zusammen. Die Nachricht auf dem Handydisplay besagt: "Bombardierung im Sumpf von Liguasan, einige Tote, auch Flüchtlinge." Bomben auf Zivilisten bedrohen das, was auf den Philippinen eine "Friedenszone" genannt wird. Das sind Gemeinden, denen sowohl die Regierungssoldaten als auch die Rebellen garantiert haben, sie nie wieder zu Schlachtfeldern zu machen. Wenn die Friedenszonen bedroht sind, sagt Pater Bert nicht: "Es sind nun mal Militärs." Dann steigt er in seinen blauen Geländewagen, Modell Samurai, und erfüllt seine Mission.

Die SMS stammt von einem der 60 Bauern, die Pater Bert für den Notfall mit Handys ausgerüstet hat. Sie simsen aus ihren Dörfern im Zentrum der Insel Mindanao, wenn mal wieder der Waffenstillstand gebrochen wurde. Entweder von den Regierungstruppen oder von der Guerillatruppe "Islamische Moro-Befreiungsfront", kurz: MILF. Pater Bert wartet nicht auf die offiziellen Erklärungen. Er bringt sofort jene Waffe zum Einsatz, von der er glaubt, sie sei die stärkste überhaupt: das Wort.

Binnen Minuten hat er die SMS weitergeleitet: an das "Netzwerk Frieden", in dem rund 400 Organisationen verbunden sind, an Teresita Quinto-Deles, eine prominente Beraterin der philippinischen Präsidentin ­ und an seine fünfköpfige Waffenstillstandswacht. Die streift im Minivan durch Dörfer und Reisfelder, um verlässliche Informationen über das Kampfgeschehen zu sammeln. "Fahrt nach Liguasan und schaut nach, was passiert ist!", simst Bert. Dann macht er sich auf in die Friedenszone. Vielleicht kann er seine Späher dort am Nachmittag treffen.

Der Geländewagen rollt durch idyllische Reisfelder, deren Ähren wie ein grüner, vom Wind bewegter Seidenschleier wirken. "Dort gab es einen Hinterhalt, zwei Tote", kommentiert Bert vor einer Biegung. "Und da hat eine Bombe eingeschlagen, hundert Kilo, dem Krater nach zu urteilen." Pater Bert kennt sich aus in dieser Gegend ­ und mit den Bomben, die hier explodierten. Denn hier begann die Geschichte jener Friedenszone, die inzwischen zu einem weltweit beachteten Erfolg geworden ist und die Pater Bert und seine Mitstreiter zäh verteidigen.

Damals, vor vier Jahren, besetzten die Rebellen eine Brücke, um der Armee die Nachschublinie abzuschneiden. Die Einwohner des nahe gelegenen Dorfes Nalapaán blieben zwischen den Fronten stecken. Pater Bert durchbrach die Linien, stritt sich mit einem Offizier, der ihn daran hindern wollte, verhandelte mit den Rebellen und der Armee. Wenige Stunden nachdem die Zivilisten schließlich in seinen Konvent flüchten konnten, schlugen die ersten 105-Millimeter-Granaten in Nalapaán ein.

80 Kinder starben. Oder waren es 120? Pater Bert hörte auf zu zählen.

Damals verwandelte sich Pater Berts geistliches Zentrum binnen Stunden in ein Flüchtlingslager. Die Masern brachen aus. 80 Kinder starben. Oder waren es 120? Pater Bert hörte auf zu zählen. Aber er beschloss, auf eigene Faust etwas zu ändern. Die üblichen Beteuerungen der Rebellen und der Armee interessierten ihn nicht mehr. "Wir wollen die Bevölkerung nur schützen", behaupteten beide Seiten, wenn sie in die Dörfer einmarschierten. "Dann lasst sie doch einfach in Ruhe!", forderte Bert. Zumindest für das Dorf Nalapaán erwirkte er schließlich eine Sicherheitsgarantie von beiden Seiten. Mehr war zunächst nicht drin.

"Beginn der Friedenszone" steht auf einem Schild am Rande der Landstraße. Nalapaán hat keinen bewaffneten Schutz und unterscheidet sich äußerlich kaum von jedem anderen Dorf auf Mindanao: Verstreut zwischen Bananenstauden und Kokospalmen stehen hölzerne Stelzhütten ohne Strom und fließend Wasser. Nichts lässt erkennen, ob eine Hütte Christen oder Muslimen gehört. Das Besondere offenbart sich im Detail: christliche und muslimische Kinder spielen gemeinsam auf einem neuen Basketballplatz. Ihre Eltern helfen sich auf den Feldern. Für zwölf geerntete Säcke gibt's einen als Lohn für den Helfer.

"Nicht Christen und Muslime bekämpfen sich, sondern Regierung und Rebellen."

Nalapaán wurde während der Gefechte 2001 und 2003 nicht wieder zerstört wie in den Jahren zuvor. Rebellen und Armee kämpften weiter westlich. Wegen des kleinen Friedens trauten sich Hilfsorganisationen ins Dorf, brachten Ziegen, Saatgut, Pflüge, verlegten Wasserrohre, bauten Straßen und Häuser. Pater Bert und seine Mitarbeiter hielten Friedensseminare ab mit der Kernbotschaft: "Nicht Christen und Muslime bekämpfen sich, sondern Regierung und Rebellen."

Solche Sätze sagt Pater Bert mit großer Klarheit. Er spricht als einer, der die Spirale des Hasses am eigenen Leib erfahren hat. Bert wuchs in einem christlich-muslimischen Dorf auf. Sein bester Freund hieß Quezon, ein Muslim. Schon als Sechsjährige arbeiteten sie jeden Morgen vor der Schule gemeinsam auf einer Zuckerrohrplantage. Als christliche Milizionäre wieder einmal ins Dorf einfielen (siehe Infokasten Seite 52), harrte Bert mit seinen Eltern in einem Erdloch bis zum nächsten Morgen aus. Quezon flüchtete mit seiner Familie. Sie haben sich nie wieder gesehen.

Der Krieg aber ging weiter ­ und raubte Bert Jahre später einen zweiten Weggefährten. Als junger Pfarrer arbeitete er sieben Jahre lang eng mit einem Bischof zusammen, der sich besonders um den interreligiösen Dialog bemühte. Bis dieser von Islamisten erschossen wurde. Bert spürte Hass, nicht nur gegen die Attentäter, sondern gegen alle Muslime. Erst das Elend der Bürgerkriegsflüchtlinge ließ ihn jeden religiösen Vorbehalt vergessen. Seitdem wirkt er als Vermittler zwischen den Fronten.

Unter einem Palmdach auf Stelzen sitzen sieben ehrwürdige Herren um einen langen Holztisch, Christen und Muslime. Die Erfolge der Friedenszone in Nalapaán haben sich herumgesprochen. Die Dorfchefs aus sechs Nachbargemeinden beraten über die Ausweitung der Friedenszone auf ihre Dörfer. Inzwischen geht es nur noch darum: Wie soll dieser bedeutende Schritt zelebriert werden? Klar, am Anfang wird gebetet, alle gemeinsam, aber dann? "Wo ist eigentlich Pater Bert?", fragt einer. Doch der ist absichtlich nicht zur Ratsversammlung gekommen: "Ihr erklärt euren Leuten die Friedenszone, nicht ich", sagt er immer, wenn die Dorfchefs ihrem eigenen Mut nicht trauen wollen.

Der stämmige Tiborcio Flores mit den runden Brillengläsern ist der Älteste der Runde. "Wir müssen auch einen Repräsentanten des militärischen Arms der Rebellen dabeihaben", sagt er, "nur der kann glaubhaft zusichern, dass die MILF nicht in die Friedenszone eindringt." Flores weiß, wie Rebellen ticken. Er hat sie ein Soldatenleben lang bekämpft. 21 Kugeln haben sich in seinen Körper gebohrt. Eine steckt noch, zwischen Schienbein und Wadenmuskeln. Flores war ein gehorsamer Soldat ­ wie seine zwei älteren Brüder. Die wurden bei Kämpfen getötet.

"Mit Muslimen verhandeln? Das sind Rebellen, Mörder ohne Grund!"

In einer seiner ersten Amtshandlungen als Dorfchef erklärte er Pater Bert für verrückt. "Mit Muslimen verhandeln? Das sind Rebellen, Mörder ohne Grund!" Doch die Worte des Paters weckten in ihm den Zweifel. Stimmte es nicht, dass ein Offizier nur dann General werden konnte, wenn er beim Einsatz auf Mindanao Orden und Sterne erwarb? Wurden viele Gefechte etwa allein deshalb angezettelt? Und: Hätte er sich an Stelle der Muslime nicht verteidigt? Heute sagt er: "Im Krieg gibt es keinen Feind außer dem Krieg selbst. Wir alle sind Opfer. Das muss in die Festrede." Der Satz stammt von Pater Bert. Aber das weiß keiner mehr.

Der Urheber vertreibt sich die Zeit am Basketballplatz. Muslime und Christen spielen in gemischten Dorfteams, auch das ist erst seit kurzem möglich. Endlich trifft der Kleinbus mit der Waffenstillstandswacht ein. Allerdings haben die fünf Männer nichts zu den Bomben im Sumpf herausgekriegt. Auf halbem Weg erhielten sie Nachricht, dass sich Rebellen und Armee in einer Ortschaft vierzig Kilometer entfernt auf dem Marktplatz gegenüberstanden, und eilten lieber dorthin. Es waren schon Panzer aufgefahren, ein Hubschrauber zog seine Kreise, ein Soldat lag tot am Boden. "Aber wir konnten eine Eskalation verhindern", triumphiert Baba Butz, der Leiter der Wacht.

Wie viele Konflikte in der Region begann auch dieses Scharmützel als Blutfehde zwischen einer christlichen und einer muslimischen Familie. Beide Seiten nutzten familiäre Beziehungen zu Armee und Rebellen ­ und die kamen dem Ruf nach Verstärkung bereitwillig nach. Genau genommen hat dann nicht Baba Butz die Kämpfer zurückgepfiffen, sondern ein Komitee, das mit Vertretern der Armee und der Rebellen besetzt ist. Aber egal, Baba Butz stand daneben: "Ohne unsere Anwesenheit als neutrale Partei würde das Komitee seine Arbeit nicht ernst nehmen", sagt der 54-Jährige, ein herzlicher Mensch mit großen, weichen Augen. Erst wenn ihn niemand beobachtet, fallen seine Mundwinkel nach unten, die Lippen werden dünn, der Blick starr. Jahrelang war er Kommandeur eines 1300 Mann starken Rebellentrupps, das hat Spuren hinterlassen.

Ursprünglich war Baba Butz Bauer. Als christliche Paramilitärs die Moschee in seinem Dorf abfackelten und sein Onkel dabei ums Leben kam, schloss er sich den Rebellen an. Erst viel später lernte er Pater Bert beim Wiederaufbau seines Dorfes kennen. Baba Butz konnte kaum glauben, dass der Geistliche Muslimen und Christen ohne Unterschied half. "Er hat dieses grundsätzlich Gute in sich", sagt Baba Butz. Auch das ein Satz von Pater Bert. Vielleicht sein wichtigster, denn er sagt ihn über alle Menschen dieser Welt. Vielleicht werden ihn eines Tages auch die Verwandten von Baba Butz verstehen, die ihn wegen seiner Arbeit in der Waffenstillstandswacht als Kollaborateur beschimpfen.

Pater Bert ist unruhig und schaut weiter mit zusammengezogenen Brauen drein. Er weiß immer noch nicht genau, was es mit der Bombardierung im Liguasan-Sumpf auf sich hat. Morgen werden seine Späher noch einmal losfahren. Bert kehrt in seinen Konvent zurück.

Wird Pater Berts Konvent sich abermals mit Flüchtlingen füllen?

Am nächsten Morgen steht in der Zeitung: "Kidnapper-Bande bombardiert, 17 Tote." Die Gangster sollen Geiseln in den Sümpfen versteckt haben: chinesische Ingenieure, einen italienischen Priester, Geschäftsleute aus Manila. Was aber niemand genau weiß: Gehört die Kidnapperbande nun zu den Rebellen oder nicht? Werden die Rebellen also zurückschlagen? Wird Pater Berts Konvent sich abermals mit Flüchtlingen füllen?

Wieder wird es Nachmittag, bis die Waffenstillstandswacht Bericht erstatten kann. Sie hat es tatsächlich geschafft, gemeinsam mit dem offiziellen Komitee in das Sumpfgebiet vorzudringen. In einem Fischerdorf hat Baba Butz herausgekriegt, dass nicht nur 44 Menschen, wie die Armee behauptete, sondern weit über 300 von den Bomben aus ihren Häusern vertrieben wurden. Warum? Die Antwort fand sich erst nach einer einstündigen Kanu-Expedition: Die Friedenswächter untersuchten eine Stelzhütte, das Versteck der Kidnapper, durchsiebt von Granatsplittern und Gewehrkugeln. Offenbar wurde der Anführer mit sechs Komplizen auf der Flucht erschossen.

"Kehrt in eure Häuser zurück, der Angriff ist vorüber!", hat man den aufgebrachten Dorfbewohnern gesagt. Doch Baba Butz ist sich da nicht so sicher. "Das haben wir vor einem Jahr schon mal gehört." Auch Pater Bert bleibt skeptisch. Grund genug, nach Fort Pikit zu fahren.

Die spanische Festung aus der Kolonialzeit dominiert schon rein optisch die Umgegend. Der Kommandeur, Oberst Dolorfino, sitzt im Baseballoutfit unter der philippinischen Flagge. Pater Bert senkt den Kopf und schaut Dolorfino über die randlosen Brillengläser an. Sein Blick heißt: "Sagen Sie schon, wie war's wirklich?" Doch auch der örtliche Befehlshaber der Regierungstruppen bestätigt: "Der Angriff richtete sich nicht gegen die Rebellen, sondern gegen die Kidnapper."

Neben dem Oberst prangt ein Bild der Kaaba von Mekka und gleich hinter seinem Hauptquartier hat er aus Bambusrohr eine kleine Moschee bauen lassen. Über große Lautsprecher ruft ein Muezzin fünf Mal am Tag zum Gebet. Die Leute sollen verstehen, dass im Militär auch Muslime ihren Dienst tun. Dolorfino ist kein gewöhnlicher Offizier. Für Pater Bert ist er der lebende Beweis für "das grundsätzlich Gute" im Menschen.

Der Weg ist die Friedenszone

Die beiden streiten sich nach wie vor viel und gern. Wenn der Oberst sagt: "Eine Friedenszone, in die das Militär nicht bewaffnet reindarf, akzeptiere ich nicht", kann Bert ihm zwar nicht die Waffen wegnehmen. Aber er kann ihn vor den Folgen für die Zivilisten warnen, mit ihm lange über Gott und die Welt reden und ihm so "einen Weg zeigen, Gutes zu tun". Der Weg ist die Friedenszone. Er glaubt, dass der Oberst ihn betreten hat.

Dolorfino malt eine Karte auf ein Blatt Papier, mit Pfeilen, die das Vorrücken seiner Einheit ins Sumpfgebiet darstellen. So wurden die Kidnapper angegriffen und vertrieben. Mehr war da nicht. Er legt die Skizze weg und lächelt verlegen: "Diesmal hat uns die MILF sogar den Standort der Kidnapper durchgegeben." Die Rebellen kooperieren derzeit mit der Armee, um ihre Chancen für Friedensverhandlungen zu verbessern. Jetzt findet auch Pater Bert sein tolerantes Lächeln wieder.

Gegen fünf Uhr abends füllt sich der Konvent mit Leben. Baba Butz geht in Pater Berts Zimmer, rollt den Teppich aus und betet. Auf der Terrasse quält Frieden Frösche. Pater Bert bekommt eine SMS von der Präsidentenberaterin Teresita Quinto-Deles: "Glückwunsch für den Einsatz der Waffenstillstandswacht!"