Die (katholische) Deutsche Bischofskonferenz (DBK) möchte Betroffene von sexualisierter Gewalt deutlich besser entschädigen als bisher. Entweder sollen alle pauschal 300.000 Euro bekommen oder je nach Schwere des Falls gestaffelt zwischen 40.000 und 400.000 Euro. Kerstin Claus ist Mitglied im Betroffenenrat des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung (UBSKM) und hat die Erarbeitung des Modells der DBK begleitet.
chrismon: Wünschen Sie sich eines der beiden Modelle auch für die evangelische Kirche?
Kerstin Claus: Der Vorstoß der Bischofskonferenz ist ein wichtiger Schritt, weil damit zum ersten Mal eine Institution anerkennt und Verantwortung dafür übernimmt, dass Kinder, die sexualisierte Gewalt erfahren, oft ein Leben lang leiden. Auch die evangelische Kirche trägt eine Mitverantwortung dafür, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Kindern und Jugendlichen so etwas antun konnten. Deshalb sollte auch sie die lebenslangen Folgen mit angemessenen Schmerzensgeldzahlungen anerkennen.
Kerstin Claus
Claudia Keller
Die evangelische Kirche argumentiert, man könne individuellem Leid nicht durch Pauschalbeträge gerecht werden. Wie sehen Sie das?
Bisher müssen Betroffene in der evangelischen Kirche nachweisen, welche Hilfen sie jetzt gerade brauchen, und die Kirche entscheidet dann, in welcher Höhe diese bezahlt werden. Das heißt, Betroffene müssen sich teils komplexen Verhandlungen aussetzen. Dies überfordert gerade oft diejenigen, die besonders mit den Folgen der Tat zu kämpfen haben. Eine pauschale Schmerzensgeldzahlung würde ihnen das ersparen und wäre ein wichtiges gesellschaftliches Signal. Davon könnten auch Betroffene aus anderen Kontexten wie dem Sport oder der Familie langfristig profitieren, zum Beispiel über Änderungen im staatlichen Opferentschädigungsgesetz.
Aber ohne Prüfung der Fälle wird es nicht gehen. Die Bischofskonferenz will dafür eine zentrale außerkirchliche Kommission einsetzen.
Natürlich muss überprüft werden, ob plausibel ist, was jemand berichtet. Aber Betroffene sollten nicht im Detail belegen müssen, wie sehr sie unter den Folgen leiden. Ich würde mich freuen, wenn die evangelische Kirche die Überprüfung einer externen Kommission überlassen würde. Bisher machen das die Landeskirchen und handhaben es unterschiedlich. Betroffene können schwer abschätzen, was auf sie zukommt.
Zur EKD-Synode sind Betroffene eingeladen
"Nicht wenige" Betroffene würden Entschädigungszahlungen ablehnen, argumentiert die evangelische Kirche. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Manchen ist es sehr wichtig, sich mit der Kirche zu versöhnen, etwa in Form eines Gottesdienstes. Sie scheuen sich dann, von dieser Institution gleichzeitig hohe Geldsummen zu fordern. Umso wichtiger wäre es, dass die Kirche den Menschen von vornherein signalisiert, dass sie die Zahlung von Schmerzensgeld für richtig und notwendig hält.
Vom 10. bis 13. November tagt die EKD-Synode in Dresden und will sich dort auch mit dem Thema sexualisierte Gewalt beschäftigen. Kommen Sie zur Tagung nach Dresden?
Ja, ich und weitere Betroffene wurden eingeladen und teilweise in die Vorbereitung eingebunden. Die Kirche hat offenbar erkannt, dass Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch nur gemeinsam mit Betroffenen geht.