"Ich bin wie eine Schnecke"
Er habe nie darüber nachgedacht, was Heimat für ihn sei, sagt Ayman Hamadeh, bis eine Deutschlehrerin ihn danach fragte. Heimat sei für ihn "das Geräusch der Schaufel seines Vaters, wenn er frühmorgens auf dem Feld arbeitet", habe er geantwortet. Heimat seien "Stimmen, Gerüche und Erinnerungen". Ihm wurde klar, dass er von seiner Heimat weit weg war. "Labyrinth der Heimat" heißt Aymans erster Film in Deutschland, seit 2013 lebt er hier. Im Film vergleicht er sich mit einer Schnecke, die mit ihrem Zuhause überall durch die Welt zieht. Er lässt Menschen von ihrer Heimat erzählen. Vor allem Flüchtlinge müssen mit den Tränen kämpfen. Andere lachen. Manche stimmen ein Lied an, wieder andere verfallen in Schweigen. Ob Heimat ein Smartphone sei, hat eine deutsche Zuschauerin nach einer Filmvorführung gefragt. "Vielleicht", antwortete Ayman. "Weil das Smartphone uns mit Freunden und Verwandten zusammenbringt." Ayman lernte bis 2008 Filmregie an der Staatlichen Universität für Filmkunst und Fernsehen in Sankt Petersburg, Russland. Danach arbeitete er für eine Filminitiative in Damaskus. Seit 2015 hat er eine Produktionsfirma in Berlin.
"Ganz zufällig hier zu Hause"
"Heimat kann auch bloß ein geografisches Versehen sein", sagt Mohammed Abu Hadjar, ein Rapper. "Ich hätte am anderen Ende der Welt sein können. Die Heimat des anderen wäre dann meine – und er wäre bei mir daheim." Abu Hadjar hat Politische Ökonomie in Mailand, Italien, studiert. Er lebt seit drei Jahren in Berlin und arbeitet an seiner Doktorarbeit.
"Mehr als eine ungestillte Sehnsucht"
Den Großteil ihres Lebens hatte die palästinensische Schriftstellerin Nimat Khaled in Flüchtlingslagern verbracht. Die Eltern waren 1948 aus Palästina vertrieben worden, sie wuchs in Syrien auf. In ihrem Roman und ihren Kurzgeschichten zeichnete sie ein Bild mit Zitronen- und Olivenhainen. Doch dieser Traum verblasste. Heimat wurde mehr: ein Ort, an dem man Nimats Würde achtet, wo sie ein anständiges Leben führen kann. "Heimat ist nicht dort, wo ich mein Leben lang dem täglichen Brot nachrennen muss und es doch nicht bekomme." Heimat ist ein Leben in Freiheit, unbeobachtet vom Staat. Auch von den Leuten, die immer nur auf Traditionen achten. Jedes Land, wo auch immer die Familie, die Freunde und die geliebten Menschen leben, kann ihre Heimat sein.
"Liebe deine Heimat"
"Der Islam achtet die Heimat und ermutigt uns, sie zu lieben", sagt Abdallah Ben Said Ben Hudjeir. "Wir sollen auch aktiv am Leben in der Heimat, in der wir uns befinden, teilhaben und an ihrem Aufbau partizipieren." Auch Mohammed musste seine Heimat Mekka verlassen und arbeitete dann in Medina. Er hat aber Mekka weiterhin geliebt, obwohl man ihn von dort vertrieben hatte.
Abdallah stammt ursprünglich aus Palästina. Seit 40 Jahren lebt er in Deutschland und hat vieles studiert: Ingenieurwissenschaften, Islamwissenschaften, Arabistik, Pädagogik und Soziologie. Nun leitet er das Zentrum Dar al-Hikma (Haus der Weisheit) in Berlin.
Betrachtet er Deutschland als seine Heimat? "Es ist meine zweite Heimat", sagt er. "Ich habe den größeren Teil meines Lebens hier verbracht. Generationen von Arabern und Muslimen sind hier aufgewachsen. Sie gehören zu diesem Land und betrachten es als ihre Heimat."
chrismon-spezial: Ankommen!
Viele Menschen suchen in Deutschland Schutz vor Krieg und Verfolgung – und eine Perspektive für ihr Leben. In unserem zweiten chrismon spezial für Geflüchtete erzählen Reporter aus dem arabischen und persischen Sprachraum Geschichten übers Ankommen. Die Evangelische Journalistenschule in Berlin hat die Reporter betreut. Das Magazin erscheint zweisprachig, auf Arabisch/Deutsch und Persisch/Deutsch. Die Hefte werden Anfang März Gemeinden und Flüchtlingshelfern kostenlos zur Verfügung gestellt. Bestellungen ab zehn Heften nehmen wir gern entgegen: fluechtlingsheft@chrismon.de