Vogelbeobachtungs-Geschichten
Vogelbeobachtungs-Geschichten
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Und wer, bitte, sind Sie?
Auch Menschen, die sich nie für Vögel interessierten, hören ihnen plötzlich zu. Und sind beeindruckt. Der ruhige Corona-Sommer macht es möglich. Eindrücke der chrismon-Redaktion.
Tim Wegner
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Tim Wegner
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
Portrait Anne Buhrfeind, chrismon stellvertretende ChefredakteurinLena Uphoff
Tim Wegner
21.07.2020

Immer nur Spatzen? Ha, ein Buchfink!

Endlich. Ein Buchfink. Mal was anderes, ich dachte schon, mein Habitat im Frankfurter Nordend bestehe nur aus Amseln und Sperlingen. Nicht dass ich bisher durch ornithologische Expertise aufgefallen wäre, man würde mich eher unter die Menschenbeobachter einsortieren. Aber seit ich mit meiner Freundin im Freibad war und sie nervtötend oft ihr Handy in Richtung Himmel streckte, habe ich mir die App "Naturblick" runtergeladen. Eine Erfindung des Berliner Naturkunde-Museums.

Und seither checke ich abends auf dem Balkon nicht mehr meine Facebook-Timeline, sondern guck, wie sich mein persönliches Feldbuch auf dem Smartphone allmählich füllt mit Mauerseglern und Singdrosseln, Rabenkrähen und Rotkehlchen. Ich muss noch üben. Beim Joggen im Wald nahm ich eine Mönchsgrasmücke auf – aber beim Abspielen hört man vor allem meinen schweren Schritt und mein Keuchen. Und trotzdem hat die App das Tier erkannt. Übrigens kann sie auch Blumen und Pflanzen, per Bildvergleich. Und alles ordnet sich hübsch auf einer Google-Karte auf meinem Handy an.

Singt gegen das Großstadtrauschen an - Der Buchfink

Mein Buchfink übrigens war rotbraun mit einem graublauen Kopf und weißen Streifen. Dann war's offenbar ein Mann. Seine Frau geht eher in Braunbeige. Nach Weibchen muss man manchmal länger suchen, das ist ja bei Talkshows auch so. Aber der Sommer ist noch lang. Ich suche weiter. 

Ursula Ott

Überall Nachtigallen - am helllichten Tag

Gemein, ich hab’ noch nie eine Nachtigall gehört! Aber mich nachts in Parks rumtreiben will ich auch nicht. Also hör ich mir zum Ersatz eine Nachtigall per Video an. Und was soll ich sagen: Seitdem höre ich überall Nachtigallen! Und zwar tagsüber. Während ich irgendwo längsradle, keine besonderen Strecken. Nötig ist nur ein dickes Gebüsch, mit möglichst unordentlichem Unterwuchs, zum Beispiel aus Brombeeren.

"Es war die Nachtigall..."

Tagsüber Nachtigallgesang? Aber ja! Okay, nachts singen mehr Nachtigallen-Männchen; im Frühjahr wollen sie so die am Himmel ziehenden Weibchen zu sich herunterlocken. Tagsüber singen sie, um ihr Revier zu behaupten gegenüber anderen Männchen. Ab Ende Mai und im Juni singen dann nur noch die allein gebliebenen Männchen, auch tagsüber. Da steh ich dann mit meinem Rad am Wegesrand und lausche und lächle. Und überlege, ob das nun wirklich ein durchgängig schöner Gesang ist oder einfach nur wunderbar abwechslungsreich.

Leider ziehen die Nachtigallen ab August weg, nach Afrika. Nur ich bleibe zurück. Zum Glück bleiben auch ein paar Rotkehlchen da. Die singen sogar im Winter! Und zwar Weibchen wie Männchen. 

Christine Holch

Möwen in der Stadt - hart gesottene Überlebenskünstler

Ich wohne in der Hafencity Hamburg. Zur Elbe sind es gerade mal 100 Meter, und schon im dritten Jahr brüten Möwen bei uns direkt gegenüber auf einer ebenfalls begrünten, aber nicht von Menschen genutzten Dachterrasse. Anfangs waren wir begeistert. Dieses Urlaubsgefühl morgens beim Aufwachen mit Möwengeschrei. Das lustige Rumgeschnäbel der verliebten Pärchen (Möwen sind oft monogam!) direkt bei uns auf der Terrassenbrüstung. Und dann die flauschigen Möwenküken, zu süß. Wir zückten unsere Fotohandys und retteten ein Junges, das nach ersten Flugversuchen im Innenhof gelandet war und dort nicht genügend Anlauf zum erneuten Starten bekam.

Nun ja, dieses Jahr sind es schon zwei Paare, die drüben brüten. Bei einem dritten konnten wir durch Lärm und Händeklatschen gerade noch verhindern, dass es seine Eier direkt bei uns auf dem Dach in ein Nest platzierte. Längst sind wir genervt von den riesigen, Pardon, Scheiß- und Kotzhaufen überall. Im Fachjargon nennt man Letzteres Speiballen, ist aber genauso ekelig. Möwen werden übrigens bis zu 30 Jahre alt und kehren sehr treu immer wieder an ihren Geburtsort zurück.

"Meins"

Neulich war ich für eine Reportage in der Nachbarschaft auf dem Dach des Hamburger Hauptzollamtes. Dort brüten mittlerweile über 40 Paare Sturmmöwen. Nur eine Glastür trennte uns von den Nestern mit zwei oder drei Jungen. Kurz öffneten wir sie - um sie sofort wieder zu schließen. Das Geschrei der Eltern, die wir von ihren Jungen vertrieben haben, war ungeheuerlich, die Sturzflüge in Richtung unserer Köpfe hitchcock-würdig. Die Pressedame des Zollamtes kombiniert das Schlechte mit dem Guten: Klar nerve das Geschrei, der Dreck, andererseits: Wer sieht schon Möwenküken aufwachsen, direkt neben dem Bürofenster sozusagen?

Der Drang der Möwen auf begrünte Dächer ist übrigens ein weltweiter. Überall fallen Brutplätze auf dem Boden weg, überall entstehen schicke Stadthäuser mit Natur auf den Dächern, unerreichbar auch für den Möwen-Erzfeind, den Fuchs. Professor Stefan Garthe, Meeresbiologe an der Universität Kiel, und sozusagen Deutschlands Möwenpapst, freut sich über die Entwicklung in der Hafencity. Grundsätzlich sind auch Möwen bedroht und stehen unter Naturschutz. Angst vor Angriffen, so beruhigt er mich, müssten wir nicht haben. Sturzflüge und Geschrei seien vor allem eine große Kampfshow. Eines allerdings sollten wir beachten: Die schlauen Vögel lernten blitzschnell; eben auch, dass hochgeworfene Pommes genauso schmecken wie die auf dem Teller des Dachterrassentischs. Also, liebe Nachbar*innen: Wehe, ich erwische euch beim Füttern!

Dorothea Heintze

Störche - Highlight unserer Corona-Spaziergänge

Seit 2016 existiert die kleine Lokalnatursensation, 48 Jahre hatte man in Frankfurt am Main darauf gewartet: ein Storchenpaar, das das Sommerhalbjahr auf einem Feld am nördlichen Stadtrand verbringt. Dort, ganz in der Nähe des Flüsschens Nidda, bezieht es in jedem Frühjahr ein Nest auf einem eigens dafür aufgestellten Telegrafenmast. So auch in diesem Jahr: Pünktlich im März, mit Start der Corona-Einschränkungen, sind die beiden "Adebare" wieder da. Und sind ein willkommenes Ziel für die allabendlichen Familienspaziergänge, die den Homeoffice-Tag zu einem versöhnlichen Ende bringen sollen.

Was haben wir nicht alles entdeckt auf diesen Streifzügen: ein verstecktes Schafgehege, große Bärlauchvorkommen und einen ganz fabelhaften neuen Kletterbaum. Vor allem aber irgendwann den von den vielen Storchenfans aus der Region so sehnlichst erwarteten Nachwuchs - drei kleine Langschnäbel.

Und dann das Zittern: Werden die Jungvögel durchkommen? Schließlich herrscht eine kaum enden wollende Trockenperiode in diesem Frühjahr. Den Elternvögeln fällt es schwer, genug Futter aufzutreiben. Zeitweise sind sie sogar beide gleichzeitig unterwegs auf der Jagd. Das allerdings macht den Weg frei für Raubvögel, die das Nest heimsuchen könnten. Das Zittern geht weiter. Und dann die Hundebesitzer, die ihre Tiere im Feld nicht an die Leine nehmen wollen. Eine echte Gefahr für die Störche auf Nahrungssuche.

Unter "Die Fittiche nehmen" muss man auch üben

Aber schließlich wird alles gut: Die drei Küken werden groß und machen pünktlich zu den neuen Corona-Freiheiten im Frühsommer auch selbst erste Lockerungsübungen. Und wir ducken uns manchmal unwillkürlich auf unserem Abendspaziergang, wenn der Schatten eines majestätischen Storchs im Flug über uns hinwegstreicht.

Claudius Grigat

Amseln: Liebeslyrik oder nur Reviermarkierung?

Zwei Wochen Anfang Mai während der Corona-Krise habe ich genutzt, um von Detmold nach Montabaur zu wandern. 400 Kilometer durch die deutschen Mittelgebirge. Der Weg führt meist durch Wald, nicht selten auch durch langweiligen Forst. Spektakulär wie die Alpen oder das Elbsandsteingebirge ist da nix. Fichten, Buchen, Löwenzahnwiesen, Dorfrandbesiedlung, Liguster und Heckenberberitze. Ich hatte vorher gedacht, dass ich mangels Ablenkung innere Zwiegespräche führen würde. Doch keine innere Stimme sprach zu mir. Bin ich mit mir selbst im Frieden – oder bin ich mir aufs Alter einfach nur langweilig geworden?

Umso mehr fielen mir die Vögel auf. Erste Beobachtung: Alle Vögel zwischen Detmold und Montabaur wissen, um Punkt fünf Uhr beginnt das Konzert. Um Punkt 21.30 Uhr hört es auf, und der Wald steht schwarz und schweiget. Jeden Morgen wachte ich beim ersten Ton auf. Nach drei Tagen griff ich jedes Mal sofort zum Smartphone, und siehe da: Es war wirklich fünf Uhr. Vielleicht drei Minuten nach, vielleicht zwei Minuten vor.

Besonders liebte ich den Gesang der Amsel. Eine singt rechts, bezaubernd schön. Eine andere antwortet. Sie lassen einander ausreden. Kein Gesang gleicht dem anderen. Ich stellte mir vor, es sei Balzgesang – oder eben: Liebeslyrik. Könnten wir Menschen sie entschlüsseln, wir würden Meistersänger küren, Jahrhundertpoeten, hohe Dichtkunst von abgedroschenen Phrasen zu unterscheiden vermögen.

Nach meiner Wanderung schwärmte ich meinem Vater, er ist Biologe, davon vor. Seine Antwort fiel nüchtern aus: Die stecken nur ihr Revier ab. Ich war tief enttäuscht.

Auch liebte ich den Gesang der Buchfinken. Drei bis vier Einzeltöne, eine Koloratur abwärts, ein großes Intervall nach oben auf einen Leitton, dem eine weitere Abwärtskoloratur folgt. Jeder Buchfink sang anders. Die einen betonen fast schon aggressiv, andere tupfen zart. Einige verwischten die Koloratur, andere heben Ton für Ton klar ab. Einige singen langsamer, andere schneller. Jeder Buchfink ein Individuum. Je länger ich wanderte, desto mehr schienen sich Dialekte voneinander abzuheben. Ziehen westfälische Buchfinken ihre Vokale lang, verschlucken die aus Siegen die Konsonanten, vernuscheln die im Westerwald ihre Aussprache? – Meinen Vater habe ich lieber nicht in diese Überlegungen eingeweiht. Noch so eine Desillusionierung hätte ich nicht ausgehalten.

Burkhard Weitz

Srii, Srii - neue Löcher für die Mauersegler 

Neulich mitten in Frankfurt: "Guck mal, diese Statuen", sagte eine Freundin, mit der ich in den Schatten vor dem Historischen Museum geflüchtet war. Ja, lustig, wie sie da so in ihren Nischen stehen, Götter, Göttinnen, Allegorien – figürliche Skulpturen des 17. bis 19. Jahrhunderts aus Frankfurter Gärten. Interessant fand ich auch, was ich oberhalb der Köpfe oder der kopflosen Torsi in der Wand entdeckte. Kleine Löcher in der nagelneuen Mauer, pro Nische zwei, ganz oben unter dem Dach. Was haben sich die Architekten denn dabei gedacht?

Haben sie an die Mauersegler gedacht? Tatsächlich, meine Lieblingssuchmaschine hilft weiter, ich erfahre: Die Idee dazu hatte wohl der Nabu. Perfekt integrierte sogenannte Schweglerkästen fanden begeisterte Mieter, sie sausen rein und raus, rein und raus, so schnell kann man gar nicht fotografieren.

Löcher in der Wand? Die Schweglerkästen fanden begeisterte Mieter

Jetzt gucke ich überall in der Stadt nach diesen Schlupflöchern, unter Dachüberständen, in Traufkästen, an Schulen und Kirchen. 2318 solcher Nistkästen hat die Frankfurter Mauersegler-Initiative untergebracht, Stand 2015. Und was ich jetzt auch von der Frankfurter Seite des Naturschutzbunds Deutschland weiß: Mauersegler sind ortstreu und partnertreu, sie kommen nach Frankfurt, um ihre Jungen großzuziehen, aber neun Monate des Jahres verbringen sie in Afrika.

Anne Buhrfeind

Lerchen, die Gute-Laune-Macher

Sagt Julia: "Willst du schon gehn? Der Tag ist ja noch fern. Es war die Nachtigall, und nicht die Lerche, die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang; sie singt des Nachts auf dem Granatbaum dort. Glaub', Lieber, mir: Es war die Nachtigall."

Aber es war die Lerche. Die Tagverkünderin.
Und Julia lässt Romeo gehen. Das Drama nimmt seinen Lauf.

Sommer, früher Morgen, der Tag wärmt sich langsam auf. Das Korn auf den Feldern ist kurz vor der Ernte, das Blatt der Zuckerrüben noch saftig grün.

Was macht mich so froh? Musik! Dieses fröhliche Trillern. Eine Erinnerung nach der anderen. Ein Flashback in die Sommer meiner Jugend. An einen Romeo, den ich aus der Ferne anhimmelte.

Es ist dieser Gesang. Unablässig, munter und heiter. In der Luft, zwischen dem Korn, in den Rübenfeldern. Überall.

Wo stecken die Kerlchen. Feldlerchen sind gar nicht so klein. Fast so groß wie ein Star, aber gut getarnt

Ich versuche mitzupfeifen. Mir geht die Puste aus. Es kommt eine Antwort von irgendwoher. Verhöhnen die mich? Ich lese beim Nabu nach: Das könne schon sein - die Feldlerche könne auch ganz wunderbar Laute imitieren.

Gerne würde ich die gefiederten Tag- und Frühjahrsverkünder mit mehr Ruhe betrachten - oder sie überhaupt mal irgendwo sitzen sehen. Aber dazu braucht es Zeit, ich rolle jetzt erst mal weiter mit dem Fahrrad. Muss ja ins Büro.

Dass ich großes Glück habe, den Vogel des Jahres 2019 überhaupt zu hören weiß ich mittlerweile. Der Bestand der Feldlerche ist stark rückläufig. Landete das Stimmwunder früher, gebraten als Delikatesse* auf dem Teller, ist es heute Opfer der intensiven Landwirtschaft.

Morgen früh werde ich beim Landwirt am Ort Halt machen. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, dass seine Felder von Rainen, bewachsen mit Wiesenblumen und kleinen Hecken aus Baumschnitt, umrandet sind. Lebensraum von Insekten, Spinnentieren, Schnecken und Würmern.
Steht alles auf dem Speiseplan der Feldlerche.

Danach werde ich wieder ein paar Momente innehalten und mir eine Einheit Gute-Laune-Getriller anhören. 

Caterina Pohl-Heuser

*Sollten Sie mal in Leipzig sein, versuchen Sie die "Leipziger Lerche", ein süßes Gebäck mit eigener Geschichte. Die besten gibt’s vom Café Kandler und die Erzählung auf einem kleinen Zettelchen gratis dazu.

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