Deutschland spricht digital
Deutschland spricht digital
Privat
"Genau das hab ich jetzt gebraucht"
Über 3000 Zweiergruppen trafen sich zu einem virtuellen Streitgespräch bei "Deutschland spricht" und bei chrismon in Corona-Zeiten. Einige Ausschnitte.
Tim Wegner
11.05.2020

Sonntag, 10. Mai 2020: Auf Einladung der Aktion "Deutschland spricht", initiiert von ZEIT Online, chrismon und anderen Medien, trafen sich in ganz Deutschland über 3000 Paare zu einer Diskussion. Virtuell natürlich. Wie geht es uns in der Corona-Krise?, lautete die Fragestellung.

Seit drei Jahren bringt "Deutschland spricht" Menschen aus allen politischen Lagern und sozialen Schichten zusammen, Menschen, die sich sonst vermutlich nie für ein Gespräch treffen würden - wie diese Übersicht bei ZEIT-Online zeigt.

chrismon hat die Gelegenheit genutzt und zusätzlich zu der großen "Deutschland spricht"-Aktion interessierte Leserinnen und Leser zu einer Vier-Augen-Diskussion mit einigen Herausgebern und Kolumnisten eingeladen. Manche der Teilnehmer*innen haben uns hinterher Rückmeldung gegeben.

Den Ärmsten zuerst helfen

So auch Susanne Breit-Keßler, frühere Regionalbischöfin in München und seit Jahren chrismon-Kolumnistin. Sie traf im Videogespräch auf Elisabeth Haaf, 66 Jahre alt und Orthoptistin im Ruhestand. Beide stellten im Gespräch ihre gemeinsame  "bodenständige" Herkunft fest: Frau Haafs Vater war Metzgermeister, der Vater von Susanne Breit-Keßler Feinmechaniker. Das war, so Susanne Breit-Keßler, ein stark verbindendes Element, weiter berichtet sie: "Wir sind beide der Meinung, dass man mit dem Helfen bei den Ärmsten anfangen muss - etwa den Obdachlosen, für die Frau Haaf sich so vorbildlich engagiert. Denen fehlen jetzt, wie sie mir sagte, die Duschen, die Möglichkeiten, sich einzukleiden, und die ärztliche Versorgung. Das war mir, offen gestanden, nicht so bewusst. Dafür will ich mich jetzt mehr engagieren."

Elisabeth Haaf und Susanne Breit-Kessler (klein)

Muss die Zuspitzung wirklich sein?

Moritz Grumbach, 41 Jahre, ist Wirtschaftswissenschaftler und freiberuflicher Strategieentwickler. Er ist evangelisch getauft, war vor einigen Jahren sogar Anwärter des Johanniterordens, ist aber aus der Kirche ausgetreten. Umso gespannter war er auf die Diskussion mit dem EKD-Ratsvorsitzenden und chrismon-Herausgeber Heinrich Bedford-Strohm. Hier ihr Gesprächsvideo:

Moritz Grumbach (links), Heinrich Bedford-Strohm

Das Fazit von Moritz Grumbach: "Ich glaube, wir haben trotz aller Heiterkeit realisiert, dass wir es beide ernst meinen. Ich bin in solchen Diskussionen manchmal heftig in meiner Wortwahl, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass jede 'vorsichtige' Formulierung als ein 'Weiter so' interpretiert wird. Bei diesem Gespräch ist mir aber noch mal klar geworden:  Gäbe es mehr Menschen wie mein Gegenüber diesmal, wäre diese Zuspitzung gar nicht mehr nötig."

Vertreter einer anderen Generation, aber eben nicht aus der Familie

Arnd Brummer, geschäftsführender Herausgeber von chrismon, traf im Video-Talk auf Anna Barth, 30 Jahre alt und Sozialwirtin. Er in Frankfurt, sie in Nürnberg. Über 40 Minunten lang unterhielten sie sich intensiv über die Corona-Krise und ihre Auswirkungen. Arnd Brummer selbst hat die Krankheit bereits überstanden und konnte von seinen Erfahrungen berichten. Anna Barths Fazit: "Ich fand es total wertvoll, so intensiv mit einem Menschen aus einer ganz anderen Generation zu diskutieren, und zwar auch kontrovers, der eben nicht zur eigenen Familie gehört. Das hat mir ganz neue Denkaspekte mitgegeben, nicht nur, aber auch zu den Corona-Fragen."

Arnd Brummer(links), Anna Barth(rechts)

Corona ist real - das hab ich beim Testen gemerkt

Franz von Esterházy, 41 Jahre, ist Historiker und Filmproduzent und lebt in Berlin. Eines seiner Filmprojekte konnte wegen Corona nicht starten. Für ihn steht fest, dass das ganze Ausmaß der Krise erst in der Zukunft sichtbar sein wird. Wegen positiver Fälle im Bekanntenkreis musste er sich bereits zwei Mal auf das Virus testen lassen und hat nicht nur deshalb hohen Respekt vor den Gefahren dieser Krankheit. Hier beide im Video:

Franz von Esterházy (links) und Johann Hinrich Claussen

Johann Hinrich Claussen resümierte das Gespräch: "In Krisenzeiten muss man handeln, entschieden und schnell, man muss aber auch nachdenken über das, was wesentlich und unverzichtbar ist für unser Leben, und darüber miteinander sprechen."

Datenschutz und Corona-Apps

chrismon-Kolumnist Franz Alt und Tobias Fries haben über eine Stunde miteinander gesprochen. Tobias Fries, 43 Jahre alt, ist promovierter Ökonom und lebt mit seiner Familie in Mexiko. Dort führt er eine Software-Firma und organisiert Sprachreisen. Die Corona-Krise habe ihn "voll erwischt", wie er erzählt: "Wir müssen jetzt die Leute bezahlen, die den Kunden das Geld für Stornierungen wiedergeben." Genug Stoff für eine Diskussion gab es also: Datenschutz, Verschwörungstheorien, neue Technologien - und vieles mehr. Sehen Sie selbst: 

Franz Alt (links) und Tobias Fries

 

Was sagt die Wissenschaft

Huda El Saj Said ist 19 Jahre alt, hat 2019 ihr Abitur gemacht, war als Schülerin Stipendiatin der Start-Stiftung und wartet gerade auf ihren Medizin-Studienplatz. Sie schreibt gern Gedichte und Romane und veröffentlicht diese auf ihrem Blog. Ihre Gesprächspartnerin war Stefanie Schardien, Pfarrerin, chrismon-Kolumnistin und " Wort zum Sonntag"-Sprecherin.

Huda El Saj Said (links) und Stefanie Schardien im Videogespräch

Über ihre Begegnung mit Huda El Saj Said meint Stefanie Schardien: "Differenzen zur Einschätzung der Lage machen sich nicht einfach an Alter oder Beruf etc. fest. In vielen Punkten waren Huda und ich uns sehr einig, denn wir sind beide eher an Lösungen als am Beschweren interessiert. Auch wenn wir ganz unterschiedliche Hintergründe haben, sind wir beide überzeugt von der Demokratie, von der Bedeutung ernsthafter wissenschaftlicher Erkenntnisse – das ist vermutlich im Moment das, was Menschen eint und von jenen trennt, die all das grundlegend infrage stellen."

Und Huda El Saj Said bringt es noch mal auf den Punkt: "Das war so klasse, mit jemandem ganz Fremden so intensiv zu sprechen. Das machen wir doch eigentlich nie. Ich jedenfalls hab bemerkt: Genau das hab ich jetzt gebraucht!"

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.