Flucht - Ein Platz 
im Boot 
kostet 500 Euro
Flucht - Ein Platz 
im Boot 
kostet 500 Euro
Antonios Pasvantis
Ein Platz im Boot kostet 500 Euro
Wenn Flüchtlinge im Grenzfluss Evros ertrinken, bewahrt Pavlos Pavlidis, Forensiker im griechischen Alexandroupolis, ihre DNA auf und das Wenige, das ihnen blieb: eine Uhr, ein Ring, eine Kette. Und manchmal gelingt es, die Familie zu finden und einem Verstorbenen seinen Namen zurück zu geben.
25.02.2020

Der Moment, den Pavlos Pavlidis am meisten fürchtet? Wenn er den Angehörigen in Syrien, im Irak oder in Afghanistan mi­t­teilen muss, dass der bis dahin unbekannte Tote im Kühlfach der Gerichtsmedizin mit der achtstelligen Nummer tatsächlich ihr Sohn, Bruder, ­Vater ist; und dass er in fremder Erde begraben ­wurde. ­Dieses kurze schmerzhafte Schweigen, das dann folgt, bis die Endgültigkeit des Todes erfasst ist und Wehklagen einsetzt. Immer, wenn Pavlidis ­solche Telefonate beendet, hört er ­dieses ­Schweigen noch für Stunden in ­seinem Büro. Dann steckt er sich die x-te Zigarette des Tages an, ruft das Foto des Toten auf seinem Bildschirm auf und markiert es mit einem I: identified.

Pavlos Pavlidis ist Gerichtsmediziner am ­Universitätskrankenhaus der griechischen Stadt Alexandroupolis. Ein baumlanger Mann im ­blütenweißen Hemd mit melancholischen Augen und tiefen Lebensfalten im Gesicht. Einer, der zu diesem Beruf kam, weil er die Wissenschaft, die Klarheit der Fakten dahinter mag. Auch die Toten erzählen noch Geschichten. Diese zu ent­schlüsseln, daraus Rückschlüsse nicht allein auf ihr Sterben, sondern auch auf ihr Leben zu ziehen, ist für Pavlidis so etwas wie eine Leiden­schaft. Auch wenn er dieses Wort nicht ge­brauchen ­würde, weil es ihm zu emotional wäre.

Der Gerichtsmediziner Pavlos Pavlidis verwahrt die letzten Dinge der Evros-Toten. Solange sie nicht identifiziert sind, ruhen viele in den Kühlschränken seines Instituts. Die allermeisten Flüchtlinge schaffen es lebend herüber. Sie ruhen sich an Stellen wie dieser rechts aus - mit einem alten Schlauchboot als Dach

Früher waren Pavlidis’ Tote ermordet worden oder ihre Todesursache ungeklärt. Seit dem Jahr 2000 obduziert Pavlidis im Untergeschoss des Krankenhauses jene, die auf der Flucht im Evros ertranken, dem Grenzfluss zwischen der Türkei und Griechenland. 36 starben im Jahr 2019, 430 insgesamt; 177 durch Ertrinken, 80 an Unter­kühlung, bei dem Rest weiß man es nicht so genau. Im vergangenen November hatte ­Pavlidis sechs Leichen auf dem Tisch: die einer Familie, die es geschafft hatte, über den Fluss zu kommen, am griechischen Ufer vor Erschöpfung in der nassen Kleidung einschlief – und erfror. Darüber, wie viele auf der türkischen Seite angespült wurden, gibt es keine offizielle Zahl. Man habe, sagt Pavlidis, keinen Austausch mit den Forensikern dort. "Das ist ein politisches Problem."

Der Fluss entspringt in Bulgarien, dort heißt er Mariza, in der Türkei nennt man ihn Meriç Nehri. In Griechenland ist der Evros 180 Kilo­meter lang, an keiner Stelle mehr als 50 Meter breit, nirgends tiefer als fünf Meter. Es gibt ­Stellen, da sind es zwölf Schwimmzüge von Ufer zu Ufer. Doch der Fluss ist schnell, eilt mit ­großer Geschwindigkeit dem Delta entgegen, wird erst dort wieder langsamer, legt die Toten in den Schilfgürteln und auf den Sandbänken ab, bevor er sich ins Thrakische Meer ergießt. Es sind Fischer, die in den Nebenflüssen fischen, Jäger, die im Schilfland nach Enten jagen, die die Toten finden. Oder das, was von ihnen übrig ist.

"Diese Leute verlassen gerade das Auffanglager"

14 900 Migranten haben im vergangenen Jahr laut einer Schätzung des UN-Flüchtlingshilfswerks den Evros überquert. Damit ist der Fluss eine der Haupteintrittsrouten in die Europäische Union. Nur über das Mittelmeer kommen noch mehr Menschen, rund 112 600 waren es im Jahr 2019. Ende des letzten Jahres zeigte das Magazin "Der Spiegel" von Flüchtlingen gedrehte ­Videos, die offenbar bewiesen, dass das griechische ­Militär Menschen mit Booten zurück auf die türkische Seite bringt. Dazu werden ehemalige Soldaten und Sicherheitsbeamte zitiert, die diese sogenannten Pushbacks bestätigen.

Seine ­Meinung bringt die Toten nicht wieder zurück

Pushbacks sind illegal und verstoßen gegen internatio­nales und EU-Recht sowie gegen die Genfer Konven­tion. Erzählt hatten Flüchtlinge schon lange von solchen Vorkommen, doch die griechische ­Regierung hatte dies stets zurückgewiesen. Dem hält der türkische Innenminister entgegen, von November 2018 bis November 2019 seien knapp 60 000 Flüchtlinge gesetzeswidrig und unter Zwang von Griechenland in die Türkei zurückgebracht worden.

Mit den politischen Ränkespielen, die die jeweiligen Regierungen um die Flüchtlinge betreiben, will Pavlidis nichts zu tun haben. Nicht weil er dazu keine Meinung hätte. Eher weil ­seine ­Meinung die Toten auch nicht wieder zurück ins Leben bringt. Dass sich etwas ändern muss in der griechischen, in der europäischen Asyl­politik, steht für Pavlidis außer Zweifel. Aber da nicht er, sondern andere diese Änderung hervor­bringen müssen, gibt sich Pavlidis professionell: "Ich bin nur eine Art Empfänger politischer Ent­scheidungen. Diese zu kommentieren, liegt außerhalb meiner wissenschaftlichen Tätigkeit."

Der zwölf Kilometer lange Grenzzaun auf griechischer Seite hält Flüchtlinge ab. Dr. Pavidis nimmt von jedem Toten eine DNA-Probe. Er hofft, ihnen ihre Identität zurückgeben zu können

Wenn der Evros die wieder freigibt, die in ihm ertranken und auf den morastigen Grund ­sanken, bis ein Strudel sie nach Tagen, manchmal nach Wochen ans Ufer spülte, sind ihre Gesichter und Körper bis zur Unkenntlichkeit aufgedunsen. Sie sind nicht mehr als weiß oder dunkelhäutig, nicht als Mann oder Frau zu erkennen.

Das Kellergeschoss des Krankenhauses, durch das Pavlidis die Toten auf ihren Bahren schiebt, um sie auf dem Obduziertisch zu platzieren und schließlich in die Kühlfächer zu legen, scheint wie eine Vorstufe zum Hades. In Flure und ­Räume fällt kaum Tageslicht, klamme Kälte strömt von den Wänden. Pavlos Pavlidis bewegt sich so still durch die Flure und Räume, als könne ein Geräusch die Toten wecken, schattengleich beugt er sich über die Toten. Von jedem hat er ein Foto gemacht, die Bilder in einem Ordner auf seinem Computer gespeichert. Von jedem hat er eine DNA-Probe genommen, diese an die zen­trale Polizeistelle geschickt, wo sie gelagert wird. Auch verwahrt er jede Habseligkeit der Toten.

Es ist wenig, was der Fluss ihnen lässt. Alles, was weich ist, löst sich im Morast auf, nur die harten Gegenstände bleiben: Uhren, die im Augenblick des Versinkens stehen blieben. Kreuze und Gebetsketten, Ringe, Feuerzeuge, ein Plastikarmband mit dem Satz: I believe. All dieses verstaut Pavlidis in einer Plastiktüte mit Reißverschluss, versieht es mit derselben Registrierungs­nummer, die auch der Tote hat, und packt es in einen Schrank in seinem Büro.

Dem Tod mit Respekt begegnen, die Seelen ehren

Man könnte all diese Handlungen für Büro­kratie halten, das Aufbewahren von Spuren und Indizien für einen bloßen Akt der Katalogisierung, um die Toten eines Tages zu identifizieren. Doch für Pavlidis ist es der Versuch, die Tragik des Schicksals zu mildern, nicht nur den Toten, sondern auch dem Tod mit ­Respekt zu begegnen. Die letzten Dinge des ­Lebens, die genetischen Beweise eines Menschen zu verwahren, heißt auch, die Seele zu ehren. "Ich kann den Toten keinen Namen geben, nur eine Nummer. Aber ich kann mit den Dingen, die ihnen gehörten, etwas von ihnen zeigen. Und sei es nur ihr Hiersein."
Was dem Menschen Pavlidis hilft, sich von den Toten zu distanzieren? "Wenn ich nach ­Hause gehe, rede ich nicht über das, was am Tag geschah. Um abzuschalten, spiele ich mit meinen Hunden."

Nicht erst seit im Evros Flüchtlinge ertrinken, ist er ein Todesfluss. In der griechischen Mythologie wird erzählt, der Kopf des Sängers Orpheus, den ihm Anhängerinnen des Dionysos-Kults ­abschlugen, sei auf dem Evros singend bis zur Insel Lesbos getrieben. Viele Jahrhunderte später traf am Evros das Osmanische auf das Byzantinische Reich, fanden sich Ost und West und trennten sich dort auch wieder. Die Toten der Schlachten um Macht und Raum haben an manchen Tagen das Wasser rot gefärbt.

Das Delta. Hier ergießt sich der Evros ins Thrakische Meer (links). Der Fischer rechts arbeitet auch als Soldat und bewacht die Grenze

Um die illegalen Grenzübergänge aus der Türkei zu beenden, errichtete die griechische Regierung 2012 dort einen zwölf Kilometer langen Zaun, wo der Evros nur auf türkischem Gebiet und die Grenze über Land verläuft. Es war der erste Grenzzaun in Europa nach dem Kalten Krieg zur Fluchtverhinderung. Es blieb nicht der ­letzte. Vorbild war der Zaun zwischen Mexiko und den USA. Tatsächlich gingen die Grenzüberschreitungen damals für eine Weile auf fast null zurück: bis Menschenhändler das Geschäfts­modell Evros-Überquerung für sich entdeckten.

500 ­Euro kostet ein Platz in einem der Schlauchboote, 1000 Euro der Transport vom Ufer in die nächstgrößere Stadt. Zwar ist heute fast die gesamte Uferzone Sperrgebiet, sowohl auf griechischer als auch auf türkischer Seite, kontrolliert von ­Polizei und Militär, doch zuletzt stieg die Zahl derjenigen, die diese Route wählen, wieder an. So wie immer, wenn auf der Mittelmeer­route wieder Boote kentern, Länder den Rettungsschiffen die Einfahrt in die Häfen verweigern, Patrouillenboote die Flüchtlinge stoppen und in libysche Gewässer zurückdrängen. Weil dann der Evros der leichtere Weg zu sein scheint.

Wer am Fluss nach den Orten sucht, an ­denen es gelingt, die griechische Seite zu erreichen, muss durch das Unterholz kriechen, durch Dornenbüsche, unter fedrigen Tamarindenbäumen hindurch. Trampelpfade, die die Flüchtlinge anlegten, weisen den Weg zum Ufer. Dort, wo die Menschen lagerten, bevor sie im ersten Morgengrauen weiterzogen, hängen luftleere Schlauchboote als Dach über Ästen. Nasse Kleidung liegt herum, Trinkflaschen und Verpackungen von Keksen, Windeln, Medikamente, Zahnbürsten, Notizbücher, Miniaturausgaben des Korans.

Vermeidbares Dahinraffen von blutjungem Leben

Die Pfade enden an einer Sandauf­spülung, auf dem Wasser glitzert die Sonne, Ziegen suchen kühlen Schatten. Am Ufer treibt ein Schlauchboot, wie ein Kinderboot sieht es aus, bietet vielleicht Platz für zwei, doch die noch frischen Fußstapfen im Sand stammen von mindestens einem halben Dutzend Menschen. Jemand hat starke Äste in den Fluss gesteckt und ein Seil daran gespannt. Hält man sich daran fest, hat man für einige Schritte noch Boden unter den Füßen, dann wird es plötzlich tief, die Füße sinken in den ­Untergrund ein, die Balance ist fort, das schnelle Wasser reißt einem die Beine weg – so ertrinkt man dort also. Das türkische Ufer ist höchstens 20 Meter entfernt.

Jeder stirbt, so gut er kann, schrieb einmal der Schriftsteller Stendhal, und der Satz mag seine Berechtigung für viele Tote haben. Doch der Tod, der jene ereilt, die das sichere Europa er­reichen wollen, ist kein Sterben nach Be­fähigung, ­keine Ars Moriendi, sondern ein vermeidbares Dahinraffen von zumeist blutjungem Leben. Je mehr Mauern, Zäune und Wälle dieses Europa er­richtet, desto gefährlicher werden die Wege ­derer, die sich auf der Suche nach Frieden, Sicherheit und vielleicht einer neuen Heimat dennoch nicht abbringen lassen.

Auf diesem Friedhof wurden bis 2017 Flüchtlinge beerdigt, wenn die Kühlfächer von Doktor Pavlidis keine weiteren Leichen mehr aufnehmen konnten. 250 Tote liegen dort in einem Massengrab

Auf einem eingezäunten Acker in der Nähe ­des Dorfes Sidiro, gut eine Stunde von Alexandroupolis entfernt, wachsen üppige Brombeerbüsche aus dem Boden, dazwischen Hafer, Schafgarbe und duftender Thymian. Es ist der Friedhof, auf dem bis 2017 die Flüchtlinge beerdigt wurden, wenn die Kühlfächer von Doktor Pavlidis keine weiteren Leichen mehr aufnehmen konnten. 250 Tote liegen dort in einem Massengrab.

Vier Marmorsteine ragen aus dem Brombeer­dickicht hervor, darauf ein Name, ein Land, Geburts- und ein Sterbedatum. Drei Syrer, ein Afghane. Bezahlt wurden die Steine von den Angehörigen, die kein Geld besaßen, um die ­Toten in ihre Heimat zu überführen, sie aber nicht namenlos in der Fremde lassen wollten. Davon abgesehen gibt es keine Gedenktafeln, keinen Hinweis darauf, dass hier Menschen begraben wurden. Wenn die Totenehre, die man auch einem Fremden zukommen lässt, etwas über den moralischen Zustand einer Gesellschaft aussagt, ist dieser Ort das Ende der Kultur, für die Europa stehen möchte.

Wenn schon ­keiner Empathie mit den Lebenden hat, wie denn erst mit den Toten?

Sidiro ist eines der muslimischen Dörfer in der Region Evros. Es liegt in der Landschaft ­zwischen Sonnenblumenfeldern, Äckern mit Weinreben und Tabakpflanzen. Der August ist hier unerträglich heiß, die Felder sind zu trocken, um ein Auskommen zu garantieren. Ärmlich sind die Häuser des Dorfes, verlassen die Straßen.

Die Geschichte dieser Dörfer, deren Be­wohner vor vielen Generationen aus der Türkei kamen und deren Hiersein in Griechenland noch ­immer ohne Selbstverständnis ist, die oft kein ­Griechisch sprechen und abgehängt sind vom Lauf der Moderne, erklärt das geballte Miss­trauen, das allem Fremden entgegenschlägt. Daran, dass Flüchtlinge in dieses Dorf kommen, musste man sich gewöhnen, und manchem, so erzählt es der Mufti, fällt die Brudersolidarität nicht leicht. Die Dorfbevölkerung ist überaltert, gerade mal 300 Bewohner sind geblieben. Nur mit Mühe gelingt es ihm, Geld einzusammeln, um die zu versorgen, die im Gästehaus der Moschee Zuflucht suchen. Und wenn schon ­keiner Empathie mit den Lebenden hat, wie denn erst mit den Toten? Die Friedhofspflege jedenfalls übernehme niemand freiwillig. "Und um jemanden zu bezahlen, haben wir kein Geld."

Verwahrloste Gräber, Andenken, das keiner ehrt, auch in Orestiada, der Provinzhauptstadt. Dort, auf dem Zentralfriedhof, sind die ­beerdigt, die man für Christen hält. 30 sind es. Ihre Gräber liegen am äußersten Rand des Kirchengrundstücks, und unter Kriechpflanzen, Müll und Grassoden kommen einbetonierte Rechtecke zum Vorschein, darauf ein Stein mit jenem ­Zahlencode, den Pavlidis seinen Toten gibt.

privat

Andrea Jeska

Die Autorin Andrea Jeska fand die Schönheit des Evros-Deltas mit seiner Vogelvielfalt über­wältigend. Nach der Begegnung mit Pavlidis konnte sie es dennoch nur als einen Ort des Todes sehen.
Privat

Antonios Pasvantis

Foto­graf Antonios Pasvantis ist am Evros aufgewachsen. Der Fluss, seine ­Bewohner, die Landschaft haben ihn stark geprägt. "Dieser Tage beten wir alle für diese Menschen, die von einem besseren ­Leben geträumt ­haben."

450 Euro zahlt die griechische Regierung ­denjenigen, die die Toten unter die Erde bringen. Das Geld stammt aus EU-Töpfen, Hilfe zur Be­wältigung der Krise. Ein Beerdigungsunter­nehmer in Orestiada sagt, er könne die Toten nicht anständig begraben, weil die Imame und Priester für ihre Segnungen am Grab die Hälfte des Geldes verlangten. Der Imam von Orestiada will nicht sprechen. Und der Vizebürger­meister der Stadt fragt, wer einem erlaubt hätte, die Gräber zu sehen. Natürlich, sagt er schließlich, bezahle die Stadt jemanden für die Grabpflege, allerdings könne man dessen Arbeit aus Zeitgründen nicht überprüfen.

Wenn es nach Pavlos Pavlidis ginge, sollten die Toten gar nicht be­graben werden, sondern in den Kühlfächern seines Instituts ­liegen, bis man ihre Familien findet. So wie im Fall eines Algeriers, dessen Familie an Pavlidis schrieb und ihm das Foto eines Rings schickte, den ihr Sohn trug. Pavlidis erkannte den Ring, die griechische Polizei bat die Verwandten um eine DNA-Probe und so konnte die Verwandtschaft bewiesen werden. "Der ganze Prozess hat fast zwei Jahre gedauert", sagt Pavlidis. So furchtbar die Mitteilung des Todes war, es lag auch Segen in der Gewissheit. "Lieber Doktor Pavlos Pavlidis", schrieb ihm die Familie, "wir haben heute, am 8. Juni, den lange vermissten Hicham M. begraben. Hunderte von Familienmitgliedern, Freunde und Nachbarn nahmen teil. Auch wenn der Schmerz groß ist, so finden wir doch Trost darin, dass er sein Grab in der Heimat fand. Sie waren sehr mitfühlend und hilfsbereit."

Für den gläubigen Christen Pavlidis ist dieser Brief wie ein Ablass für eine Sünde, die nicht er beging, aber für die er sich mitverantwortlich fühlt. Als Teil einer Menschheit, der die Menschlichkeit abhandenkam.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.
Permalink

Sogenannte "Push-Backs" sind nicht notwendigerweise völkerrechtswidrig. In nuce sind sie es nur, wenn die Zurückweisung in ein Land erfolgt, in welchem dem Betroffenen eine Gefahr für Leben oder Freiheit droht. (Art. 33. Genfer Flüchtlingskonvention). Die Autoren setzen offenbar stillschweigend voraus, daß dies auf die Türkei zutrifft.Woher sie diese Überzeugung nehmen, wird nicht ersichtlich.
Der Vorwurf an die griechische Regierung ist daher haltlos. Wenn diese tatsächlich über 60 000 versuchte Grenzübertritte wirksam verhindert hat, ist sie lediglich ihrer Verantwortung gegenüber ihren Bürgern und denen der EU gerecht geworden.
Die nahe Zukunft wird ohnehin zu einer Bewertung der Ereignisse in dieser Region führen,die weniger von "Empathie",sondern mehr von sachlichen Interessen geleitet sein wird.

Antwort auf von querdenker (nicht registriert)

Permalink

"Sogenannte "Push-Backs" sind nicht notwendigerweise völkerrechtswidrig" und "...Verantwortung gegenüber ihren Bürgern und denen der EU gerecht geworden". Das sind zutreffende Hinweise. Was kann man aus ihnen lernen? Dass Völkerrecht und Verantwortung eben keine Hilfsmittel derer sein können, die den Elendsgestalten namens Flüchtlingen helfen wollen. Dumm nur, dass sich das noch nicht herumgesprochen hat. Es wird immer wieder der falschen Vorstellung auf den Leim gegangen, Flüchtlingshelfer könnten sich erfolgreich auf das Völkerrecht und die moralische Kategorie Verantwortung berufen.

Nein, das sind die Hilfsmittel derer, die gegen Flüchtlinge Stimmung und Handfesteres - siehe Gerichtsmedizin - machen.

Fritz Kurz

Werter Herr Kurz,von welchen „Elendsgestalten“ reden Sie ? Zur Zeit sehe ich an der griechisch-türkischen Grenze nur Männer im wehrfähigen Alter,alle wohlgenährt und winterfest gekleidet und alle körperlich äußerst aktiv. Das Elend sieht anders aus ....

Antwort auf von Querdenker (nicht registriert)

Permalink

Da kann ich Sie, Herr Querdenker, nur dazu beglückwünschen, dass Sie auch die Kunst des Quersehens beherrschen. "Zur Zeit sehe ich an der griechisch-türkischen Grenze nur Männer im wehrfähigen Alter,alle wohlgenährt und winterfest gekleidet". Jaja, auf der Titelseite der Deutschlandausgabe der Frankfurter Rundschau vom 3.3.2020 sieht man rechts den mit Kopftuch verkleideten Krieger, der den anderen wohlgenährten Krieger auf dem Arm hält, der wiederum unter seiner winterfesten Kleidung die Nahkampfwindeln versteckt. Links dann vier weitere Flüchtlinge im wehrfähigen Alter, das bei Flüchtlingen wohl von zwei bis zwölf Jahre reicht.

Ich weiß, die Flüchtlinge sind sehr trickreich, wenn sie sich an das Umvolken machen.

Der Link ist vermutlich in wenigen Stunden unbrauchbar: https://epaper.fr.de/kaufen/deutschland/03.03.2020/463382

Fritz Kurz

Antwort auf von Fritz Kurz (nicht registriert)

Permalink

Werter Herr Kurz, Sie haben vollkommen Recht, die in der FR abgebildeten Sympathieträger sind keinesfalls geeignet, um den Idealtyp des "irregulären Migranten" zu bestimmen. Dazu eignen sich vielmehr die Personen auf dem Bild zum Beitrag "EKD:Deutschland kann noch mehr Flüchtlinge aufnehmen" im Forum evangelisch.de vom 02.03.20, welches ja über jeden Verdacht der einseitigen Berichterstattung erhaben sein dürfte.
Auch dürfte auf letzterem Bild das Verhältnis zwischen wehrhaften Männern und unmündigen Kindern der Wirklichkeit eher entsprechen als auf der von Ihnen angeführten Titelseite der FR...

Antwort auf von querdenker (nicht registriert)

Permalink

Die Unterscheidung zwischen regulärer und irregulärer Migration ist wie so viele andere Begrifflichkeit keine Erfindung der Populisten, sondern eine ideologische Sichtweise aus der Mitte der Gesellschaft. Für das Ausmalen der irregulären Migration sind dann die Rechten zuständig. Also schauen wir hin. Die migrantischen Invasoren haben angeblich das Ziel, die hiesigen Eingeborenen umzuvolken. Andererseits drängen idealtypischerweise nur Männer in die unzureichend geschützte Festung Europa oder Deutschland.

Daraus folgt, dass die wohlgenährten, mit Winterkleidung ausgestatteten jungen Männer über die Gabe der Jungmännergeburt verfügen müssen, sonst klappt das mit dem Umvolken nämlich nicht. Ersatzweise wäre an Vielmännerei zu denken, was bekanntlich in moslemischen Kreisen der Standard ist.

Nach rechter Lesart ginge es hierzulande idyllisch zu, wenn bloß die störenden Flüchtlinge nicht wären. Der im gesitteten Abendland zwar nicht mehr vorherrschende, aber selbstverständlich ehrbare Glaube an die Jungfrauengeburt wird also ergänzt um den Glauben an die Fähigkeit der Migranten zur Jungmännergeburt.

Wer will da noch bezweifeln, dass das geistig dermaßen kreative Abendland mit Tränengas- und echter Munition an der griechisch-türkischen Grenze geschützt werden muss?

Fritz Kurz

Permalink

Die Reportage von Andrea Jeska und Antonios Pasvantis über die so selbstlose Arbeit des griechischen Arztes Dr. Pavlos Pavlidis hat mich tief berührt. Was dieser Mann leistet, um den im griechisch-türkischen Grenzfluss Evros zu Tode gekommenen Flüchtlingen ihre Identität wiederzugeben, ist bewundernswert und ein Zeichen von Humanität in einer immer mehr inhuman gewordenen Welt.
Leider hat die internationale Staatengemeinschaft im Syrienkrieg bisher kläglich versagt. Spätestens jetzt müssten Vereinte Nationen, Europäische Union und die USA gegenüber Assad, Putin und Erdogan maximalen Druck aufbauen und wirksame Sanktionen verhängen, damit das schreckliche Morden in Syrien endlich aufhört.
In politischen Kontakten des Westens mit den Staaten der Arabischen Liga sollte endlich auch darauf hingewirkt werden, dass auch reiche uund superreiche arabische Länder wie Saudi-Arabien und die Golf-Staaten aus Syrien flüchtende islamische Glaubensbrüder und -schwester aufnehmen und sie - ohne Sprachprobleme und größere kulturelle Barrieren - integrieren. Abgesehen von Jordanien und dem Libanon ist über eine Aufnahme von Syrien-Flüchtlingen in anderen Teilen der arabischen Welt bisher nichts bekannt geworden.
Manfred H. Obländer, Königswinter