In Brandenburg sollen Lehrerinnen und Lehrer Religionskunde aus neutraler Perspektive unterrichten. In Hamburg vertreten Religionslehrerinnen unterschiedlicher Religionen ihre Position. In der einen Klasse unterrichtet ein Protestant, in der anderen eine Katholikin - oder eine Jüdin oder ein Muslim.
Was spricht gegen einen Religionsunterricht, in dem alle Religionen gleichermaßen gelehrt werden?
Martini: Nichts. Entscheidend ist aber etwas anderes: Religionsunterricht darf nicht Sachkunde über Religionen sein. Er muss immer die Binnenperspektive der Konfessionen berücksichtigen, das gilt auch für einen multikonfessionellen Unterricht. Das heißt: Der Lehrer oder die Lehrerin sollte seinen oder ihren eigenen Standpunkt vertreten können.
Uwe Martini
Warum ist das so wichtig?
Martini: Wir haben über Jahre angeblich neutrale Unterrichtseinheiten über das Judentum, über den Islam entwickelt und verwendet – und ich weiß nicht, ob wir dem Judentum und dem Islam immer gerecht geworden sind. Drehen wir die Perspektive doch einmal um: Wie würden andere über das Christentum schreiben? Da würden Sie Dinge lesen wie: Christen glauben an die Dreieinigkeit. Und: Manche Christen glauben an die Jungfrauengeburt. Aber das, was das Christentum ausmacht, wird aus der anderen, der fremden Perspektive gar nicht erlebbar. Im Religionsunterricht muss immer die Rückfrage möglich sein: Wie verstehst du das eigentlich persönlich, zum Beispiel die Jungfrauengeburt? Dazu braucht es ein authentisches Gegenüber.
Vor zehn Jahren beharrten die Kirchen noch auf einem getrennt-konfessionellen Religionsunterricht: Schülerinnen und Schüler müssten erst ihre eigene religiöse Identität ausbilden, bevor sie mit anderen Religionen konfrontiert werden. Was hat sich geändert?
Martini: Unsere Gesellschaft ist pluraler geworden, und eines der wichtigsten Ziele des Religionsunterrichts ist es heute, Schülerinnen und Schüler pluralitätsfähig zu machen. Hinzu kommt: Viele junge Protestanten wissen wenig über ihr eigene Identität. Die eigene Identität kann sich auch im Dialog mit den anderen entwickeln.
In Hamburg berichten Lehrer, dass gerade Muslime ihre säkular-evangelischen Mitschülerinnen und -schüler herausfordern nachzudenken: Woran glaubst du eigentlich?
Martini: Ja, das ist sehr interessant. Aber die Hamburger müssen ihr Modell auch überdenken: Wie ist es möglich, die Perspektiven aller Religionen einzubringen, wenn der Lehrer oder die Lehrerin nur eine Perspektive bietet? Dann muss man über Teamteaching nachdenken, damit nicht in einer Klasse nur der Protestant sondern auch die Muslimin, der Katholik und die Jüdin unterrichten kann. Für Hessen ist der Hamburger Weg keine Blaupause. In Hessen denken wir derzeit über die Möglichkeit einer konfessionellen Kooperation im Religionsunterricht nach.
Was für eine Alternative stellen Sie sich für ein Bundesland wie Hessen vor?
Martini: Erstens wird der Religionsunterricht nach Artikel 7 Grundgesetz erteilt werden, und daher wird er zweitens authentische Zeugen und Zeuginnen brauchen. Das können Lehrerinnen unterschiedlicher Religionen oder Konfessionen sein, die als Team zusammenarbeiten. Es können auch Zeugen von außen sein, die man einlädt und die den Schülerinnen und Schülern Rede und Antwort stehen. Das Interesse an einer Kooperation der Religionen und Konfessionen im Unterricht ist jedenfalls groß: auf Seiten der Kirchen wie auf Seiten des Staates.