Die erste Nacht in der neuen Wohnung – und Elisabeth S. konnte kaum schlafen. Vor Schmerzen. Schon zwei Wochen vor dem Umzug war sie krank geworden, weil der Abschied von ihrem Haus, in dem sie 40 Jahre lang lebte, sie beschäftigt hat. Seit drei Wochen wohnt sie nun am Stadtrand von Frankfurt am Main, in einem Wohnprojekt, in dem ältere und jüngere Menschen Tür an Tür mit geflüchteten Familien leben. Jetzt soll hier eine Gemeinschaft entstehen.
Auch Maren B. hat es bis in den Schlaf beschäftigt, die große Wohnung im familieneigenen Haus aufzugeben. "Ich habe von Kartons geträumt. Und davon, was noch zu organisieren ist."
Nils Husmann
Beide Frauen hatten bis vor kurzem viel mehr Platz und leben nun in Wohnungen, die weniger als 60 Quadratmeter groß sind. Warum? "Wir wollen unsere Offenheit einbringen", sagt Elisabeth S. Die Bewohner des gemeinschaftlichen Wohnprojektes möchten bei der Integration der Geflüchteten helfen und haben dafür super Bedingungen. Vor Ort kümmern sich hauptamtliche Helfer um die Menschen. Die Frauen und ihre Mitbewohner unterstützen ehrenamtlich – ohne die ganz große Verantwortung, die liegt bei den Profis.
"Ich hatte drei Etagen plus Keller. Den Platz können andere besser gebrauchen"
Elisabeth S. tippt sich ans lockige Haar. "Hier im Kopf weiß ich, dass ich richtig entschieden habe, hierherzukommen. Mein Mann ist vor sieben Jahren gestorben. Ich habe drei Etagen bewohnt, plus Keller. Den Platz können andere besser gebrauchen."
Der Verstand ist das eine, das Herz das andere. Und das hing an vielen Dingen, die sie sortiert hat. Das wenigste konnte ja mit, vieles hat sie gespendet und was niemand mehr gebrauchen wollte, kam auf den Müll. "In den letzten zehn Monaten habe ich mein ganzes Leben in den Händen gehabt." Da war zum Beispiel so eine alte Aussiedlerkiste aus Holz, die stammt noch aus Bratislava, wo ihr Vater aufgewachsen ist. Eigentlich hat sie keinen Platz. "Aber die musste mit", sagt sie.
Noch geht ihr Blick eher zurück. "Auf die Befreiung, die angeblich kommen soll, wenn man sich von vielen Dingen trennt, warte ich noch. Aber ich schlafe schon wieder besser." Maren B. macht schon mit beim Sprachcafé, immer mittwochs von 18 bis 20 Uhr. Das ist besonders für die Mütter wichtig, die keinen Sprachkurs besuchen. Sie hofft, dass daraus mit der Zeit für alle Bewohner ein Wochentreff werden kann.
Die Wohnfläche ist geschrumpft, "aber als Menschen werden wir wachsen"
Gestern hatten sie ein Treffen mit ihrem gemeinschaftlichen Wohnprojekt. Alle haben eine eigene Wohnung, aber es gibt so vieles, das sie gemeinsam anpacken wollen. 17 Leute waren gekommen, die Sitzung war auf zwei Stunden begrenzt. Die Zeit hat nicht gereicht. Ein gutes Zeichen, man hat sich viel zu sagen – und einfach zu viele Ideen. Manche aus der Gruppe kennen sich schon, seit das Areal, auf dem nun fast einhundert Menschen leben, geplant wurde. Andere kamen erst kurzfristig dazu, müssen sich erst beschnuppern. Auch Elisabeth S. und Maren B. kennen sich noch nicht lange, wirken aber schon vertraut miteinander.
Im Innenhof sind die Wege gepflastert, Rasen und Pflanzen gibt es noch nicht. Stattdessen Matsch und Pfützen. Ein Halbkreis aus Steinen lässt erahnen, wo einmal der zentrale Platz entstehen soll. Aber der Bau geht erst im Frühjahr weiter. Überall stehen Roller, sie gehören den Kindern, die noch in der Schule sind. "An ihrem Lachen kann ich mich nicht satthören", sagt Maren B. Elisabeth S. nickt. Gemessen an der Wohnfläche sind beide geschrumpft. "Aber als Menschen werden wir hier wachsen."
Maren B., Jahrgang 1951, und Elisabeth S., geboren 1946, leben seit kurzem in einer Anlage, die zum "Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen e. V." gehört.