Hongkong hat einen Sonderstatus in China. Es verfügt über umfassende Autonomierechte und Bürgerfreiheiten. Doch der zunehmende Einfluss Pekings ist zu spüren. Zurzeit sind viele Einwohner besorgt über ein geplantes Gesetz, das die Auslieferung von Straftätern an China ermöglichen soll. Am 9. Juni gingen viele Menschen, vielleicht eine Million, dagegen auf die Straße. Ich blieb zu Hause und diskutierte mit zwei Nachbarn. Sie sind erfolgreiche Investmentbanker und können die ganze Aufregung nicht verstehen. Schließlich habe die Regierung zahlreiche Schutzmechanismen in den Gesetzesentwurf eingearbeitet. Doch wie sehen das andere Hongkonger?
Roland Rohde
Ein paar Tage später kann ich mir davon ein Bild machen. Am 12. Juni kommt es zu nicht mehr so friedlichen Demonstrationen vor dem Parlament. Die Menschenmenge reicht bis in die zentralen Geschäftsviertel der Metropole. Tränengas zieht über die Klimaanlagen in die Bürotürme der Banken. Ich stehe am Rand. Bei den meisten Demonstranten handelt es sich um junge Leute. Die Vorlesungen an den Unis, so berichtete mir eine befreundete Professorin, seien fast leer, obwohl die Examina kurz bevorstehen.
Tränengas, Pfefferspray und Gummigeschosse
Die jungen Menschen seien enttäuscht, weil ihre Meinung ungehört bleibt. Sie hätten auch Angst vor Polizeigewalt und Verhaftung. Viele tragen Gesichtsmasken, Taucherbrillen und Regenschirme, mit denen sie sich gegen Tränengas, Pfefferspray und Gummigeschosse schützen. Eine Frau um die 20 schnappt sich meinen Regenschirm und stürmt nach vorne, wo sich Polizisten und Demonstranten Scharmützel liefern. Nachts räumen die Ordnungskräfte das Gelände. Ein paar Tage später sind bis zu zwei Millionen Menschen auf der Straße.