Verhüllt ins Tutorium? Geht gar nicht!
Die Christian-Albrechts-Universität verbietet Gesichtsbedeckung im Hörsaal. Zu Recht.
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
14.02.2019

Eine angehende Ernährungswissenschaftlerin kommt im Dezember vollverschleiert ins Tutorium Botanik. Der Dozent ist irritiert. Er spricht die Frau darauf an; sie ist eine deutsche Konvertitin muslimischen Glaubens. Er will, dass sie Gesicht zeigt oder gar nicht am Tutorium teilnimmt. Es kommt zum Konflikt. Der Dozent leitet die Frage weiter ans Präsidium der Universität.

Ende Januar beschließt das Präsidium der Universität in einer Richtlinie ein Vollverschleierungsverbot. Kommunikation in Forschung, Lehre und Verwaltung müsse offen sein. Ein Gesichtsschleier behindere sie.

Die Richtlinie löste ein breites Echo aus. Sofort begrüßte die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien den Beschluss und kündigte eine Gesetzesinitiative gegen das Tragen von Gesichtsschleiern auch in den Schulen an.

Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff

Burkhard Weitz

Burkhard Weitz war als chrismon-Redakteur bis Oktober 2022 verantwortlich für die Aboausgabe chrismon plus. Er studierte Theologie und Religionswissenschaften in Bielefeld, Hamburg, Amsterdam (Niederlande) und Philadelphia (USA). Über eine freie Mitarbeit kam er zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" und war mehrfach auf Recherchen in den USA, im Nahen Osten und in Westafrika. Seit November 2022 betreut er als ordinierter Pfarrer eine Gemeinde in Offenbach.

Was die Universität richtig gemacht hat, hat die Bildungsministerin leider versemmelt. Passt der Gesichtsschleier, passt er nicht? So eine Frage ist unideologisch und ohne Grundsatzdebatten zu entscheiden.

Grundsätzlich gilt: Jede und jeder kann herumlaufen, wie sie oder er will – mit Helm, als Fabelwesen verkleidet oder mit religiösen Symbolen behängt oder verhüllt.

Und niemand muss solche Bekleidungsstücke gutheißen. Man kann sie auch grässlich und unpassend finden. Man kann in ihnen Zeichen des schlechten Geschmacks oder Symbole der Unterdrückung sehen. Man kann sie für eine gezielte Provokation halten. Man kann dagegen öffentlich protestieren.

Aber prinzipiell verbieten – das geht nicht! Wenn Menschen nicht mehr ihre Präferenzen ausleben können, sind sie nicht mehr frei.

Grundsätzlich gilt aber auch: Das Präsidium der Universität erlässt Richtlinien darüber, in welchem Rahmen der Universitätsbetrieb ablaufen soll, wie Forschung und Lehre in ihrem Bereich gestaltet werden sollen. Das Präsidium bestimmt über die Hausordnung. Eine Universität ist so gesehen nur ein halb öffentlicher Raum. Halb öffentlich, weil nicht jede und jeder sich auf alle ihre oder seine privaten Vorlieben berufen kann. Sondern hier unterliegt der Umgang miteinander einem Zweck: der Forschung und Lehre. Dass sie ungestört ausgeübt werden können, dazu dient die Hausordnung.

Aber der universitäre Raum ist eben nur halb öffentlich. Er ist nicht privat. Deshalb kann dort nicht – wie es im privaten Bereich theoretisch möglich ist – willkürlich jeder Unsinn in einer Hausordnung stehen. Das bedeutet: Ein Verbot in der universitären Hausordnung sollte sachbezogen und wohlbegründet sein. Und das trifft auf die Richtlinie der Christian-Albrechts-Universität definitiv zu.

Es lohnt sich, die Richtlinie der Universität im Wortlaut nachzulesen:

"Das Präsidium der CAU hat dafür Sorge zu tragen, dass die Mindestvoraussetzungen für die zur Erfüllung universitärer Aufgaben erforderliche Kommunikation in Forschung, Lehre und Verwaltung sichergestellt sind. Zu diesen Mindestvoraussetzungen gehört die offene Kommunikation, welche nicht nur auf dem gesprochenen Wort, sondern auch auf Mimik und Gestik beruht. Da ein Gesichtsschleier diese offene Kommunikation behindert, darf dieser in Lehrveranstaltungen, Prüfungen und Gesprächen, die sich auf Studium, Lehre und Beratung im weitesten Sinne beziehen, nicht getragen werden."

Wissenschaft ist offene Kommunikation. Vom Verdikt völlig unberührt bleibt daher das Tragen einer Vollverschleierung auf dem Campus außerhalb von Lehrveranstaltungen, betont entsprechend Boris Pawlowski, der Sprecher der Christian-Albrechts-Universität.

Etwas anderes hat die Bildungsministerin der Kieler Landesregierung vor. Sie will eine Grundsatzentscheidung für alle Schulen des Landes. Sie will in dieser Frage in das Hausrecht der Schulen hineinregieren. Doch die Entscheidung darüber, ob Schülerinnen den Nikab tragen dürfen oder nicht, gehört nicht ins Ministerium. Sie gehört in die jeweilige Schulkonferenz. In den seltensten Fällen muss überhaupt darüber entschieden werden. So häufig kommt das ja auch nicht vor, dass Mädchen in Deutschland vollverschleiert auf dem Schulhof erscheinen. Zudem kann eine Entscheidung je nach Schule durchaus unterschiedlich ausfallen. Woher soll die Ministerin auch wissen, was vor Ort und im jeweiligen Fall angebracht ist?

Wir sollten aufhören, den Streit um religiöse Symbole dogmatisch und grundsätzlich zu führen. Vollverschleierung ja oder nein – das muss praktisch entschieden werden. Natürlich ist ein Ausweisdokument mit einer Vollverschleierten absurd. Natürlich kann eine Landesregierung Lehrerinnen, kann eine Bank Beraterinnen, kann ein Krankenhaus Ärztinnen mit guten Gründen die Vollverschleierung am Arbeitsplatz untersagen. Das ist das gute Recht eines Dienstgebers – sofern er das Verbot sachbezogen begründet.

Aber das soll dort geschehen, wo es nötig und angebracht erscheint. Landesweite Direktiven, quasi vorab und präventiv, provozieren nur weitere Mädchen und Frauen, auszuprobieren, wie weit sie gehen können und selbst vollverschleiert für Aufsehen zu sorgen. Die Freiheit zu provozieren, die haben sie auch weiterhin in einem freien Land.

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Warum?

Die Sichtbarkeit der Mimik ist im wissenschaftlichen Betrieb irrelevant. Interpretation von Mimik ist äußerst unspezifisch, Interpretationsfehler sind wahrscheinlich, wo es in besonderem Maße auf Genauigkeit und Differerzierung mittels Kommunikation ankommt.

Wissenschaft wird vor allem auch erfolgreich in schriftlicher Form vermittelt, wo weder der Autor die Mimik des Lesers noch der Leser die Mimik des Autors sieht.

Dennoch ist die Entscheidung des Verschleierungsverbots richtig. Denn die Verhüllung ist ein Signal des Wunsches der Distanzierung der darunter befindlichen Frau von Männern hinsichlich Kontakt und Kommunikationsbereitschaft. Dies hemmt allerdings den Betrieb. Was aber allein durch das Ablegen der äußeren Verhüllung noch nicht erledigt ist, wenn die Einstellung bestehen bleibt.