Es ist unfassbar, was innerhalb weniger Jahre aus diesem Land geworden ist. Venezuela stand für stabile Verhältnisse, gute Gesundheitsversorgung, hatte das modernste Verkehrsnetz Lateinamerikas. Wenn ich heute durch die Straßen fahre, muss ich auf Schlaglöcher aufpassen. Öffentliche Verkehrsmittel gibt es kaum noch, die Menschen steigen stattdessen in Viehtransporter. Im Müll sehe ich Kinder und Halbwüchsige auf allen Vieren kriechen, auf der Suche nach Essbarem. Angesichts der Inflation können sich viele Menschen die wenigen Lebensmittel in den Supermärkten nicht leisten. Zwar gab es im August eine Währungsreform. Ein Karton Eier kostete danach nicht mehr sieben Millionen Bolívares, sondern 70 "souveräne Bolívares". Aber jetzt, drei Monate später, bezahlt man dafür schon wieder das Vierfache.
Arno Erdmann
Mehrere Millionen Venezolaner sind schon ausgewandert, vor allem in andere lateinamerikanische Länder. Fast jede Familie, die ich kenne, ist betroffen. Es gehen vor allem die jungen Leute. Die Älteren und Schwächeren kümmern sich um die Enkel und die Wohnungen. Sie können nur überleben, wenn ihre Angehörigen ihnen ausländisches Geld schicken. Viele Ärzte und andere Dienstleister nehmen ohnehin nur noch Devisen. Medikamente gibt es kaum mehr.
Der Exodus betrifft auch unsere deutsche Gemeinde. Bis zu 2000 Mitglieder hatten wir in den 1970er Jahren. Zurzeit sind es 150, von denen nur 30 den Gemeindebeitrag zahlen können. Trotzdem werden wir auch dieses Jahr einen Weihnachtsmarkt veranstalten und mit dem Erlös soziale Projekte unterstützen. Bei allem Elend beobachte ich: Viele, die selber nur das Nötigste haben, helfen anderen und haben etwa Tauschbörsen für Lebensmittel oder Medikamente eingerichtet. Die Solidarität unter den Menschen ist gewachsen.