Zurzeit reden wieder viele Leute von der "Mitte" der Gesellschaft. Offenbar wissen sie, wovon sie sprechen, können von der Mitte aus den gesamten Raum wahrnehmen. Denn gleichzeitig warnen sie vor der Ausgrenzung sogenannter Randgruppen oder wollen die Ränder des beschriebenen Bereiches vor Eindringlingen schützen. Neulich, in einer "mittigen" Runde, diskutierten ein paar Leute folgende Frage: Meint der Begriff die Mitte einer Linie, zwischen "links" und "rechts" oder zwischen "oben" und "unten"? Ist die Mitte das Zentrum eines Kreises oder gar einer Kugel?
Arnd Brummer
Unterschiedliche Standpunkte und Perspektiven öffnen neue Pfade. Neugierige Wanderer sehen in jeder "Grenze" eine Herausforderung: Wie es wohl jenseits dieser Line weitergeht? Das ist auf dieser Erde seit uralten Zeiten der natürlichste Zustand, lange bevor der Mensch die "zentrale" Rolle übernahm. Der Wert der "menschlichen" Entwicklung resultierte aus der Erkenntnis, dass die "Mitte des Lebens" variabel ist, dass "Grenze" nicht Ende, sondern Anfang bedeutet: Über Meere und Berge führte der Weg in die Zukunft. Dazu musste eben ein Floß erfunden und das Klettern trainiert werden.
"Ubi bene, ibi patria"
Die "Halt"- und "Stopp"-Rufer standen stets am Rand. Oft genug waren sie Vasallen von Herrschern, für die Grenzen Zeichen ihrer Machtansprüche darstellten. Ihre Gewalt konnte die Bewegung der Freien und Neugierigen erheblich behindern, manchmal auch über mehrere Jahrhunderte hinweg. Einen absoluten Stillstand erreichten sie nie. Dies gelang weder den römischen Kaisern mit dem "Limes", noch wird es Präsident Trump mit "the wall" an der mexikanischen Grenze schaffen. Die Beispiele belegen, dass Menschen "Grenze" stets als eine Markierung für andere betrachteten – nicht für die eigenen Ansprüche und Interessen. Das gilt für Kaiser und US-Präsidenten ebenso wie für Hungrige und Verfolgte.
Menschen wollen inmitten von Menschen sein – am besten dort, wo es ihnen gut geht. "Ubi bene, ibi patria" – "Wo es mir gut geht, bin ich zu Hause", schrieb der Satiriker Aristophanes (die originale, griechische Schreibweise wirkt so fremd, dass ich ihn hier wie fast alle lateinisch zitiere). In einer demokratischen Gesellschaft heißt deshalb "Mitte": Das gilt für alle. In der französischen Nationalversammlung wurde nach der Revolution von 1789 die Vielfalt der "Mitten" bis heute unübertroffen klar formuliert: "Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet. So hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen nur die Grenzen, die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuss der gleichen Rechte sichern. Diese Grenzen können allein durch Gesetz festgelegt werden." Tusch! Die Mitte ist eine Kugel im Weltraum der Freiheit!