Keine Kirchengemeinde entscheidet leichtfertig, ob sie Menschen Asyl gewährt. Jemanden aufzunehmen bedeutet, für Unterkunft und Essen zu sorgen und auch mal einen Arzt zu rufen. Es bedeutet, sich mit Behörden auseinanderzusetzen und Verantwortung zu übernehmen, jeden Tag. Das kostet Zeit und Geld und kann Pfarrer, Küster, Kirchenvorstände und Ehrenamtliche leicht an den Rand ihrer Kräfte bringen. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) befanden sich im Juni 780 Menschen in evangelischen und katholischen Gemeinden im Kirchenasyl. Seit Januar 2017 waren es 3481 Menschen.
Claudia Keller
Wie jetzt der Leiter des Berliner Büros der Deutschen Bischofskonferenz der Zeitung "Die Welt" sagte, haben 2017 aber nur die Hälfte der katholischen, evangelischen und freikirchlichen Gemeinden ein solches Dossier übermittelt. Dieses Versäumnis, ob absichtlich oder unabsichtlich, beschädigt das eh schon angeschlagene Vertrauen zwischen Kirchen und Staat weiter. Staatliche Behörden dürften sich in ihrem schon oft erhobenen Vorwurf bestätigt sehen, die Kirchen wollten sich mit dem Kirchenasyl über Recht und Ordnung hinwegsetzen.
Der neue Erlass ist unangemessen
Nun hat sich das Bundesinnenministerium eine Art Strafaktion ausgedacht. Wer sich nicht an die Regeln hält, muss die Flüchtlinge nicht sechs, sondern 18 Monate in der Gemeinde behalten. Erst dann zieht Deutschland ein Asylverfahren an sich, für das eigentlich ein anderer europäischer Staat zuständig wäre. Dieser Erlass zielt klar darauf ab, das Kirchenasyl zu erschweren. Aber das Innenministerium ist keine pädagogische Anstalt, und Christen sind keine staatsfernen Finsterlinge.
Es müsste im Interesse aller Beteiligten sein, den seit Jahren schwelenden Kleinkrieg zwischen Kirchen und Staat zu befrieden. Denn die Leidtragenden sind die betroffenen Flüchtlinge. Die Aussicht, womöglich 18 Monate eine Person oder gar eine Familie versorgen zu müssen, dürfte die Bereitschaft von Kirchengemeinden deutlich schwächen, jemanden aufzunehmen. Der andauernde Konflikt übers Kirchenasyl zeigt: Solidarität ohne Augenmaß kann genauso schädlich sein wie Augenmaß ohne Solidarität.