Zelte, so weit das Auge reicht. Staub, Hitze, Lärm, Geschäftigkeit, Enge. Dieses Lager am südostlichen Zipfel von Bangladesch wirkt wie eine riesige Stadt. Über 900 000 geflohene Rohingyas leben hier in selbst gebauten Behausungen aus Plastikplanen, Bambus und Lehm. Eine meiner Aufgaben: mithelfen, dass sie gegen Cholera ge impft werden. Innerhalb von sieben Tagen. Eine Mammutaufgabe. Aber es eilt. Bald beginnt die Regenzeit, und die Gefahr von Epidemien steigt. Zum Glück wird der Impfstoff geschluckt. Das geht deutlich schneller als spritzen.
Heidi Anguria
170 Impfteams mit insgesamt 800 Mitarbeitern und unzählige freiwillige Helfer sind vor Ort. Wir arbeiten uns von Süden nach Norden vor. Ich bin für vier Teams zuständig. Morgens um viertel vor sieben hole ich den Impfstoff beim Gesundheitsministerium ab. Wir impfen an Orten, an denen viele Menschen zusammenkommen: Schulen, Nahrungsmittelausgabestellen, Moscheen, Gesundheitsstationen. Oder wir gehen von Haus zu Haus, was viel zeitaufwendiger ist. Zusammen mit einem Mitarbeiter laufe ich den ganzen Tag von einem Team zum nächsten, bergauf, bergab, in einer Hitze, an die man sich nicht gewöhnen kann. Da hilft nur: trinken, trinken, trinken. Und immer weiterlaufen. Die Haare kleben mir am Kopf, der Schweiß rinnt ohne Unterlass, und obwohl ich dauernd trinke, muss ich nie auf die Toilette. Es bleibt keine Zeit zum Essen. Also gibt es eben Nüsse oder Gurken, die wir schnell auf einem der vielen kleinen Märkte kaufen.
Nicht nur wir, auch andere rennen gegen die Zeit an. Vor dem anrückenden Monsun müssen Unterkünfte gesichert werden, Wasserstellen und Latrinen gebaut, Menschen innerhalb des Camps umgesiedelt werden. Einige Hänge sind bereits abgerutscht, es gab Tote und Verletzte. Und daneben holt die Flüchtlinge die Vergangenheit immer wieder ein. Frauen, die im Sommer 2017 – auf dem Höhepunkt des Konflikts in Myanmar – vergewaltigt und geschwängert wurden, gebären jetzt ihre Kinder. Sie bringen die Babys meist in ihren engen Zelten zur Welt, "zu Hause" mag ich gar nicht schreiben. Im Camp geborene Kinder bekommen keine Geburtsurkunde, haben keine Staatsangehörigkeit, erhalten keinen Flüchtlingsstatus.