chrismon: Haben Sie eine Vorstellung von Gott?
Roberto Saviano: Immer wieder lese ich die Schriften der vier großen Reporter, der Evangelisten. Ich bin nicht gläubig, aber in Momenten tiefer Verzweiflung war ich wiederholt in einer Kirche oder Synagoge, um mich zu sammeln. Dann versuche ich zu glauben, dass es eine Transzendenz geben könnte. Ich spüre gern die Anwesenheit Gottes.
Hat das Leben einen Sinn?
Viele Jahre bestand er für mich im Kampf gegen kriminelle Organisationen. Heute habe ich Mühe, darin noch ein Motiv zu erkennen. Ich bin sehr müde. Obwohl – meine Bücher haben etwas verändert, viele Verbrecher sind verhaftet worden. Deshalb versucht die Mafia, mich aus dem Weg zu schaffen, sie haben Angst vor dem Wort. Aber mein Zutrauen schwindet, dass sich die Dinge grundsätzlich zum Besseren wenden.
Roberto Saviano
Fürchten Sie den Tod?
Seit zwölf Jahren wird mir mindestens einmal pro Woche mein Tod angekündigt. Man hat mir oft ausgemalt, wie mein Ende aussehen werde. Trotzdem habe ich niemals Angst davor gehabt, auch nicht vor Schmerzen. Ich habe aber große Angst, weiter so zu leben wie jetzt. Früher glaubte ich noch daran, dass es irgendwann vorbei sein wird. Inzwischen bereue ich es, "Gomorrha" so geschrieben zu haben, ich würde es bedachtsamer verfassen.
Wie gehen Sie mit Schuldgefühlen um?
Das ist mein großes Ding, das größte überhaupt. Mir selbst gegenüber habe ich Schuldgefühle, mein Leben hätte leichter und fröhlicher sein können. Aber vor allem habe ich sie gegenüber meiner Mutter und meinem Bruder. Sie müssen mich verleugnen, mein Bruder sagt nie, dass er mein Bruder ist. Eine Scheinrealität, die sie psychisch stark beeinträchtigt. Sie haben mir nie Vorwürfe gemacht, aber ich spüre ganz stark diese Last, die ich ihnen bereite. Ich habe Philosophie studiert. Meine Familie hat wohl von mir erwartet, dass ich ein hoffnungsvoller Nachwuchswissenschaftler werde – und dann platzte dieses Buch über die Mafia rein. Ihre Haltung war: Wie konntest du dir das antun? Dir so dein eigenes Grab schaufeln?
Wem können Sie noch vertrauen?
Da ist dieses ständige Nachbohren in den dunklen Seiten einer Persönlichkeit. Lädt mich jemand zum Essen ein, frage ich mich: Was will der von mir? Ich habe mir eine Methode zurechtgelegt: Vertrauen nach Quote. Es gibt Menschen, denen ich zu 90 Prozent vertraue, zu 50 Prozent oder nur zu 10 Prozent – aber keinem gebe ich 100 Prozent. Auch nicht den Leibwächtern. Ich fürchte gar nicht mal, dass sie mich an die Mafiaorganisationen verkaufen könnten, aber man weiß nie, wo bestimmte Informationen hingeraten. Viele meiner Landsleute hassen mich. Teile der Presse und manche Politiker versuchen, mich fertigzumachen. Ich habe das Gefühl, ständig beobachtet zu werden. Ich höre auch immer wieder: Wenn du nach zwölf Jahren noch am Leben bist, kann es so schlimm mit der Mafia nicht sein. Dauernd muss ich mein Dasein rechtfertigen.
Welche Liebe macht Sie glücklich?
Damit kenne ich mich nicht so gut aus. Wenn ich einige Tage in Frieden leben kann mit Menschen, denen ich zu einem hohen Prozentsatz vertraue, ist das so etwas wie Liebe. Aber auch all das, was mir weitere Erkenntnis verschafft, bedeutet für mich Liebe, weil sie mir erlaubt, mich von diesem Zynismus, dieser Unmenschlichkeit zu entfernen – und weil sie mich antreibt, morgens aufzustehen. Da ist immer dieses Dunkel, das mich umgibt, das mich bedroht. Ich fürchte, ich hatte schon öfter eine Depression.
Wer oder was hilft aus der Krise?
Es war für mich wichtig zu erkennen, welch hohen Preis andere Schriftsteller zu zahlen hatten. Warlam Schalamow verbrachte 20 Jahre im Gulag, Tommaso Campanella fast 30 Jahre im Gefängnis. Insgesamt habe ich Glück gehabt. Denken Sie nur an den slowakischen Journalisten Ján Kuciak, der unlängst ermordet wurde. Vielleicht könnte ich irgendwann wieder normal leben, wenn ich keine Artikel und keine Bücher mehr schreiben und nie mehr öffentlich Position beziehen würde. Vor allem dürfte ich keinen Fuß mehr auf süditalienischen Boden setzen. Das ist für mich ein außerordentlich wunder Punkt, weil ich selber schuld daran bin, dass ich so leben muss.
Bitte , die Apostel nicht als
Bitte , die Apostel nicht als "Reporter" zu bezeichnen. Sie werden dann so gewöhnlich !
"Wem können Sie noch vertrauen ? " Wie kann man auf eine so suggestive Frage überhaupt noch antworten?
Der Unterschied zwischen dem Apostel und dem Reporter ist gravierend : der Apostel meinte, was er sagte, der Reporter fragt Sie einfach aus, sie selbst sind ihm gleichgültig.
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Reporter
Reporter waren sie wohl in der Tat nicht, eher Redakteure. Aber sehr wohl gewöhnlich. Gott arbeitet bekanntlich ganz gerne mit gewöhnlichen Menschen.
Ob die Apostel meinten, was sie sagten: Wer will das wissen. Es hängt ja auch viel vom Leser ab und von seiner/ihrer Interpretation. Kein Autor hat es in der Hand, alles gemeint zu haben, was da geschrieben ist...
Aber warum nicht mal bei einer kleinen Verfremdung ins Nachdenken kommen.
Dieser Autor kommt in seinem Schicksal dem Gekreuzigten sehr nahe. Wie muss das für Jesus gewesen sein: Zu wissen, sie können mich jederzeit holen...
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