Illustration aus der neuen Kinderbibel von Britta Teckentrup
Morgenstimmung am Fluss: Mose im Schilfkorb, Schwester Mirjam und die ägyptische Prinzessin
Brita Teckentrup
„Bilder aus meiner Kindheit“
Britta Teckentrup malt so schlicht und so stimmungsvoll. Nun auch für eine neue Kinderbibel – obwohl sie selbst ihren Glauben längst verloren hat
14.03.2018

chrismon: Sie haben gerade eine Bibel illustriert: Auftragsarbeit oder Herzenswunsch?

Britta Teckentrup: Der Verlag hat mich gefragt, ob ich Lust dazu hätte, ja. Aber weil ich sehr frei und künstlerisch arbeiten durfte, ist es dann immer mehr ein Herzensprojekt geworden.

Die Bibel ist Ihrem Vater gewidmet. Warum?

Weil mein jetzt 79-jähriger Vater religiös ist und 
aktiv in der Kirche war. Ich weiß, dass er stolz darauf ist, dass ich jetzt eine Bibel illustriert habe. Ich bin sehr katholisch erzogen worden. Aber dann war mein Vater enttäuscht, weil ich nicht religiös geblieben bin. Deshalb ist das jetzt ein Geschenk an ihn: sozusagen zum Ausgleich. Er hat sich sehr gefreut.

arsedition 2013

Britta Teckentrup

Britta Teckentrup ist 1969 in Hamburg geboren und in Wuppertal aufgewachsen. Mit 18 Jahren ging sie zum Studium nach London. Sie studierte Illustration und Kunst am renommierten St. Martins College and Royal College of Arts, an dem auch Judith Kerr und Axel Scheffler ihre Ausbildung machten. Seit 1993 ist sie Bilderbuchmacherin. Sie illustriert und textet gleichermaßen. Ihr Werk umfasst über 90 Titel, die in etwa 20 Länder verkauft werden. Nach 17 Jahren in Großbritannien lebt sie jetzt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Berlin. Ihr Buch „Alle Wetter“ wurde 2016 in der Sparte Sachbuch für den Jugendliteraturpreis nominiert.

An was glauben Sie?

Ich glaube nicht an den einen wahren Gott. Vielleicht gibt es da etwas, aber das ist dann übergreifender als alle Religionen. Es hat mich schon immer gestört, dass jede Kirche sich als wahre Kirche versteht. In meiner Kindheit gab es immer dieses „Wir und die“, also Katholiken und Protestanten. Jetzt werden Christentum und Islam gegeneinander ausgespielt. Dabei geht es doch nur um Macht und Unterdrückung.

"Ich war mit 20 eher punkmäßig drauf"

Wodurch kam der Bruch mit der katholischen Kirche?

Es war kein Bruch, eher eine Entwicklung.­
Ich war auf einer katholischen Schule und musste jeden Sonntag in die Kirche gehen. Aber so mit 20 Jahren war ich eher punk­mäßig drauf und passte gar nicht mehr in ­unsere ­Gemeinde. Ich war viel offener in ­meinen ­Ansichten als die Leute dort. Das war Anfang der 1990er Jahre. Ich hatte damals zum Beispiel einen schwulen Freund. Das war noch etwas anderes als heute. Ich bin wohl einfach aus diesem engen Milieu herausgewachsen, habe dann ja auch in England gelebt.

Warum haben Sie trotzdem einen Bezug ­
zur Bibel behalten?

Na ja, ich bin getauft und zur Kommunion gegangen und war auf dieser katholischen Schule. 
Außerdem ist mein Vater immer mit uns nach Italien gereist. Ich habe in meiner Kindheit so viele Kirchen besucht wie andere nicht in ihrem ganzen Leben. Ich habe wirklich sehr viele religiöse Bilder gesehen, auch zu Hause. Diese Bilder haben mich schon sehr geprägt. Deshalb konnte ich sie auch ganz leicht wieder hervorholen. Ich musste gar nichts nachlesen.

Die Bibeltexte, zu denen Sie illustriert ­haben, sind von Barbara Bartos-Höppner. Wie finden 
Sie die Texte?

Sehr gut, einfach, reduziert, in einer Sprache geschrieben, die für heutige Kinder gut verständlich ist. Die entsprechende Bibel dazu gibt es schon seit zwanzig Jahren. Jetzt wollte der Verlag eine moderne, künstlerischere ­Illustration.

Ein Schwarm Vögel flattert auf vielen Seiten der Kinderbibel

Auf das Vortitelblatt Ihrer Bibel setzen
Sie eine weiße Taube mit einem Zweig im Schnabel. Die Taube taucht immer wieder auf. 

Ich habe das nicht bewusst eingesetzt. Die Taube, die Noah auf der Arche vom Land kündet, ist bekannt. Aber sie ist ja auch das Symbol des Heiligen Geistes, eine Verbindung zwischen Erde und Göttlichem. Und darum geht es ja oft in der Bibel.

Auf der ersten Seite fliegt dann ein Schwarm Vögel ins Bild, und sie flattern auf vielen ­Seiten weiter. Warum?

Ich habe mit den Paradiesbildern ange­fangen. Da wurden ja auch die Vögel erschaffen. Und dann flogen sie bei mir von diesen ersten ­Seiten bis zu den letzten und haben alles verbunden. Vögel haben doch etwas Himmlisches, Geistiges, sie stehen für die Himmelsbeziehung.

"Meine Bilder haben einen Zauber, eine Poesie"

Welche Art Bibelbilder wollten Sie schaffen?

Künstlerische Bilder, die das Emotionale ansprechen. Die eine Stimmung ausstrahlen, durch die man sich direkt ins Bild gezogen fühlt. Nicht welche, die man anschaut und bei denen man sagt, das ist der und das ist die. Eher so, wie wenn man früher ein ­Märchenbuch gelesen hat. Manche Bibeln, die ich kenne, sind sehr trocken. Meine ­Bilder ­haben wohl ­einen gewissen Zauber, eine ­Poesie. Sie ­wirken warm. Ich arbeite auch stark mit Licht und Schatten. Zuerst sind ­meine Bilder immer dicht und voll. Dann fange ich an zu streichen, bis nicht mehr viel übrig bleibt. Aber ich kann sie nicht von vorneherein so gestalten. Es ist wirklich eine allmähliche Reduktion auf das Wesentliche.

Warum haben Sie diese typischen Motive 
gewählt: Jona im Wal, David mit der Stein-
schleuder vor Goliat, Jesus und die Fischer 
mit dem vollen Fischernetz?

Es sollte eine klassische Kinderbibel werden. Bei den ersten Bildern bin ich einen extrem künstlerischen Weg gegangen, aber da hat man mir im Verlag gesagt, sie wären zu abs­trakt für Kinder. So ist der Mittelweg entstanden: eine Familienbibel zwischen künstlerischer Erwachsenenbibel und klassischer Kinderbibel. Etwa das Bild von dem Wal, in dem ein ganzer Mann steckt: Das ist das Wesentliche. Wenn ich das abstrakter dargestellt hätte, wäre es ja eher das, was man als Erwachsener in diese Geschichte hineinliest. Vielleicht für uns spannender, aber Kinder würden es nicht verstehen. Sie müssen die ­alten Geschichten ja erst einmal kennen­lernen. So habe ich zwar viele typische ­Szenen illustriert, aber hoffentlich so, wie man sie nicht schon tausendmal gesehen hat. Da wirkt das Netz mit den Fischen zum Beispiel viel größer als Jesus und die Jünger im Boot. Die Perspektive, die Farben und das Licht: Das ist meine künstlerische Umsetzung.

Warum sollten Kinder die Bibel kennen­lernen?

Da fragen Sie mich was. Vielleicht ja auch nicht . . .

Nun haben Sie gerade eine illustriert.

Wenn die Familie religiös ist, ist es ja total schön, wenn ein Kind so erzogen wird. Und wenn die Familie dann so ein Buch hat, das 
sie im Leben so begleitet und das ein Schatz für das Kind ist. Aber ich bin da nicht so ­leidenschaftlich, dass jedes Kind eine haben müsste. Unser Sohn hat keine! Jetzt ist er auch schon 16.

Noch ehe sich der Löwe versieht, macht es flupp, und Hirte David hat wieder ein Schaf gerettet

Über welche Bilder haben Sie am längsten nachgedacht?

Ganz klar: die Kreuzigung und das Abendmahl. Da habe ich dann übrigens auf das ­Typische verzichtet: Ich hatte diese Bilder vom heiligen Sebastian im Kopf, der an der Seite durchstochen war – so etwas Blutgetränktes wollte ich vermeiden. Jetzt stehen da drei Kreuze auf einem Hügel in der Ferne, unten hält Johannes Maria im Arm. Und beim Abendmahl wollte ich auf keinen Fall Leonardo da Vinci nacheifern – das typische Bild mit den sitzenden Jüngern. Es sind dann zwei Bilder geworden: Auf dem einen ­stehen die Jünger, Jesus in der Mitte mit erhobenen Händen. Auf dem zweiten, lichtdurchflutet, sieht man außen diese Hände in Groß, dazwischen den Kelch und das Brot.

Warum haben Sie manche Gesichter be­sonders groß gezogen?

Ich bin da herangegangen wie an die Landschaftsmalerei. Rebecca und auch König ­David schauen einen direkt an und ziehen ins Bild. Das ist wie ein atmosphärischer Sog. So habe ich Menschen übrigens noch nie dargestellt.

Ihre künstlerischen Vorbilder?

Ein Einfluss ist vielleicht die italienische ­Freskenmalerei, die ich als Kind in den ­Kirchen gesehen habe. Und Peter Doig. Das ist ein moderner schottischer Maler, dessen Landschaftsbilder ich sehr gerne mag.

"Ich entdecke oft aus dem Zufall etwas"

Wie arbeiten Sie?

Mit bedrucktem Papier, also mit ganz viel Struktur. Früher habe ich daraus ausge­schnitten. Jetzt scanne ich die Papiere ein und bearbeite sie dann am Computer weiter. ­Meine Bilder sind also eine Mischung aus handgemachter und digitaler Collage. Ich weiß oft selbst erst nicht, wie ein Bild aussehen wird. Wenn ich strukturiertes Papier nebeneinanderlege, entdecke ich oft aus Zufall etwas. Aus diesen Überraschungen entsteht dann das Bild. Das ist sehr schön und kreativ für mich. Eine ganz intuitive Herangehensweise.

So entstehen atmosphärisch dichte Bilder. Sie haben auf die Weise sogar ein Buch nur über verschiedene Wetterlagen gemacht.

Ich habe etwa versucht, eine Abendstimmung oder einen Regentag einzufangen. Oder den ersten Tag im Schnee. Die Bilder sind aus ­meinen Kindheitserinnerungen entstanden, teilweise sind es Orte, an denen ich als Kind war. Ich habe angefangen zu illustrieren und erst aufgehört, als ich wusste, jetzt fühlt es sich genauso an wie damals. Da kommen Bilder von einem Tag hoch, an dem ich mit meiner Oma da und dort spazieren war. Und die muss ich dann aufs Papier bringen. Es hat mit Erinnerung zu tun, mit Gefühl, mit Seele.

In Ihrer Bibel auch?

Ja, genau. Wetterbuch und Bibel unterscheiden sich da nicht: Beide holen die Bilder aus der Kindheit hoch. Nur dass in der Bibel viel mehr Menschen vorkommen.

Noch weiß Isaak nicht, dass er gleich seine zukünftige Frau Rebekka am Brunnen von Harran trifft

Sie haben auch ein Kunst-Sachbuch über das Ei und seine vielfältigen Erscheinungsformen gestaltet. Nächstes Jahr erscheint eins über den Mond. Was reizt Sie an dieser Form?

Ich habe freie Kunst in London studiert. Ich habe Bilderbücher lange Zeit nur gemacht, um Geld zu verdienen. Ich habe sogar noch ­meinen Master in freier Kunst gemacht und schon erste Ausstellungen. Kunst und Bilderbuch waren auch in meinem Kopf immer getrennt. Erst mit dem Wetterbuch konnte ich diese beiden Seiten ver­einen. Dadurch stehe ich jetzt vollkommen hinter dem, was ich mache. Bücher wie „Alle Wetter“, „Die Bibel“, „Das Ei“: Das bin jetzt vollkommen ich.

Sie leben mitten in Berlin und haben vorher lange in London gelebt. Ihre Bücher zeigen dafür aber ganz schön viel Natur.

Vielleicht ist es der Natur- und Tierentzug. Natur und Tiere inspirieren mich total, weil ich sie hier nicht dauernd um mich habe. Ich könnte nicht dauerhaft auf dem Land leben. Ich bin kein Naturmensch, ich renne zum Beispiel vor Bienen davon. Aber die Natur ­fasziniert mich. Ihre Formen, ihre Strukturen. Mein Mann hat eine Ei-Sammlung. Das war der Auslöser für mein Buch über das Ei. ­Darin geht es um die vielen wunderschönen und ganz unterschiedlichen Arten von Vogeleiern, aber auch um das Ei in der Mythologie, der sakralen Kunst und der Goldschmiedekunst.

Wo haben Sie als Kind gelebt?

In Wuppertal, aber weit draußen, am Wald. Da war ich auch viel draußen, mit Freunden im Wald.

Britta Teckentrup, Barbara Bartos-Höppner: Die Bibel. Ars Edition, 160 Seiten, 25 Euro

Wie holt man Bilder aus der Kindheit hervor, ohne die Natur zu idealisieren?

Es gibt ja nicht nur schöne Erinnerungen. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass ich mit zehn, zwölf Jahren immer an einem Wald entlanglaufen musste, der total dunkel war. Das war beängstigend. Beim Wetterbuch ­musste mich mein Verlag auffordern, auch die ­Sonnenbilder nicht zu vergessen, weil viele erst eher die düsteren Stimmungen einfingen.

Welche Frage beschäftigt Sie im Moment am meisten?

Ich finde es schrecklich, dass die Weltoffenheit jetzt wieder in vielen Ländern abnimmt. Wir müssen den Mut haben, offen zu bleiben, uns das immer wieder trauen.

Was ist für Sie das größte Geheimnis?

Das Leben und der Tod. Ich hatte in der Schule Biologie, Kunst, Englisch und Philosophie als Hauptfächer im Abitur. Das ist meine Welt.

Produktinfo

Britta Teckentrup, 
Barbara Bartos-Höppner: Die Bibel. Ars Edition, 
160 Seiten, 25 Euro

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.