„Ich erzähl’ mal eine Geschichte“, sagt Volkert Ruhe. 1996 hatten drei Häftlinge in der Hamburger Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel die Idee, einen Verein zu gründen. Einer aus diesem Trio, berichtet Ruhe, sei als Jugendlicher in einem schwierigen sozialen Umfeld auf die schiefe Bahn geraten. Er verlor Arbeit und Wohnsitz, erhielt als Obdachloser Sozialhilfe und beschloss, sein Leben zu ändern. Er reiste nach Südamerika, kam in Kontakt zu Drogenhändlern. „Er stieg in den Drogenschmuggel ein. Das ist ein paar Mal gutgegangen. Aber ein Mal nicht mehr. Er wurde verhaftet, von Südamerika nach Deutschland abgeschoben und in Hamburg zu dreizehn Jahren Haft verurteilt, von denen er acht Jahre absaß.“
Da saß der Mann also in „Santa Fu“ im Knast. Selbstmordgedanken beschlichen ihn. Was sollte jetzt noch aus ihm werden? Volkert Ruhe: „Da kam ihm die Idee, junge Menschen vor dem selben Schicksal zu bewahren.“ Frühzeitig musste man ihnen zeigen, welche Risiken auf einem Weg in die Kriminalität lauerten. Zusammen mit den beiden Kumpels wollte der Häftling junge Leute zu einem Knastbesuch einladen.
Die Gefängnisleitung fand die Idee des Trios gut. Doch „so einfach“ Schülerinnen und Schüler zu einem Besuch einladen? Da hatten die Verantwortlichen eine lange Reihe von Fragen, vor allem zum Thema Sicherheit, die erst einmal geklärt werden mussten. Gut zwei Jahre dauerte es, bis „Gefangene helfen Jugendlichen“ umgesetzt werden konnte.
Eine Präsentation im Hamburger Obdachlosen-Magazin „Hinz&Kunzt“ öffnete 1998 die Türen. Ruhe: „Zu einem Treffen in Fuhlsbüttel kamen die Justizsenatorin, Leute aus der Schulbehörde, aus Kirche und Diakonie. Sie waren sich rasch darin einig, dass Begegnungen zwischen Gefangenen und Jugendlichen eine große Chance darstellen, Gewalt und Kriminalität bereits im Ansatz zu verhindern.“ Und so konnte die Arbeit unter dem Dach der Hamburger Diakonie beginnen.
Die Geschichte, die Volkert Ruhe erzählt, ist seine eigene. Ende November 2017 konnte er sie auf einer Bühne in der katholischen Akademie in Berlin präsentieren. Denn dort erhielt „Gefangene helfen Jugendlichen“ den „innovatio 2017“. Der „Sozialpreis für caritatives und diakonisches Handeln“ wurde gestiftet von „Versicherer im Raum der Kirchen“ und ist mit insgesamt 30 000 Euro dotiert. Das Siegerprojekt kann sich über 10 000 Euro freuen.
In seiner Laudatio stellte Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes, fest: „Ausgehend von der eigenen Erfahrung wollen sie Jugendliche vor einem ähnlichen Schicksal bewahren. Diese Haltung, aus einer negativen Erfahrung heraus etwas Positives zu gestalten, ist beeindruckend.“ Oftmals mangele es Jugendlichen „an Bezugspersonen, sinnvollen Freizeitbeschäftigungen oder an stabilen Familienverhältnissen. Nicht selten erleben sie Armut, Frustration und Gruppendruck, viele haben Probleme mit Alkohol und Drogen“, erklärte Neher. „Jugendliche brauchen jemanden, der sich um sie kümmert, der sie anerkennt und ihnen Perspektiven zeigt.“ Genau dies leiste das ausgezeichnete Projekt.
Und Ulrich Lilie, Präsident von Diakonie Deutschland, ergänzte: „Seit der Gründung des Vereins haben 20 000 Jugendliche von diesem Engagement profitiert. Viele von ihnen haben danach – so sieht es jedenfalls ein Teilnehmer – die ‚Finger vom Scheißebauen‘ gelassen. Mittlerweile ist der Verein mit ehemaligen Straftätern auch präventiv in Schulen tätig und bietet Anti-Gewalt- und Deeskalationstrainings an. Das Programm macht zudem Schule: Es ist jetzt auch an anderen Standorten in Deutschland erfolgreich“, schloss Lilie.
In diesem Jahr haben die Initiatoren des „innovatio“-Sozialpreises erstmals auch einen Publikumspreis ausgeschrieben. Internet-User kürten „wort.los“ der Caritas-Werkstätten Fulda unter den 148 eingereichten Projekten mit 6770 Stimmen zum Preisträger. „wort.los“ schult Menschen, die sich schwer sprachlich ausdrücken können, und jene, die ihnen begegnen, sich einander verständlich zu machen – mit Gesten, Gebärden, Fotos und elektronischen Hilfsmitteln.