Sie liebte Tiere, hatte sie lieber als Menschen. In ihrer Wohnung hielt Olympe de Gouges zum Beispiel Vögel und sprach mit ihnen. Ihren Zeitgenossen erschien das so kauzig, dass sie es erwähnenswert fanden. De Gouges war das egal. Sie war eine Herausforderung für ihre Mitmenschen. Sie wollte nicht Frau sein, wie es sich gehörte. Sie wollte die Gesellschaft befreien.
Vermutlich 1748 wurde „Marie Gouze“ im südfranzösischen Montauban in eine einfache Familie geboren, als „Bastard“, chancenlos. Noch nicht erwachsen, wurde sie verheiratet, brachte einen Sohn zur Welt. Aber sie entkommt ihrem Los mit Glück.
Ihr Mann stirbt, und sie, um die zwanzig, flieht mit ihrem Sohn nach Paris, weg von allen, die über sie bestimmen könnten. Aus Marie Gouze wird Olympe de Gouges, die endlich lesen lernt, aufklärerische Philosophen studiert und Bildungszirkel besucht, in denen Intellektuelle eine Reform des Staates diskutieren. Frauen haben dort zwar Zugang. Aber eine Frau, die öffentlich in intellektuellen Diskursen und in der Politik mitmischen will, riskiert ihren Kopf.
Die Warnung ihres engsten Freundes, des Philosophen Louis-Sébastien Mercier, schlägt sie in den Wind: „Trotzdem Sie eine Frau sind“, sagt er, „sind Ihre Schriften zu nachdrücklich und öffentlichkeitswirksam für einen Zeitpunkt, an dem man die Wendung befürchtet, die Sie vorbereiten.“ Sie weiß, was droht: Verleumdungen, Übergriffe, Prozesse und auch das Auspeitschen durch andere Bürger, während Schaulustige johlend dabeistehen, eine Methode, um vorlaute Weiber zur Räson zu bringen.
Sie erregt Anstoß, gilt als Kurtisane, obwohl sie mit einem Unternehmer insgesamt 17 Jahre lang fest liiert ist – aber eben nicht verheiratet. Sie will nach ihren unfreien frühen Ehejahren unabhängig bleiben, schreiben, veröffentlichen, am liebsten als Politikerin gegen Unrecht kämpfen. Es geht ihr um das Wohl der Gesellschaft.
Ihr erstes Theaterstück fordert das Ende der Sklaverei. Ein Skandal. Ebenso viel Trubel verursacht ein weiteres über die Abschiebung von Frauen in Klöster. Das Zeitgeschehen kommentiert sie mit Plakaten und Flyern. Sie wird zu einer der lautesten Stimmen der Revolution. Mit Ideen, die ihrer Zeit weit voraus sind: Sozialstaat, Wohlfahrtseinrichtungen, Altenheime. Besonders weitsichtig: ihre „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ und der Vorschlag zu einem Gesellschaftsvertrag zwischen Gleichberechtigten, der die Ehe ersetzen soll. Die neue Verfassung von 1791 berücksichtigt nichts davon.
Die Warnung ihres Freundes? Sie beherzigt sie nicht, vergisst sie aber nicht. Olympe de Gouges schreibt: „Selbstbewusst und selbstlos wie dieser nämliche Mercier wurde ich umso umtriebiger.“ Mercier soll recht behalten. Sie muss sich ständig gegen Verleumdungen wehren und erlebt, wie ihre Stücke und Beiträge abgelehnt werden – und andere sich ihre Ideen zu eigen machen. „Große Entdeckungen verdanken wir einer ungebildeten Frau“, schreibt der Politiker Gabriel Mirabeau. Während der Revolution gerät sie vollends zwischen die Fronten, als sie erst das Vorgehen des Königs kritisiert, dann die Gewalt der Revolutionäre und davor warnt, den König zu töten.
Das wird gefährlich. Sympathisanten von Robespierre setzen Schläger auf sie an. Nachbarn wollen sie auspeitschen. Als Robespierres Terrorherrschaft beginnt, gerät de Gouges in einen Komplott und wird 1793 hingerichtet. Dokumente über die lästige Frau werden vernichtet, ihre Ideen verschwinden in der Versenkung. Noch Jahrhunderte später stempeln Geschichtsschreiber sie als von der „paranoia reformatoria“ besessen ab. Bis heute ist die „Staatsfeindin“ nicht rehabilitiert, ihr Lebenswerk nicht vollständig erforscht.
Eine verwegene Bürgerin
Einen guten ersten Einblick in die Bedeutung der Schriftstellerin geben die Artikel auf der Website olympe-de-gouges.info. Sie befassen sich auch mit der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin. Olivier Blanc hat mit der Biografie „Olympe de Gouges“ (Promedia Verlag, Wien) versucht, ihr Leben umfassend wiederzugeben. Ihr Gesamtwerk ist – auf Französisch – erhältlich bei cocagne-editions.fr