Man muss mit allen reden
Helmut Kohls große Gabe war die freundschaftliche Kommunikation
Lena Uphoff
27.07.2017

"Jetzt flattert die Spalterflagge über dem Kanzleramt!", tobten konservative CDU-Politiker im ­September 1987, als Bundeskanzler Helmut Kohl DDR-Chef Erich Honecker mit militärischen Ehren in seinem Bonner Amtssitz empfing. Kohl bog, wie so oft, die Unterlippe und raunzte: "Wer was bewegen will, muss mit allen reden."

Lena Uphoff

Arnd Brummer

Arnd Brummer, geboren 1957, ist Journalist und Autor. Bis März 2022 war er geschäftsführender Herausgeber von chrismon. Von der ersten Ausgabe des Magazins im Oktober 2000 bis Ende 2017 wirkte er als Chefredakteur. Nach einem Tageszeitungsvolontariat beim "Schwarzwälder Boten" arbeitete er als Kultur- und Politikredakteur bei mehreren Tageszeitungen, leitete eine Radiostation und berichtete aus der damaligen Bundeshauptstadt Bonn als Korrespondent über Außen-, Verteidigungs- und Gesellschaftspolitik. Seit seinem Wechsel in die Chefredaktion des "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts", dem Vorgänger von chrismon im Jahr 1991, widmet er sich zudem grundsätzlichen Fragen zum Verhältnis Kirche-Staat sowie Kirche-Gesellschaft. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt kulturwissenschaftlichen und religionssoziologischen Themen. Brummer schrieb ein Buch über die Reform des Gesundheitswesens und ist Herausgeber mehrerer Bücher zur Reform von Kirche und Diakonie.

Wenn der Kanzler am frühen Abend eine Flasche Wein unter den Arm klemmte und zu Ecki Seeber, seinem Chauffeur, sagte: "Jetzt fahren wir zum Nachbarn", dann wusste der, wohin die Fahrt ging. Nach Unkel, auf der anderen Seite des Rheins, zu Altkanzler Willy Brandt. Eines dieser Treffen erwies sich als außerordentlich wichtig für die Vereinigung Deutschlands. Helmut erzählte Willy, dass Frankreichs Präsident François Mitterrand zaudere, den von Kohl vorgeschlagenen Weg mitzugehen. Brandt, noch Chef der Sozialistischen Internationale (SI), riet dem Gast, doch mal mit dem jungen spanischen Regierungschef Felipe González zu reden. Der sei die Zukunftshoffnung der Sozialisten in Europa und ausgesprochen kooperativ.

Kohl wollte ein "europäisches Deutschland" und kein "deutsches Europa"

Dass Kohl dem Rat gefolgt ist und sich ein freundschaftliches Miteinander zwischen dem Kanzler und González entwickelt hat, war beim europäischen Staatsakt zum Tode Kohls am 1. Juli in Straßburg zu hören. Trauerredner González beschrieb ebenso wie der luxemburgische Kohl-Zögling Jean-Claude Juncker und Expräsident Bill Clinton (USA), dass die persönliche Kommunikation bei Pfälzer Saumagen und einem Gläschen die große Gabe des verstorbenen Kanzlers der Einheit gewesen sei.

Die Würdigung seiner Leistungen für Deutschland und Europa war durch und durch angemessen. Kohl wollte in der Tat ein "europäisches Deutschland" und kein "deutsches Europa". Dass er innenpolitisch und vor allem im Umgang mit seinen sogenannten Partei­freunden wenig zimperlich, ja bisweilen höchst un­kollegial sein konnte, darf ebenso erwähnt werden wie seine unsaubere Haltung in der Parteispendenaffäre. Bleibt zu hoffen, dass die gegenwärtig agierende Politikergeneration wie auch die folgenden sich seiner zutiefst demokratischen Grundhaltung des offenen Dialogs gerade in Krisenzeiten erinnern. Miteinander zu sprechen – mit Erdoğan, mit Putin, mit Trump – ist sinnvoller, als laute Fensterreden zu halten.

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