Theologieprofessor Martin Leiner berichtet von seinen Forschungen in Afrika, Israel und anderen Krisengebieten
Das Theater Pablo Tobón organisiert zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen eine Stadtführung durch das Zentrum von Medellin um auf die lokale Geschichte der Gewalt aufmerksam zu machen und die Bewohnerinnen und Bewohner zu sensibilisieren. An diesem Tag nahmen auch die Friedenforscher Prof. Dr. Martin Leiner (Uni Jena) und Josefina Echavarria Alvarez (Uni Innsbruck) an der Führung teil. Im Bild: Martin Leiner (in blauer Jacke) präsentiert seine Arbeit und Einschätzung zum Friedensprozess in Kolumbien, während Josefina Echavarria Alvarez dies übersetzt. Copyright: Nick Jaussi
Nick Jaussi
"Dem Feind ein Gesicht geben"
Über die Rebellen reden manche, als seien sie wilde Tiere. Wir brauchen neue Bilder!, sagt der Versöhnungsforscher Martin Leiner
Tim Wegner
29.05.2017

chrismon: Frieden gilt als Schimpfwort, niemand jubelt, wenn der Präsident den Friedensnobelpreis bekommt und die Guerilla ihre Waffen abgibt. Warum?

Martin Leiner: In den vergangenen 52 Jahren wurde nach jedem Versuch, Frieden zu schließen, die Lage in eini­gen Aspekten nicht besser, sondern sogar schlimmer. Wir Forscher nennen
das „recycling of conflicts“: Aus einem Konflikt wächst der nächste. Viele Menschen haben die Hoffnung verloren, Apathie ist weit verbreitet.

Wie kann Versöhnung gelingen?

Man muss den Kurs weiter auf Frieden halten – auch bei Rückschlägen. Das ist schwer, denn im letzten Jahr sind über 100 soziale Aktivisten ermordet worden. Die Transformation des militärischen Konflikts in einen politischen braucht dringend gerade die sozialen Aktivisten. Wer diese Morde in Auftrag gegeben hat, muss zügig ausfindig gemacht und verurteilt werden.

Jan-Peter Kasper/FSU

Martin ­Leiner

Martin ­Leiner ist Theologie­professor in Jena und leitet dort das „Center for Reconciliation Studies“. Er forscht in Afrika, Israel und anderen Krisen­gebieten.

Es könnte zudem passieren, dass 2018 bei der Wahl die Partei des Scharfmachers Uribe gewinnt. Dennoch: Das Wichtigste ist, dass wir „dem Feind ein menschliches Gesicht geben“. Manche Menschen in Kolumbien reden über die Farc-­Rebellen wie über Tiere im Urwald. Sie müssen jetzt andere Bilder sehen, Lebensgeschichten hören. Und es muss Entschuldigungen geben: Schuldbekenntnisse, echte Reue, Vergebung.

Was kann man von anderen Kriegsländern lernen?

Es sollte wie in Südafrika Wahrheitskommissionen geben, wo Täter sich bekennen. Heute können die Medien viel dabei helfen: Kommissionen ­dürfen nicht hinter verschlossener Tür tagen, sondern vor den Fernseh- und den Handykameras. Die wichtigste Botschaft: Menschen können sich ändern, Gewalttäter können sich läutern.

Eine christliche Vorstellung...

Ja! Dorothee Sölle etwa hat gesagt, ­jeder Mensch hat das Recht, ein an­derer zu werden.

Welche Rolle spielen die Kirchen?

Leider eine sehr zwiespältige. Es gibt engagierte Christen für den Frieden. Der Erzbischof von Cali hat öffentlich zum Frieden aufgerufen, und eine kleine lutherische Gemeinde in Medellín macht gute Friedens­arbeit. Aber leider lehnen gerade die evangelischen Kirchen – sie machen 25 Prozent in Kolumbien aus – den Friedensvertrag vehement ab. Weil dort das Bild einer offenen Gesellschaft gezeichnet wird, mit Rechten für Frauen, für Schwule und für Minderheiten. Das lehnen die meis­ten Freikirchen, auch unter starkem Einfluss aus den USA, als „widergöttlich“ ab. Als das Referendum für den Frieden in Kolumbien gescheitert ist, haben die Evangelikalen auf den Straßen gefeiert! Das wiegt schwer. Das Evangelium lehrt uns, Gewalt zu vermindern. Ich hoffe sehr, dass die friedliebenden Kräfte in beiden ­Kirchen mehr Gewicht bekommen.

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