Die erste Überraschung ist der Künstler: Salvador Dalí. Die surrealen Bildwelten des Spaniers erkennen normalerweise sogar diejenigen auf Anhieb, die Besuche in Kunstmuseen sonst eher für Zeitverschwendung halten. Zerfließende Uhren und ein spitzer Schnurrbart sind Salvador Dalís Markenzeichen, ein expressionistischer Pinsel dagegen weniger. Den aber führt der Meister des Surrealen auf dieser Aquarellzeichnung mit sehr viel Schwung. Womit wir bei der zweiten Überraschung wären: dem Thema. Kommen Sie drauf? Kleiner Tipp: Der Heilige Geist spielt die Hauptrolle. Er ist es, der hier auf die grauen Köpfe der ersten Christen herabregnet. Ein Feuerwerk, kein zahmes Zünglein, Pfingsten als Fest des Aufbruchs. Derart aufgerüttelt hält eine Hand unten links schon den Wanderstab – Sinnbild dafür, wie sich die Apostel in alle Welt verteilen und die frohe Botschaft verbreiten werden. Die Zwölf sind übrigens alle durchnummeriert. Wenn Sie genauer hinsehen, entdecken Sie die feinen Bleistiftnummern in den Köpfen. Ihre Gesichter sind zwar grau, wie eine anonyme Masse nun mal ist, aber gleichzeitig so individuell, wie es nur geht: Es sind hingetupfte Fingerabdrücke, aus denen Dalí die Köpfe gemacht hat. Das Bild ist eines von 105, die der Künstler von 1963 bis 1965 anfertigte. Eine Auftragsarbeit für seinen Turiner Freund Giuseppe Albaretto. Fromm wie er war, wollte Albaretto eine neue Bibel herausgeben. Dalís Aquarelle sollten den Text illustrieren und dem Künstler ganz nebenbei Gott und Kirche wieder etwas näherbringen. Der gute Albaretto hatte nämlich so seine Zweifel an der Lebensführung des Künstlerfreundes. Ganz gelungen ist ihm die Bekehrung wohl nicht. Trotzdem hat Dalí eine der schönsten und bedeutendsten Bibelillustrationen des 20. Jahrhunderts geschaffen. Wer sich überzeugen möchte: Ähnlich energiegeladen und ausdrucksstark sind auch die anderen Lithografien aus der sogenannten Biblia-Sacra-Serie. Zu sehen ab dem 11. Juli im Münchner Künstlerhaus.
Feuerwerk
Aufbruch mit Zünglein und Wanderstab