Leseraktion "Meine Bibel"
Katrin Binner
Glück gehabt, Tabea!
Haben Sie eine Bibel? Und eine Geschichte dazu? Das hatten wir unsere Leserinnen und Leser gefragt. Und Sie haben uns geschrieben: lustige, bewegende und anrührende Geschichten – vom Finden und Verlieren, von Trost und Zweifel. Und von der jungen Polizistin Tabea. Nur wenige können wir hier abdrucken. Aber bald wird ein Buch draus!
Privat
20.09.2016

Der 11. September

Meine erste Bibel war meine Schulbibel. Sie verbrannte 1999 bei unserem Hausbrand. Wir haben im letzten ­Moment überlebt. Nicht alles konnte ersetzt oder wieder angeschafft werden, viele Erinnerungen sind einfach ausgelöscht.

Ausgerechnet am 11. September 2001 kaufte ich mir eine neue Bibel. Mit ihr unterm Arm kam ich von der Arbeit nach Hause. Meine drei Kinder saßen fassungslos vor dem Fernseher, wo der Anschlag auf das World Trade Center Tausende das Leben kostete. Noch bis spät in die Nacht saß ich mit der Bibel in der Hand vor dem Bildschirm; blätterte, las und suchte nach Antworten. Da stand geschrieben: „. . .  und Gott sorgt für sein Volk!“ Welches Volk? Ist er nicht der Gott aller Menschen?

Marlies Schulz, Rietberg

Tabea ist gesund

Aufgewachsen in Namibia bei meiner an Krebs erkrankten Adoptivmutter, empfand ich schon als Teenager einzelne Bibelverse als überaus tröstlich und ermutigend. Seither begleitet mich die Bibel täglich und hilft mir, alle Hürden und Krisensituationen zu meistern. 1979 lag ich, im dritten Monat mit meiner jüngsten Tochter schwanger, wegen postoperativer Lungen­embolie auf der Intensivstation. Es sei mit „hochgradiger Mehrfachbehinderung des Ungeborenen“ zu rechnen, sagte der Oberarzt und riet mir dringend zum Abbruch der Schwangerschaft. Mit Handzeichen gab ich zu verstehen, dass Abtreibung für mich nicht infrage kommt. Gott schenkte uns ein völlig gesundes Kind. Seit vielen Jahren versieht Tabea als äußerst engagierte Polizeibeamtin in München ihren oft schweren Dienst zum Wohl der Menschen.

Als ich vor einigen Jahren nach einer lebensgefährlichen Notoperation wieder auf der Intensivstation lag, zum ­Lesen nicht fähig, kamen mir viele motivierende Bibelverse in den Sinn, zum Beispiel der göttliche Zuspruch, den König David seinem Sohn Salomo mitgab: „Sei ­getrost und unverzagt, fürchte dich nicht und lass dich nicht erschrecken.“ (1. Chronik 22,13) Die zahlreichen Einträge, die ich mit Bleistift auf vielen unbedruckten Seiten der Bibel niedergeschrieben hatte, sind schon fast gar nicht mehr zu entziffern.

Brita Wagner, Seeheim-Jugenheim 

Indonesion 

Die wichtigste Bibel meines Lebens hat mich durch mein Freiwilligenjahr auf der kleinen Insel Nias westlich von Sumatra begleitet. Sie war das Erste, was ich mir von indonesischem Geld im Sommer 1998 gekauft habe. Präsident Suharto war gerade gestürzt worden, die Inflation enorm. Ich erinnere mich gut an das dicke Bündel Geldscheine, das ich damals in den Laden trug – umgerechnet kaum mehr als zwei D-Mark. In endlosen, mehrstündigen Gottesdiensten hat sie mir die Wartezeiten zwischen den bis zu 20 Chorauftritten deutlich verkürzt. Mit dieser Bibel habe ich Indonesisch gelernt. Wie oft habe ich bei den verzweifelten Versuchen, mich verständlich zu machen, auf Textausschnitte und Bibel­stellen gezeigt! Wir hatten ein gemeinsames Buch, ­sprachen dieselben Gebete: ein unschätzbarer Halt und eine verbindende Gemeinsamkeit, aus der sich viele wertvolle Kontakte und Freundschaften ergeben haben. 

Anika May, Köln

Ganz einfach

Meine Geschichte mit der Bibel? Ich habe sie gelesen.

Willi Born, ­Hamburg

Nathans Mut

Zu meinen Lieblingsgeschichten der Bibel gehört die sogenannte Nathan-Parabel (2. Buch Samuel 12). Der Prophet Nathan erzählt dem König David die Geschichte von dem reichen Mann mit den vielen Schafen, der, als er einen Gast bekommt, dem armen Mann sein einziges Schaf wegnimmt, um es zu schlachten. Als David diese Geschichte hört, gerät er in großen Zorn über das Unrecht des Reichen gegenüber dem Armen, er fordert des Reichen Tod.

Auf Davids Zornesausbruch hin sagt Nathan das entlarvende Wort: Du bist der Mann! Die moralische Empörung des Königs schlägt auf ihn selbst zurück. Davids darauf folgendes Sündenbekenntnis, seine Buße und Gottes Strafe machen deutlich: Auch der König Israels selbst, und sei er noch so groß und mächtig, hat das Recht der Armen zu schützen und zu achten. Wer diese tiefe Verpflichtung verletzt, wird von Gott zur Rechenschaft gezogen.

Ich empfinde Bewunderung gegenüber dem Mut des Propheten, der dem mächtigsten Mann im Land die Wahrheit ins Gesicht sagt. Aber ich em­pfinde auch großen Respekt vor David, weil er versteht und Buße tut. Mein jüngster Sohn heißt Nathan. So sehr hat diese Geschichte meine Frau und mich beeindruckt.

Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof, München

Selbstbewusste Frauen

1991 flog ich zur Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen nach Canberra. Es war eine lange, beschwerliche Reise über Bangkok und Bali, 36 Stunden. Ich war mit meiner vierten Tochter im dritten Monat schwanger. Mir war oft übel. Der erste Irakkrieg begann, es gab Befürchtungen, Mittelstreckenraketen könnten Europa erreichen. Bei der Vorkonferenz der Frauen hielt Ofelia Ortega, eine kubanische Pfarrerin, eine Bibelarbeit über die Königin Esther. Mich hat die Geschichte fasziniert. Esther hatte ihrem Mann ihre jüdische Herkunft verschwiegen. Als aber ihr Volk durch den ehrgeizigen Emporkömmling Haman bedroht wurde, stand sie mutig dagegen auf, ließ eine Intrige auffliegen.

In dieser Geschichte nehmen selbstbewusste Frauen geschickt Einfluss. Des Königs erste Frau, Waschti, weigert sich, bei einem Festgelage „ihre Schönheit zu zeigen“. Sie wird verstoßen. Mordechai, ein jüdischer Mann, bringt seine Nichte Esther ins Spiel. Und siehe da, der König verliebt sich in sie. Der Text und die Bibelarbeit haben mich beeindruckt. Meine jüngste Tochter wurde auf den Namen Esther getauft.

Margot Käßmann, EKD-Reformationsbotschafterin, Berlin

Bemalt, beklebt

Meine Bibel ist bearbeitet, allerdings ist es auch nicht meine, da ich sie an ein Sammlerpaar verkauft habe. In der Hoffnung, dass sie die Bibel weiter bearbeiten, werde ich ihnen noch ein paar Ölpastelle liefern. Das ist ­wichtig, denn meine Bibel ist partizipativ und kann von Menschen mit freiem Willen bearbeitet werden.

Oliver Breitenstein ­

Geheimer SED-Bestand

Ich trat Mitte der 90er die Nachfolge als Leiter der Lokal­redaktion eines früheren SED-Bezirksorgans („ausgezeichnet mit dem Orden Banner der Arbeit“) an. Im ­Büroschrank hatte die frühere Leiterin, die die Wende auf dem Posten überstanden hatte und nun im Ruhestand war, allerlei Unterlagen zurückgelassen. Bei Durchsicht derselben machte ich neben altem, sehr holzigem DDR-Briefpapier eine ebenso verblüffende wie rührende Entdeckung: In einem Fach lag eine alte, zerlesene Bibel aus dem Jahr 1917. War das etwa Material, den Klassenfeind in Argumentation und Weltbild zu durchschauen? Oder war es Halt für Momente des Zweifels? Eine Antwort habe ich nicht gefunden. Ich habe das markante Exemplar aber an mich genommen und lese immer mal wieder darin.

Martin Grundler, Schwerin

Hund Selma ist ganz Ohr

Ich bin Martha und sechs Jahre alt. Im letzten Jahr war ich mit meiner Mutter bei einem ihrer Freunde. Er ist Pfarrer in Zürich. Er schenkte mir eine Kinderbibel. Das fand ich ganz toll. Meine Eltern haben mir jeden Abend daraus vorgelesen. Jetzt kann ich selbst lesen, und ich lese sie meinen Kindern, den Puppen, vor.

Ich bin froh, eine eigene Bibel zu haben. Mein Bruder Johann, neun, rückt seine nämlich nicht raus. Der hat sie, als er noch sehr klein war, sogar unserem Hund ­Selma „vorgelesen“. Dafür hat er sich zu ihr ins Körbchen ­gesetzt und drauflosgebrabbelt. Mit ganz viel „Amen“. Das fanden unsere Eltern lustig. Jetzt liest er nur noch die Fußball-Bibel.

Martha, Hennigsdorf

Alles in der Cloud

Seit 2013 besitze ich ein Tablet. Seitdem benutze ich eine Bibel-App. Viele Verse sind farbig markiert. Zu einigen habe ich Bemerkungen, auch längerer Art, gespeichert. Ich liebe es, die Bibel so zu lesen. Ich kann vieles auch schnell mit anderen teilen. Aber alles ist in einer Cloud gespeichert, weit weg von mir. Werde ich es den Rest meines Lebens und immer wenn ich es brauche, abrufen können?

Ingetraud Stetter

Hart bestraft

Meine Bibel ist rot und ein Geschenk der evangelischen Schule an alle Fünftklässler. Für mich war aber irgendwann nach der Konfirmation zu viel Widerspruch im Handeln der Kirche und der mir bekannten Christen. Eines von mehreren Beispielen, die mich wachgerüttelt haben: Zur Konfirmation wünschte ich mir ausschließlich Geld für mein indisches Patenkind. Wenige Jahre später blieben die üblichen Briefe aus, und es kam ­einer mit mehreren für mich unentzifferbaren indischen Arztrezepten. Auf meine Nachfrage erfuhr ich, dass mein Patenkind schon längst nicht mehr im Programm sei, denn es wurde schwanger. Damit hatte sie gesündigt und musste hart bestraft werden, egal ob sie vergewaltigt worden war, ob sie einfach unaufgeklärt oder wissentlich das Risiko einer Schwangerschaft eingegangen war. Sie wurde mit gerade mal 15 Jahren rausgeworfen aus dem christlichen Kinderheim in Indien.

Zuerst hielt ich das Ver­halten für unchristlich. Aber als ich mir die Bibel mal richtig vorgenommen hatte, fand ich so interessante Bibelstellen wie im Johannesevangelium (15, 14): „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.“ Es wurde an dem Mädchen also durchaus christlich gehandelt: Sie war zwar Christin, hatte aber gesündigt. Bestimmt wurde ihr vergeben und für ihre Seele gebetet, aber das bedeutet ja noch lange nicht, dass man ihr auf Erden helfen muss.

Nun ist Christsein für mich seit vielen, vielen Jahren keine Option mehr. Mich hat die Bibel zu einer Anhängerin des evolutionären Humanismus gemacht. Deshalb halte ich sie in Ehren.

Susanne Patzke

Stoff für vier Monate

Ich bin zurzeit in der Klinik und habe mir vorgenommen, noch einmal die Bibel zu lesen in den vier Monaten, die ich hier bin.

Anke K.

Das ist nicht mein Gott

Mit 18 bin ich aus der Kirche ausgetreten. Trotzdem ­habe ich mir als 22-Jähriger die Merian-Bibel gekauft. Seitdem quäle ich mich durch das Buch, und mit 56 bin ich immer­hin schon beim Propheten Jesaja. Irgendwann will ich auch das Neue Testament lesen. Je länger ich in dem Buch lese, desto sicherer bin ich mir: Dies ist nicht mein Gott. Der Gott Abrahams, der nichts Besseres zu tun hat, als auf seinem Thron zu sitzen, narzisstisch gekränkt, wenn er in falscher Weise angebetet wird, Völker in ­seinem Namen ausrotten und Kinder schlachten lässt. Trotzdem glaube ich an das Göttliche, das jenseits unserer Vorstellungswelt schafft und gebiert. Wenige Stellen in der Bibel, im Koran, im Talmud, aber insbesondere die Mystiker der Religionen berichten darüber, und wir er­leben diese Wunder jeden Tag. Dieses Göttliche preise ich, wenn ich im Chor Bach, Mozart oder Mendelssohn singe. Es ist jenseits unserer Vorstellungen von Gut und Böse, jenseits von Himmel und Hölle, von Gott und ­Teufel. Es ist weder männlich noch weiblich noch sächlich. Es ist in uns, um uns, über und unter uns. Es ist an uns, dies zu erkennen und zu erleben. Darum lese ich die Bibel.

Andreas Jäkel, Konstanz

Die Bibel einer Hebamme

Von meinem Großvater erhielt ich das kleine Neue Testament von 1869, das schon seiner Mutter gehörte. Dass darin häufiger gelesen wurde, merkte man seinem brüchigen Zustand an. Besonders eine Seite war so eingerissen und dünn geworden, dass ein Restaurator sie beim Neu­binden des Buches durch eine weiße Leerseite ersetzt hat. Da mich diese Leerseite störte, habe ich den fehlenden Text aus einer anderen Bibel passend kopiert und eingeklebt.

Es ist der Bericht vom Besuch der schwangeren Maria bei ihrer ebenfalls schwangeren Ver­wandten Elisabeth mit der schönen Stelle: „Als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe.“ Inzwischen ist mir klar, ­warum meine Urgroßmutter wahrscheinlich gerade diese Worte so gern und sicherlich immer wieder gelesen hat. Sie war in der Alfelder Gegend Hebamme. Damals hat sie auf den Dörfern die Frauen noch mit Pferd und Wagen besucht. Vielleicht hat sie ja der einen oder anderen werdenden Mutter diese Worte vorgelesen.

Dieter Wittenborn, ­Springe

Mauerfall

Bei der Grenzöffnung im Herbst 1989 wurde mir ein Neues Testament mit der Bemerkung überreicht: „Nach 40 Jahren Kommunismus ein paar andere Gedanken.“ Seitdem ist es meine Maueröffnungsbibel.

Hans Mikosch, Gera

Clara Schumanns Widmung

Meine Bibel wurde 1887 gedruckt, sie hat eine besondere Geschichte. Ich erhielt sie von meinem Patenonkel ­Ferdinand Schumann zu meiner Konfirmation 1952 in Bremen geschenkt. Der wiederum war ein Enkel von Clara Schumann, der Frau des Komponisten Robert Schumann. Clara Schumann hatte sie meinem Paten­onkel 1890 zu seiner Konfirmation gewidmet.

Ferdinand Schumann und mein Vater hatten sich in der Zwickauer Apothekenkammer kennen- und schätzen gelernt. 1951 setzten sich die Simons in den Westen ab, die Verbindung zu den Schumanns blieb. Dass die Bibel von Zwickau nach Bremen gelangte, war ein Wunder. Vielleicht wurde sie in einem Postpaket nicht entdeckt.

Jürgen Simon, ­Dresden

Am Strand von Dunkerque

Ein Neues Testament mit Stoffeinband fand mein Vater im Krieg am Strand von Dünkirchen. Es war auf der Flucht der britischen Truppen zurückgelassen worden. Obwohl mein Vater nur schlecht Englisch sprach, hat ihn diese Bibel durch den Krieg begleitet. Leider stand kein Name in der Bibel, sonst hätte mein Vater versucht, den Besitzer oder seine Angehörigen ausfindig zu machen.

Viola Jung, ­Frankfurt am Main

Gewissenskonflikt

Es war im ersten Jahr meines Ingenieursstudiums in Greiz in Thüringen, 1975. Ich teilte mir im Internat das Zimmer mit zwei Mitstudentinnen. Auf dem Bücherbrett stand neben der Technischen Mechanik meine Bibel aus der Konfirmandenzeit.

Eines Tages musste ich zum Gespräch zum 2. stellvertretenden Direktor. Eine der beiden Mitstudentinnen hatte ihm mitgeteilt, dass eine Bibel auf dem Bücherbrett steht. ­Er war zugleich der Parteisekretär der Schule. Er verlangte von mir, die Bibel vom Bücherbrett zu nehmen, oder ich müsse die Schule verlassen. Mein Einwand, dass die Bibel auch ein Geschichtsbuch sein könnte, änderte nichts an seiner Meinung.

Heulend lief ich durch die Stadt. Der Kantor der Kirchengemeinde fand mich so, nahm mich mit nach Hause und gab mir erst mal eine Tasse Kaffee. Ich weiß nicht mehr, was wir geredet haben. Aber ich weiß, dass es danach nicht mehr so schlimm war. Ich nahm meine Bibel vom Bücherbrett und legte sie in meinen Schrank. Meine Mitstudentin stellte ich nicht zur Rede. Ich hatte das Gefühl, sie wusste nicht, was sie getan hatte. Wir waren ja ge­rade 18 oder 19 Jahre alt. Im neuen Studienjahr wechselte ich das Zimmer. Danach studierte ich Theologie. Seit 30 Jahren bin ich Pfarrerin. Meine Bibel habe ich viele Jahre im Dienst genutzt, bis sie langsam zerfiel. Nun steht sie wieder in meinem Bücherregal.

Irene Heinecke

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