Schriftsteller Jonas Jonasson
Dirk von Nayhauß
"Du musst ab und zu aus dem Fenster klettern und etwas Neues beginnen"
Sein "Hundertjähriger" machte ihn berühmt: Schriftsteller Jonas Jonasson wehrt sich gegen das "Graue" im Leben
Dirk von Nayhauß
21.06.2016

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Heute Morgen bin ich um sechs Uhr aufgewacht. Ich bin gerade ­an meiner nächsten Geschichte dran, ich wollte unbedingt den ersten Eckpfeiler setzen. Wenn ich schreibe, bin ich in einer ­anderen Dimension, auf einem anderen Planeten. Es ist ein glücklicher, ein friedlicher Planet. Bin ich in der Welt einer Geschichte, lebe ich mit ihr, nehme sie mit in den Schlaf – sie ist immer bei mir. Ich kann natürlich auschecken, um mit meinem Sohn in der anderen Welt zu sein, aber ich kann nicht zig andere Dinge parallel machen.

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Das Universum dehnt sich aus – aber wohin? Was kommt hinter der letzten Galaxie? Wie kann jemand angesichts solcher Fragen behaupten, dass es nichts gibt, das eine Kontrolle ausübt. Welche Art der Kontrolle – wie könnten wir das wissen! Aber zu be­haupten, dass da nichts sei, das ist dumm. Ich selbst weiß nicht, was ich glauben soll. Ich wäre überrascht, wenn sich herausstellen sollte, dass jemand über mich wacht. Aber ich würde auch nicht tot umfallen. Ich würde vielleicht sagen: „Okay, Gott, ich hätte früher verstehen sollen, entschuldige bitte.“ Ich kann mir einen solchen Dialog vorstellen. In meinem neuen Buch gibt es eine Pfarrerin, die von der ersten Seite an nicht an Gott glaubt, sie wurde von ihrem Vater gezwungen, diesen Job zu machen. Hätte sie Zweifel, dann wäre es ein theologisches Buch geworden, aber das wollte ich nicht. Eine Pfarrerin, die nicht an Gott glaubt. Ein Fahrlehrer, der ohne Führerschein fährt. Ein Ökonom, der nicht zählen kann. Wenn du solche Konflikte verarbeitest, dann wird es interessant, dann kann es eine gute Geschichte werden. 

Muss man den Tod fürchten?

Als ich jünger war, habe ich den Tod mehr gefürchtet als heute. Das kann daran liegen, dass ich mein Leben gelebt habe. Es wäre interessant herauszufinden, welche Menschen den Tod fürchten: Was haben sie gemein? Ich wäre nicht überrascht, wenn es jene wären, die zu wenig getan und gelebt haben.

Hat das Leben einen Sinn?

Der Sinn sollte sein, sich gut zu fühlen – nicht das Gegenteil. Ich fürchte, dass die meisten Menschen dazwischen leben, sie fühlen gar nichts. Wir haben eine graue Wohnung, einen grauen Ehemann oder eine graue Ehefrau, wir machen unsere graue ­Arbeit. Kommen wir nach Hause, öffnen wir graue Umschläge mit grauen Rechnungen, und Samstagnacht trinken wir zu viel Wein. Wir fürchten so sehr, das zu verlieren, was wir haben, darüber ver­gessen wir uns selbst und worum es uns eigentlich geht. Den Erfolg meines ersten Buches erkläre ich mir zum Teil damit, dass die Leser nicht aus ihren eigenen Fenstern klettern – doch in ­ihrer Fantasie tun sie es mit dem „Hundertjährigen“. Wir sollten in Betracht ziehen, in unserem Leben wenigstens zwei-, dreimal aus dem Fenster zu klettern und mit etwas völlig Neuem zu beginnen. Kletterst du nicht ab und zu aus dem Fenster, wirst du stillstehen, das kann nicht der Sinn sein. Ich selbst bin aus einigen Fenstern geklettert und bin heute unglaublich zufrieden damit, ein Schriftsteller zu sein und ein Vater und auf dieser Insel zu leben.

Wer oder was hilft in der Krise?

Gelegentlich falle ich in eine Stimmung, in der ich mir viele Sorgen mache. Dann fragt mich irgendjemand in meiner Umgebung: Was fürchtest du? Gibt es irgendetwas, das du tun kannst? Plötzlich verstehe ich dann und fühle mich besser. Und manchmal sitzt Allan Karlsson, der Hundertjährige, auf meiner Schulter. Treibt mich die Furcht um, ich könnte einen Flug verpassen, sagt er: „Komm schon, du wirst diesen Flug nicht verpassen. Selbst wenn, dann wird es einen anderen geben.“ Als Autor habe ich verschiedene Charaktere geschaffen, die frei von Sorgen sind. Das ist sicher einer der Gründe, warum meine Bücher so populär sind. Als ich begann, den „Hundertjährigen“ zu schreiben, war mir klar: Könnte ich 3000 Bücher verkaufen, würde der Verlag auch ein zweites Buch mit mir machen. Damit hätte ich eine Identität als Schriftsteller. Um verlegt zu werden, brauchst du 3000 Exemplare – die restlichen 13 Millionen sind ein guter Bonus, aber ich brauche ihn aus der Perspektive der Identität nicht. Ich brauche keine weitere Karriere. Was ich brauche, das ist ein ruhiger Geist. Ständen 100 Prozent für völlige Ausgeglichenheit, wäre ich jetzt bei 56 oder 58 Prozent. Für eine lange Zeit pendelte ich zwischen zwei und vier Prozent, 70 oder 80 Prozent wären schön. 

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