"Die Würde des Menschen ist unantastbar." Mit diesen Worten aus dem Grundgesetz beginnt der Aufruf, den zehn Vertreter aus verschiedenen Organisationen am Donnerstag in Berlin vorstellten. Die Repräsentanten von Protestanten, Katholiken, Juden und Muslimen, Arbeitgebern und Gewerkschaft, Naturschutz, Wohlfahrtspflege, Sport und dem Deutschen Kulturrat präsentierten sich als "Mitte der Zivilgesellschaft" – denn rund 60 MIllionen Deutsche sind Mitglied in irgendeiner der repräsentierten Gruppen, sei es in der Kirche, im Sportverein, der Gewerkschaft oder im Naturschutzverband.
Weil das Bündnis mit dem sperrigen Namen "Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat" auf so vielen Schultern ruht, ist der Gründungsaufruf von zwei Strängen geprägt: Einer klaren Festlegung der moralischen Linien, die die Mitte der Gesellschaft von rechts und links abgrenzen, und zugleich dem Willen, die ganze Bandbreite der Sorgen und Bedenken von Menschen innerhalb dieser Linien aufzugreifen. Er liest sich wie ein Gegenprogramm zur fremdenfeindlichen "Pegida"-Bewegung und eine demonstrative Unterstützung des "Wir schaffen das" von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), das in der Politik mehr und mehr infrage gestellt wird.
"Es gibt Verunsicherung in Deutschland im Umgang mit den Menschen, die als Flüchtlinge hier ankommen", sagte Heinrich Bedford-Strohm, der als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland als Vertreter der Protestanten auf dem Podium saß. Deswegen brauche es die neue Allianz "als Zeichen, das den Grundkonsens in unserer Gesellschaft deutlich macht".
"Wer Flüchtlinge oder Migranten herabsetzt, kann sich nicht auf das Christentum berufen"
Der Grundkonsens, das sind die Achtung der Menschenwürde, das friedliche Zusammenleben und der Schutz aller Menschen vor Gewalt, Menschenfeindlichkeit und Fremdenhass. In dem Aufruf ist dazu unter anderem von "Solidarität und Hilfsbereitschaft" die Rede, für Bedford-Strohm eine säkulare Übersetzung der Nächstenliebe aus der christlichen Ethik. "Dieser Grundkonsens ist es, der unser Land so stark gemacht hat", ergänzte der bayrische Landesbischof. "Gerade in schwierigen Zeiten muss die Gesellschaft zusammenstehen und sich für ihre Schwächsten einsetzen."
Sein katholischer Kollege, der Berliner Erzbischof Heiner Koch, machte sehr deutlich, wo dieser Grundkonsens endet: "Die Grenze ist immer dann überschritten, wenn Flüchtlingen von vornherein ihre Schutzbedürftigkeit abgesprochen wird." Er hatte klare Worte für die Kirchenmitglieder in Deutschland: "Wer mit Worten oder Taten zur Herabsetzung von Flüchtlingen oder Migranten beiträgt, kann sich nicht auf das Christentum berufen."
Aus der "Pegida"-Hochburg Dresden kennt Koch aber auch die Sorgen und Ängste der Menschen, "die sich schon jetzt an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen". Er war nicht der einzige Vertreter auf dem Podium, der den Blick öffnete für die Schwierigkeiten, die die Integration von vielen Geflüchteten und Migranten mit sich bringt. Zekeriya Altug, Sprecher des Koordinationsrats der Muslime, nahm eine Spaltung der Gesellschaft wahr, "die uns Sorgen macht", und berichtete von einer Verdreifachung der Angriffe auf Moscheen.
Mark Dainow, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, äußerte seine Sorge über "importierten Antisemitismus" aus Kulturkreisen, in denen Judenfeindlichkeit zum Alltag gehöre, äußerte aber zugleich große Freude über die "neue Willkommenskultur" in Deutschland. Denn "wir wissen ganz genau, was es bedeutet, eventuell vor einer verschlossenen Tür zu stehen".
Kriminelle Ausländer "gegebenenfalls" abschieben
Es ist dieses Einerseits-Andererseits, das die neue "Allianz für Weltoffenheit" als eine Kraft in der Mitte der Gesellschaft kennzeichnet. So steht in dem Aufruf, dass sowohl ausreichende Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe als auch die Bereitschaft zur Integration gleichermaßen nötig sind, damit eine gemeinsame, solidarische, demokratische Gesellschaft gelingen kann.
###mehr-extern###Im Aufruf finden sich aber auch die Forderungen, kriminelle Ausländer "gegebenenfalls" abzuschieben, vor wirtschaftlicher Not Geflüchtete, die "als Ergebnis eines rechtsstaatlichen Verfahrens keine Bleibeperspektive haben", wieder in ihre Heimat zurückzuschicken und "die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols".
Sachliche und lösungsorientierte Debatte ohne Parteitaktik
Die Allianz für Weltoffenheit grenzt sich damit nach links und nach rechts ab. Im linken politischen Spektrum werden diese Forderungen gar nicht erst erhoben. Die Allianz wendet sich gegen den erstarkenden rechten Rand in Deutschland. Sie fordert, menschenfeindlichen Haltungen entgegenzutreten und rechtsextreme Angriffe auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte strafrechtlich konsequent zu verfolgen.
Denn sie fordert zugleich, "menschenfeindlichen Äußerungen und Handlungen, gleich woher sie kommen und gegen welche Gruppe sie sich richten, entgegenzutreten", jedem Geflüchteten – egal ob vor Kriegen oder wirtschaftlicher Not - "Empathie und Respekt" entgegenzubringen und allen Menschen die gleiche Chance zu geben, "am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben".
"Es ist wichtig, dass sich diese Allianz für den Rechtsstaat für alle einsetzt", erläuterte DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann, der die verschiedenen Vertreter an einen Tisch geholt hatte. Aber auch, dass jeder Einzelne seinen Beitrag zu einer gelingenden Integration leistet, "am Arbeitsplatz, in Familien und Freundeskreisen, im Internet, auf der Straße oder sonst wo". Dazu fordert das Bündnis eine sachliche und lösungsorientierte Debatte, die nicht von Parteitaktik bestimmt wird. Parteien sind daher auch nicht in der Allianz vertreten.
Die Allianz für Weltoffenheit möchte weitere Partner gewinnen, "wir sind keine exklusive Veranstaltung", sagte Hoffmann. Unter anderem betont die Allianz in ihrem Aufruf mehrfach die Bedeutung von Bildung für Integration, aber Bildungsverbände saßen in Berlin nicht mit am Tisch.
Dem Aufruf sollen schnell Taten folgen
Für die zehn Gründungs-Organisationen ergibt sich aus der Beteiligung an der Allianz für Weltoffenheit erstmal die Verpflichtung, in den eigenen Organisationen für deren Ziele einzutreten, und "im Umgang mit den Zufluchtsuchenden aus dem Krisenmodus rauszukommen", wie es Ralf Rosenbrock formulierte, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Einen Blick nach innen kündigte der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm in Berlin schon einmal an: In der Evangelischen Kirche soll mit einer Studie ermittelt werden, wie viele Menschen in der Kirche mit Werten außerhalb des demokratischen Grundkonsenses sympathisieren.
Nach außen wollen die Repräsentanten der Organisationen nun die ausgewogene Botschaft und den Grundkonsens der Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat vertreten, auch gegenüber den Parteien, deren Vertreter bewusst nicht eingeladen waren. Dazu gehört auch, immer wieder daran zu erinnern, dass die Auflösung von Fluchtursachen ebenso zu den Aufgaben der Politik gehört wie das Engagement im eigenen Land.
"Die Verschärfung der Rhetorik in der Politik hilft dabei nicht", den Grundkonsens zu stärken, sagte Heinrich Bedford-Strohm. Für die weitere Arbeit verwies er auf ein Zitat von Paulus aus dem Neuen Testament (2. Timotheus 1,7): "Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft, Liebe und Besonnenheit, und genau das brauchen wir heute."
(mit Material von epd)