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"Es gibt keine Sprachverbote"
Köln erlebte an Silvester eine Horrornacht. Wann dürfen Medien klar benennen, dass Migranten unter Tatverdacht stehen?
Tim Wegner
14.01.2016

chrismon: Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt, in der Kölner Silvesternacht seien „junge Männer mit ausländischem Hintergrund“ die Täter gewesen. Chefredakteur Peter Pauls sagt, es sei mit dem Pressekodex vereinbar, so auf die Herkunft der Männer hinzuweisen. Stimmen Sie ihm zu?

Lutz Tillmanns: Im Wesentlichen: Ja. Die Information war durch Zeugenangaben, durch Berichte der Opfer sowie die Erkenntnisse der Polizei gerechtfertigt. Die Berichterstattung war meines Erachtens durch die Bestimmungen des Pressekodexes gedeckt.

Und die besagen was?

Berichten Medien über Straftaten, erwähnen sie nur dann, dass Verdächtige zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten gehören, wenn es für das Verständnis wichtig ist – wenn es etwa zu erklären hilft, warum es zu einer Tat kam. Jeder einzelne Fall ist neu zu prüfen, die Entscheidung darüber liegt bei den Redaktionen. Es gibt also keine pauschalen Sprachverbote. Was die Kölner Vorfälle betrifft, denke ich: Wenn Polizei und Opfer den begründeten Eindruck haben, dass die Täter aus Nordafrika stammen, ist das ein Detail, das Medien nicht verschweigen dürfen.

Allerdings berichten nun Männer mit Migrationshintergrund, sie stünden unter Generalverdacht...

Das ist ein schwerwiegender Vorwurf, den es zu prüfen gilt. Ob ganze Bevölkerungsgruppen diskriminiert wurden, hängt von der einzelnen Berichterstattung ab. Hier stellt sich die Frage nach der Qualität der journalistischen Arbeit: Ist gut recherchiert, sprachlich sauber gearbeitet worden? Was sind die Fakten, welche Wortwahl ist angemessen? Sie können Tatsachen aufwieglerisch oder sachlich darstellen. Sie können eine Analyse präsentieren oder einen reißerischen Dreizeiler daraus machen. Auch dafür sind Redaktionen verantwortlich. Die Ziffer 12 des Pressekodexes besagt ganz allgemein: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“ Die Richtlinie 12.1 präzisiert die Ziffer 12 bei der Berichterstattung über Straftaten. Bei uns gehen aus zwei Richtungen Beschwerden ein: Manche beklagen, dass Medien einen Generalverdacht aussprechen. Andere monieren, die Medien hätten verschweigen und beschönigen wollen, was in jener Nacht geschah.

"Die Regeln halten zur Sorgfalt an"

Kosten diese Regeln also Glaubwürdigkeit?

Nein, diese Regeln kosten keine Glaubwürdigkeit, im Gegenteil: Sie halten zu sorgfältiger Arbeit an. Aber trotzdem müssen ethische Grundsätze immer wieder neu diskutiert werden. Ein Pressekodex ist nie fertig, er ist im Lichte der Zeiten und der gesellschaftlichen Diskussionen zu sehen. Die Flüchtlingssituation bringt ohne Zweifel neue Themen mit sich. Über grundsätzliche und ethische Fragen wie die Formulierung des Pressekodexes entscheidet unser Plenum. Dieses Gremium trifft sich turnusgemäß im März. Die 28 Vertreter werden von unseren vier Trägerorganisationen benannt: dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, dem Deutschen Journalisten-Verband, der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union und dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger. Sie werden auch über die Richtlinie 12.1 reden.

Was erwarten Sie?

Wir halten sicher auch noch in Zukunft an der Leitlinie fest, dass die Presse nicht diskriminieren und sich nicht dazu verleiten lassen darf zu polarisieren oder zu stigmatisieren.

###autor###Die Polizei verbreitet im Internet selbst Meldungen, über Twitter oder Facebook. Da steht dann drin, dass ein Verdächtiger eine dunkle Hautfarbe habe und gebrochen Deutsch spreche...

Das ist ein Fahndungsaufruf, der sich auch in den sozialen Netzwerken verbreiten kann. Ob das immer gut ist, muss die Polizei abschätzen. Wie detailreich ein Medium so eine Nachricht wiedergibt, ist allerdings wieder Sache der Redaktion. Ich denke, es ist in Ordnung, wenn ich es als Fahndungsaufruf mit der Quelle Polizei so wiedergebe. Berichte ich später darüber, weil es einen Gerichtsprozess gibt, stellt sich die Frage nach der Täterbeschreibung aber wieder neu.

Warum?

Auch Straftäter haben Rechte. Es kommt der Zeitpunkt, an dem die Persönlichkeitsrechte wichtiger sind als der Nachrichtenwert. Ein verurteilter Täter soll resozialisiert werden. Das ist ein wichtiger Grundsatz in unserer Gesellschaft. Das zeigt, wie komplex die Ansprüche sind, denen der Journalismus genügen muss.

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