Als ich mich vor einem Jahr für einen Freiwilligendienst in Brüssel bewarb, dachte ich, Belgien sei ein ruhiges, sicheres Land. Seit den Pariser Anschlägen, deren Spur nach Brüssel führte, weiß ich es besser. Danach herrschte hier der Ausnahmezustand. So gut wie jede Veranstaltung wurde abgesagt, die Metro fuhr nicht, wir sollten nach Möglichkeit in unseren Wohnungen bleiben. Mittlerweile ist es etwas normaler, aber wie vorher ist es nicht. Alle schauen auf den Stadtteil Molenbeek, hier sollen zwei oder drei der Attentäter gewohnt haben. Die Zeitungen schreiben über die „Terroristenhochburg“ in einem „Vorort Brüssels“.
###autor###Ich wundere mich. Molenbeek ist eine der zentralen Gemeinden der Stadt, und ich finde auch sonst keine Gemeinsamkeiten zwischen dem Molenbeek der Medien und dem, das ich kenne. Meine Arbeit in einem sozialen Projekt führt mich jeden Mittwochnachmittag hierher. Zwei Kolleginnen und ich veranstalten dann eine sogenannte „bibliothèque de rue“, eine Straßenbücherei. Wir setzen uns für zwei Stunden an einem öffentlichen Platz auf eine Decke mit einem Koffer voller Bilderbücher und Spiele und lesen, basteln, spielen und singen mit Kindern, die Interesse haben. Obwohl wir erst vor ein paar Wochen begonnen haben, erwartet uns schon jedes Mal eine feste Gruppe.
Es bleibt auch immer genügend Zeit, mit Anwohnern zu plaudern. Sie sind sehr kontaktfreudig und offen, interessiert und hilfsbereit, vor allem sehr höflich. Viele leben gerne hier. Von meinen Kolleginnen weiß ich aber auch, dass man es in der Stadt schwer hat, wenn man aus diesem Viertel kommt – das ist wie ein Stigma. Ich hörte von einem Mädchen, das partout nicht zugeben wollte, dass sie hier wohnt, weil sie sich schämt.
In der Woche nach den Anschlägen demonstrierten über tausend Menschen in Molenbeek. Trotz scharfer Sicherheitsregelungen und Kontrollen versammelten sie sich auf dem Place Communale, zündeten Kerzen an. Sie zeigten sich solidarisch mit allen Opfern in Paris – und mit ihrem Stadtteil, der eben auch bunt und fröhlich ist. Ich folgte dem Strom der Menschen. Die Angst und der Terror schienen plötzlich sehr weit weg.
Sehr schön : der Kontrast
Sehr schön : der Kontrast zwischen der Darstellung in den Medien und die sehr persönliche Wahrnehmung :
Aber ein so harmonisierender Bericht spricht vor allem davon, dass hier jemand daran interessiert ist, eben ein ganz anders Bild zu vermitteln. " Die Menschen sind alle so super nett, und super toll, alle sind hier diskriminiert, und Belgien scheint daran interessierert zu sein, ein Stadtviertel zu dämonisieren, zu stigmatisieren, u.s.w. Diskrimineirung gibt es nicht, alles ist schön, alles ist gut, die armen Menschen ...bla, bla, bla, und die Guten Deutschen sind bar jeglichen Vorurteils !!! Eine etwas intelligentere Einlassung hätte man sich schon wünschen können ! Die Attentäter kommen aus diesem Stadtviertel, heißt es offiziell, einem wenig beliebten Stadtviertel, einem Stadtviertel, wie es sie in jeder Großstadt gibt. Das zumindest bestätigt der kurze Bericht, dass die Menschen sich zu Unrecht in eine Mittäterschaft, wenn auch nur dadurch, dass sie im selben Stadtviertel wohnen, wie die Täter, hineingezogen fühlen. Ansonsten besticht der Bericht durch gewollte ( schmeichelhaft gemeint ! ) Naivität.
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Aber zu sehen, wie "Kürtchen sein Hütchen gestohlen wird " , wie der Wind sich dreht, nur weil der politische Wille vieler Wähler sich nach rechts wendet, macht ärgerlich ! Standhaftigkeit und Verlässlichkeit ist des deutschen Protestanten jedenfalls keine hervorstechende Eigenschaft. Er dreht sich lieber im Kreis ! Generation um Generation.
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Molenbeek als Tourist erlebt
Der Vorwurf der Naivität und die Unterstellung einer bewussten Falschdarstellung finde ich unmöglich. Johanna Stoll beschreibt ganz offensichtlich das Alltagsleben in Molenbeek und maßt sich auch nicht an, eine Expertin in Sachen Islamismus in Belgien zu sein. Nur auf die Diskrepanz zwischen Mediendarstellung und Realität möchte sie hinweisen. Und in diesem Punkt kann ich ihr nur beipflichten. Im vergangenen Frühjahr besuchte ich Brüssel und war auch in Molenbeek. Dieses lebendige Viertel liegt im Zentrum und ist kein trostloser Vorort, wie es in den Medien beschrieben wurde. Die Menschen auf der Straße sehen alle unterschiedlich aus, es handelt sich nicht um ein Ghetto. Und wenn dieser Stadtteil schon mit Stigmatisierungen in der belgischen Gesellschaft kämfen muss, ist es doch um so wichtiger, dass ein differenziertes Bild in den Medien die Leser vor noch mehr Vorurteilen und pauschaler Ablehnung bewahrt. Denn auch wenn es in Molenbeek Islamisten gibt, heißt das ja nicht, dass alle Molenbeeker radikal sind.
Waren Sie denn schon einmal in Molenbeek?
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Es ist kein differenziertes
Es ist kein differenziertes Bild entstanden, sondern ein vollkommen naives Gegenbild, das lediglich zeigt, dass die Medien falsch liegen, und natürlich alles gelogen ist. Ungelogene Tatsache aber ist doch, dass die vermeintlichen Täter aus diesem Viertel stammen, weshalb ich es einfach bescheuert finde, hier so eine biedere Gegendarstellung abzuliefern.
Mich würde eher interessieren, warum denn nun die Medien ein so schiefes Bild eines doch, laut dieser Darstellung, so wunderbaren Viertels, abliefern. Der Kontrast ist doch offensichtlich ?
Ich kenne das Viertel nicht, bin aber nicht so naiv, zu glauben, dass die Dinge immer so offensichtlich auf der Hand liegen, dass man förmlich darüber stolpert.
Mehr, als den Blick dafür zu öffnen, dass ein unkritischer Blick nicht unbedingt besser ist als ein zu kritischer, wollte ich hier nicht erreichen.
Und es ist auch kein "Gheto" ? Wie sollte denn ein "Gheto", mitten in Brüssel, Ihrer Meinung nach aussehen ?
Und was heißt das überhaupt ?
"Molenbeek als Tourist erlebt", nun können Sie also mitreden.
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"Der Vorwurf der Naivität und die Unterstellung einer bewussten Falschdarstellung finde ich unmöglich."
Ich nehme mir heraus, zu sagen , was ich denke, genauso wie es die Autorin auch tut, zudem verstehe ich unter Harmonisierung, nicht " die Unterstellung einer bewussten Falschdarstellung". Wäre das Thema so harmlos, wie es dargestellt wird, müssten Sie mir keine "Unterstellungen " vorwerfen.
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Mich machen solche ehrgeizigen Harmoniesierungstendenzen ärgerlich, vor allem, weil die Probleme in Belgien dadurch keinesfalls gelöst werden. Außer der Förderung des Mollenbeektourimus vielleicht.
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