Illustration zu Moshé Feldenkrais
Moshé Feldenkrais (1904–1984), ein Physiker, der in der Physio­therapie neue Wege beschritt
Marco Wagner
Immer in Bewegung
Aus Stürzen lernte er und trainierte, bis das Knie nicht mehr wehtat. Einer wie Moshé Feldenkrais gibt niemals auf
Ruthe Zuntz
Privat
16.11.2015

Er lag flach auf dem Boden und biss die Lippen zusammen vor Schmerz und Scham. Er war auf sein chronisch verstauch­tes Knie gefallen. Was für ein Missgeschick! Nicht nur die physische Gesundheit des geübten Kampfsportlers und Judotrainers war angekratzt, sondern auch sein Ego.

Das war 1944, Moshé Felden­krais bildete zu der Zeit britische Kommandos vor ihrem Einsatz im besetzten Frankreich im unbewaffneten Nahkampf aus. Und nun passierte ausgerechnet ihm so ein Unfall. Der britische Orthopäde diagnostizierte einen Kreuzbandriss und empfahl die damals übliche Behandlung: operative Gelenkversteifung. Doch Feldenkrais lehnte ab. Lieber wollte er herausfinden, ob man das scheinbar Unmögliche nicht doch irgendwie möglich machen kann. Ob man sich nicht auch ohne Kreuzband irgendwie schmerzfrei be­wegen könne.

Er lotete aus, welche Bewegungen ihm noch möglich waren, wie er sie vari­ieren konnte, und entwickelte dabei eine Theorie, wie man lernt, den eigenen Bewegungsapparat wahrzunehmen und Schmerzen zu vermeiden. „Bewusstheit durch Bewegung“, so nannte er seine Methode. Fel­denkrais-Methode, sagen seine Anhänger.

Auswanderung als 14-Jähriger

Moshé Feldenkrais’ Kindheit war von Antisemitismus und Gewalt geprägt. Er wurde 1904 in einer Kleinstadt im zaristischen Russland geboren – in Sławuta in der Westukraine. Oft verprügelten ihn ­ältere nichtjüdische Schüler. Schon damals war er niemand, der sich einfach in sein Schicksal fügt.

Buchtipp

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Christian Buckard: Moshé Fel­den­krais. Der Mensch hinter der Methode. Berlin Verlag, 368 Seiten, 24 Euro

Als Moshé davon erfuhr, dass in Paläs­tina eine „nationale Heimstätte für Juden“ geschaffen werden sollte – so nannte es damals der britische Außenminister –, wollte er dort ein neues Leben aufbauen. Er hatte die Zerstörungswut russischer und die Raubzüge deutscher Soldaten im Ersten Weltkrieg überlebt. Und er wollte seiner dominanten Mutter und der erdrücken­den Orthodoxie in seiner Umgebung entkommen. 1918 wanderte er mit einigen Freunden aus – im Alter von 14 Jahren.

In seiner neuen Heimat Tel Aviv verdiente Moshé Feldenkrais seinen Lebensunterhalt als Bauarbeiter. Wie die meisten aufbrausenden jungen Zionisten beteiligte er sich an den lebensgefährlichen Straßenschlachten mit Arabern. Und er trainierte die Mitglieder der jüdischen Miliz „Hagana“ für den Nahkampf gegen mit Messern bewaffnete Gegner. Sich selbst ertüchtigte er mit Ringen und Jiu-Jitsu. Er wollte der Aggression anderer nie mehr wehrlos ausgesetzt sein.

Nach einer Verletzung beim Fußball studierte er die Anatomie des Knies

Ausgerechnet eine friedliche jüdisch-arabische Begegnung, ein Fußballspiel, wurde ihm zum Verhängnis: Ein arabischer Junge prallte gegen Moshés ausgestrecktes Bein, es stand danach unterhalb des Knies im rechten Winkel ab. Einige Mitspieler sollen beim Anblick in Ohnmacht gefallen sein. Die lange Zeit der Genesung nutzte Feldenkrais, um ein Jiu-Jitsu-Handbuch für die jüdische Miliz „Hagana“ zu schreiben, das ihn bald unter den Juden im Gelobten Land bekanntmachte.

Anfang der 1930er Jahre studierte Fel­denkrais Physik in Paris. Dort begegnete er dem japanischen Erfinder des Judo, Jigoro Kano, den Feldenkrais mit einer Übung zur Entwaffnung eines mit einem Messer angreifenden Gegners beeindruckte. Tagsüber arbeitete Feldenkrais als Promotionsstudent im Pariser Radium-Institut, abends unterrichtete er im ­„Jiu-Jitsu Club de France“, berichtet sein Biograf Christian Buckard. 

Stürze, bei denen er seine kaputten Knie wiederholt verletzte, machten Fel­denkrais nur neugierig. Er begann, die Funktionsweise des Bewegungsapparates zu erkunden und entwickelte daraus seine eigene Lehre. Bald wurde Moshé Feldenkrais ein begehrter Lehrer. Er verbreitete seine Übungen durch Bücher, in Radio­sendungen, auf Kassetten und in Kursen. Und er bildete Lehrer für seine „Bewusstheit durch Bewegung“ aus. Für manche Wissenschaftler war er „ein Physiker mehr, der den schmalen Grat zur Irrationalität überschritten hatte – was Feldenkrais sehr verletzte“, so ist auf der Internetseite des Feldenkrais-Verbandes heute zu lesen.

Nach mehreren Schlaganfällen konnte sich Feldenkrais nicht mehr bewegen. Er starb 1984 in Tel Aviv.

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