Die Kinder hatten ihnen dringend abgeraten: Das sei doch verrückt! Und in ihrem Alter auch einfach zu anstrengend, vielleicht sogar gefährlich! Aber für das Berliner Ehepaar Riedel war die Entscheidung an einem Sonntagmorgen Ende Dezember gefallen. Drei Kinder hatten sie großgezogen und einen Pflegesohn. Sie sind beide berufstätig gewesen, sie als Lehrerin, er als Erziehungswissenschaftler, sie sind viel gereist, haben einiges gesehen und erlebt. Und nun entschieden sie sich für ein neues Abenteuer.
Rohulla Moradi
###drp|T4EEH1m4V_V6YfJABvALnbEC00098597|i-40|Kathrin Harms/Esteve Franquesa|Rohulla Moradi trinkt mit Lydia und Klaus Riedel Kaffee und isst Kuchen in der Wohnküche. Der afghanische Flüchting lebt bei Ehepaar Riedel in Berlin.###
Die Fotografen
###drp|peaCclEKSTQ95_LWYZ3LlpZo00098600|i-40||###
Kathrin Harms, 35, und Esteve Franquesa, 33, hörten beim Fotografieren, dass die Riedels mit ihren Nachbarn ins Gespräch kamen - und dass die jetzt auch Flüchtlingen helfen wollen.
###drp|t9hx6pSL0prD_1piU3HCw_tk00098601|i-40||###
Mit am Tisch sitzt Rohulla Moradi, ein junger Afghane und der neue Mitbewohner seit Anfang Februar. Er wirkt ein wenig schüchtern, hält die Arme gekreuzt vor der Brust. Ab und an lächelt er. Es ist nicht sicher, ob er versteht, was seine Vermieter sagen. Rohulla stammt aus dem Norden Afghanistans. Er hat nie eine Schule besucht. In Afghanistan hat er als Mechaniker in einer Kfz-Werkstatt gearbeitet – bis zu seiner Flucht. Sie führte ihn über sechs Länder. Von der Türkei nach Italien reiste er mit 52 Menschen in einem Boot für sechs Leute. „Ich träume noch oft davon“, erzählt er. „Wasser macht mir Angst.“ Am besten klappt die Kommunikation, wenn ein Übersetzer dabei ist – oder einer von Rohullas Freunden.
Eigentlich hatten sich die Riedels jemanden gewünscht, der schon etwas Deutsch spricht oder zumindest Englisch. „Aber wir hatten uns vorgenommen: Wir nehmen den Flüchtling, der kommt“, sagt Lydia Riedel. Mit ihrem neuen Mitbewohner unterhalten sich die Riedels nun sehr langsam auf Deutsch und mit Händen und Füßen. Die ersten Wochen haben sie ihn immer mit „Herr Moradi“ angesprochen. Bis er sich wünschte, dass sie ihn einfach Rohulla nennen. „Beim ersten Treffen hat er kein Wort gesagt“, sagt Lydia Riedel. Die Vermittlungsstelle habe ihr geraten, sich erst einmal ein bisschen zurückzuhalten. „Wir haben uns behutsam angenähert und sind froh, dass er sich jetzt öffnet.“ Rohulla versteht mittlerweile besser Deutsch, nur das Antworten fällt ihm noch schwer.
„Wir wollten einfach helfen“
Der Mietvertrag ist unbefristet. Sollte es Probleme geben oder es den Riedels gesundheitlich nicht gut gehen, kann er außerordentlich gekündigt werden. Mit Mieteinnahmen hatte das Rentnerehepaar gar nicht gerechnet. „Wir wollten einfach helfen“, sagt Herr Riedel. Jetzt bekommen sie monatlich 358 Euro Warmmiete vom Sozialamt. Die zusätzlichen Einnahmen wollen sie an die Bürgerstiftung Berlin spenden.
Rohulla in seinem Zimmer
###drp|FqN1OZ3g7_k6OcBKdmwQeqOK00098598|i-40|Kathrin Harms/Esteve Franquesa|Rohulla Moradi vor einer großen Berlinkarte, die in seinem Flur hängt.###
Zu seiner Familie hat Rohulla keinen Kontakt
Eine große Berlinkarte hängt an der Wand. Auf dem Tisch stehen afghanische Süßigkeiten: kandierte Mandeln, Sonnenblumenkerne, Trauben und jede Menge Bananen. „Die sind gut für das Fitnesstraining“, sagt Rohulla. Jeden Tag geht er laufen und macht Hanteltraining; in seinem Türrahmen hängt eine Klimmzugstange. „Der Sport lenkt mich ab, ich muss nicht so viel grübeln.“ Dennoch mache er sich oft Sorgen: Um seine Familie, zu der er keinen Kontakt hat, und um seinen unsicheren Aufenthaltsstatus.
Fitness gegen Langeweile
###drp|otxD0QybZJSYN7we8FtS1K0V00098592|i-40|Kathrin Harms/Esteve Franquesa|An seinem Türrahmen hängt eine Klimmzugstange, an der er täglich trainiert.###
Daniela Singhal
###drp|9RjEpT4Y_rIk1pk45DLQ7Gnu00098599|i-40|Kathrin Harms/Esteve Franquesa|###
Daniela Singhal, 32, fand es beeindruckend, dass die Familie die Mieteinnahmen an soziale Projekte spendet. Sie selbst hat im Moment kein Zimmer frei: Sie ist gerade Mutter geworden.
Mittlerweile haben auch ihre in Berlin lebenden Kinder und Enkelkinder den neuen Mitbewohner kennengelernt. „Es gibt viele Menschen, die in großen Wohnungen wohnen und viel Platz haben“, sagt Klaus Riedel. „Wir hoffen, dass sich durch unsere Erfahrung möglichst viele ermutigt fühlen und sich auch hilfsbereit zeigen.“