Warum uns das Brot so wichtig ist
Sechs kurze Geschichten von chrismon-Redakteuren
Tim Wegner
Tim Wegner
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
Portrait Manon Priebe, online-Redaktion chrismonLena Uphoff
Tim Wegner
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
05.10.2014

Das muss immer im Haus sein

Ursula Ott. Wir wohnen mitten in der Stadt. Rewe hat bis 22 Uhr geöffnet, Mahmuts Kiosk bis 24 Uhr und die Shell-Tankstelle rund um die Uhr. Wir sind alle gut im Futter, keiner von uns steht unter dem Verdacht der Mangelernährung. Und dennoch macht sich in unserem Familienhaushalt sofort Nervosität breit, wenn kein Brot im Haus ist. Dazu muss man wissen: Wir brauchen eigentlich kein Brot. Wir kochen abends fast immer warm. Mittags muss es bei allen schnell gehen, die Kinder haben bis zu zehn Stunden Schule und verschlingen zwischendurch belegte Brote vom Bäcker, Döner oder Wraps. Wir Erwachsenen machen auch keine große Mittagspause. Also kochen wir abends Nudeln, Salate oder Aufläufe, sitzen am Tisch und erzählen vom Tag. Für mich ist damit das Thema Essen erledigt. Für die Jungs im Prinzip auch – kalorientechnisch. Aber ich werde nie vergessen, wie mein Stiefsohn, den ich damals noch nicht so gut kannte, vor Jahren mit uns von der Pizzeria nach Hause kam, den Küchenschrank öffnete und entsetzt sagte: „Was, Ihr habt kein Brot da?“ Es war nicht der Hunger. Es war etwas zutiefst Existenzielles: Wenn ich mich bei Euch zu Hause fühlen soll, müssen die Grundnahrungsmittel immer da sein. Als ob von Brot eine Energie ausginge, jenseits von Kohlenhydraten.

Damals habe ich übrigens extrem dämlich reagiert. „Kann doch gar nicht sein, dass Du noch Hunger hast“ und solche Sprüche. Das Ganze endete in einem regelrechten Brotaufstand, als wohnten wir nicht im Kölner Severinsviertel, sondern in Tunesien oder Algerien. Der damals pubertäre Junge rannte aus dem Haus und wollte ernsthaft zu seiner Mutter fahren, die offenbar immer, immer Brot zu Hause hat. Man könnte daraus bestimmt eine Familienauf­stellung machen. Man kann die Sache aber auch pragmatisch angehen: Ich habe jetzt immer Toastbrot zu Hause. Hält ewig, verbreitet die nötige Grundenergie für den familiären Gefühlshaushalt – und kann nach zwei Wochen notfalls zu Semmelmehl zerbröselt oder an Rudi, unsere Rennmaus verfüttert werden.
 

Nach der Ernte

Nils Husmann. Als Kind schlug meine große Stunde, wenn das Korn schon weg war. Nur das Stroh lag auf dem Feld in der Nähe unseres Bauernhofes, der Mähdrescher hatte es ausgespuckt. Wir warteten, bis der Lohnunternehmer mit seiner Presse kam und es zu Ballen presste. Das Stroh brauchten wir für den Stall, in dem im Winter unsere Kühe standen, alle benannt nach HSV-Spielern, Ditmar Jakobs, Horst Hru­besch. Anfang August holte mein Vater den langen, breiten Anhänger aus der Scheune. Wenn er leer war, schepperte das Eisengestell, das sich aufrichten ließ – es hielt die Strohballen fest. Für mich war alles ein Spiel, ich rannte mit unserer Hündin Anna immer kreuz und quer übers gedroschene Kornfeld. Für meine Eltern und die älteren Geschwister war es harte Arbeit, sie gabelten die Ballen auf und schleuderten sie auf den Hänger, auf dem zwei Mann standen und alles akkurat stapelten. Den letzten Ballen ganz oben, ganz vorn ließen sie aus. Das war meine Bank für die Rückfahrt. Die Beine baumelten herab, und ich krallte mich an der Eisenstange fest.Der Ausblick! Der Fahrtwind! Die Äste an den Bäumen, zum Greifen nah! Und Anna, die hinter uns herlief und die Reifen wütend anbellte. Vielleicht wollte sie lieber mitfahren? Der Strohtag war das Beste in den Sommerferien! Über solchen Erlebnissen vergaß ich den Ranzen in meinem Zimmer. Am Abend vor dem ersten Schultag entdeckte ich das verschimmelte Pausenbrot, sechs Wochen alt. Der Respekt vor dem, was aus der Ernte wurde, ist erst später gekommen.

Unverträgliches Getreide

Hanna Lucassen. Im Haushalt meiner Freundin gibt es kein Brot. Ihre beiden Kinder haben Zöliakie, sie vertragen das Klebereiweiß Gluten nicht, das in fast allen gängigen Getreidesorten steckt. Brot, Müsli, ­Kuchen, aber auch Nudeln und viele Fertiggerichte sind tabu. Schon ein Fitzelchen, eine Spur davon, führt zu gefährlichen Entzündungen im Darm. Als das vor zwei Jahren festgestellt wurde, fiel meine Freundin erst einmal in ein Loch. Heute weiß sie genau, wo im Biosupermarkt die Regale mit den glutenfreien Spaghetti, Keksen und dem entsprechenden Pizzateig stehen. Mit Buchweizen- und Reismehl backt sie wunderbar saftige Zwetschgenkuchen mit Mandelkrokant.

Ist alles teurer und recht aufwendig, sagt sie, aber es geht. Nur eins geht nicht: gutes Brot. Das abgepackte glutenfreie Brot schmeckt so grässlich, das isst keiner. Die Bäcker in der Stadt führen kein glutenfreies – zu groß die Gefahr, dass Weizenmehl herüberstaubt. Ihre eigenen Backexperimente endeten erfolglos. Ein­zig eine Sorte Toastbrot ist einigermaßen genießbar. Aber damit bestreitet man kein Abendbrot. Jetzt kocht sie jeden Abend: Kartoffeln, frisches Gemüse, oft auch Fleisch. Mit großem Erfolg. Selbst die Nachbarskinder sind verzückt, erwarten sie zu Hause doch nur schnöde Stullen mit Wurst und Käse.

Neulich erzählte meine Freundin, sie gehe manchmal nach der Arbeit nicht direkt nach Hause, sondern in eine Bäckerei. Dort kauft sie etwas Graubrot, ganz frisch, manchmal noch warm, mit fester Kruste. Und wenn sie hineinbeißt, fühlt sie sich wie ein Teenager bei einer heimlichen Zigarette. Ein bisschen traurig ist sie auch, dass ihre Kinder so etwas nie schmecken werden.

Das Krustige aus Shanghai

Manon Priebe. In Shanghai von einer Scheibe schwarzem Krustenbrot träumen. Fern der Heimat fehlen einem plötzlich die banalsten Dinge. Anfangs ist man angetan von den kulinarischen Delikatessen. Doch nach Wochen mit vermeintlichem „Schwarzbrot“, das in Wirklichkeit mit Kakao eingefärbtes Weißbrot ist, will man nichts mehr als eine ordentliche Wurststulle als Abendbrot. Das hat 2006 ein deutscher Bäcker erkannt und in Shanghai die erste „traditionelle deutsche Bäckerei“ er­öffnet.  Vom Roggenbrot über Vollkornbrötchen bis zur Laugenstange  liefert er den Deutschen (und anderen Brotliebhabern) in der Metropole alles bis an die Haustüre. Der Name der Bäckerei: „Abendbrot“. Und weil nach Wochen mit Reis, Tofu und Gemüse so ein Krustenbrot ganz schön schwer im Magen liegt, schmeckt die traditionelle Reissuppe am nächsten Morgen wieder richtig köstlich.

Besser das vom Lieblingsbäcker

Mareike Fallet. Schon wieder so ein Trend. Abends keine Kohlenhydrate essen, damit die nächtliche Fettverbrennung in Gang kommt. Low Carb. Gedünstetes Gemüse mit Tofu. Omelett mit Rahmchampignons, Rinder-Carpaccio mit Rucola und Parmesan. Klingt lecker. Gesund. Und sehr verantwortungsbewusst. Immer muss alles zu etwas gut sein. Das nervt. Außerdem: Was passiert dann mit meinem Abendbrot? Das ist doch nicht nur ein Abendessen, das ist eine Institution! Mit Holzofenbrot vom Lieblingsbäcker. Eine dicke Scheibe mit Butter und geräuchertem Schinken; ein paar Tomaten; ein Stück Gruyère. Alle erzählen, was sie tagsüber erlebt haben. Die Einjährige ruft: „mehr!“ Und: „Käse!“ Abendbrot, das gab’s in meiner Familie schon immer. Oma Maria stellte Früchtetee dazu. Mein Vater Buttermilch. Ja, man sollte Tradi­tionen immer mal hinterfragen. Aber Low Carb? Niemals. Da bewege ich mich einfach ein bisschen mehr, das verbrennt auch. 

Schwarzbrot mit Leberwurst

Burkhard Weitz. Neulich erzählte ein Freund von einer bizarren Situation während einer Orchesterreise. Sie liegt schon lange zurück, eine Jugenderinnerung. Die Erwachsenen haben gelacht. Nur die Kinder haben die Geschichte nicht wirklich verstanden. Sie geht so: Der Freund sitzt mit einigen Leuten aus seinem Orchester im Zugabteil. Eine Bratschistin öffnet das Zugfenster, setzt sich wieder auf ihren Platz – und plötzlich klebt ein Leberwurstbrot auf ihrer Brust. Des Rätsels Lösung: Das Brot war durch das Fenster hineingeweht. Offenbar hatte jemand im Abteil weiter vorne den ungeliebten Essensvorrat durchs offene Zugfenster entsorgt. Ein Abteil weiter flog es wieder hinein.

Zwei Dinge verstanden die Kinder an der Geschichte nicht. Das Erste: Im Zug kann man die Fenster doch nicht öffnen! Zumindest nicht in den modernen. Höchstens in einigen alten ICs, aber da auch nur die im Gang, nicht im Abteil. Und zweitens: Wieso nimmt jemand ein Leberwurstbrot mit auf die Reise?

Das Knistern von Butterbrotpapier und der Duft von Schwarzbrot mit Leberwurst, das gehörte für mich früher ganz selbstverständlich zu Ausflügen und Reisen aller Art. Und zwar in dem Moment, als sich der Zug in Bewegung setzte oder der Busfahrer den Motor anließ und draußen die Eltern wild winkten. Heute dagegen: Bordbistro, Süßigkeiten, vielleicht mal ein Thunfisch-Wrap. Aber ein Schwarzbrot einpacken, und dann noch mit Leberwurst? Macht doch keiner – oder?

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