Herrn H. fiel die Entscheidung schwer, in unser Altenpflegeheim „Beth Elieser“ zu ziehen. Die ruhige familiäre Atmosphäre und der blühende Garten reizten ihn zwar sehr. Aber sollte er sich wirklich freiwillig der Pflege von Deutschen ausliefern und täglich deren Sprache hören?
Seine Frau hatte Auschwitz überlebt. Er selbst war als 14-Jähriger in einem Zwangsarbeitslager in Ungarn interniert. Zusammen mit seinem Vater musste er auf einen Todesmarsch zu einem österreichischen KZ. Sie litten großen Hunger, die Wärter schlugen und demütigten sie. Der Vater wurde auf dem Marsch erschossen. Herr H. durfte danach nicht stehenbleiben oder zu ihm zurückschauen. Jegliche Reaktion hätte auch für ihn den Tod bedeutet.
Tröstet, tröstet mein Volk
„Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott“ (Jesaja 40,1). Diesem Auftrag folgend eröffnete der deutsche christliche Verein Zedakah 1983 das „Beth Elieser“ im Norden Israels. 24 Holocaustüberlebende werden bei uns von Freiwilligen aus Deutschland betreut. Uns steht dabei das Unbeschreibliche vor Augen, das unser Volk vor allem den Juden angetan hat.
„Die Vergangenheit ist bei mir Gegenwart“, sagt Herr H., der sich schließlich zu einer Probezeit bei uns entschloss. Die Pflege war nicht einfach. Ihn plagte eine permanente Unruhe, er war uns gegenüber misstrauisch und fixiert auf die Erfüllung seiner Wünsche. Immer wieder lehnte er pflegerische oder medizinische Maßnahmen ab, die ihm Erleichterung verschafft hätten.
Wir verstanden, wo die Wurzeln dafür lagen: Als Verfolgter der Nazizeit waren Egoismus und Unabhängigkeit überlebensnotwendig. Herr H. musste sich immer wieder neu beweisen: Ich treffe selbst die Entscheidungen. Ich bin ein Mensch mit Wert und Würde. Wir versuchten, ihm genau das zu vermitteln, wir wollten ihm wohl tun. Aber wir stießen auch an unsere Grenzen.
So waren wir überrascht und berührt, als Herr H. der Stationsleiterin sagte: „Ich muss dir gestehen, ich habe mich getäuscht. Ich dachte, alle Deutschen sind gleich. Jetzt merke ich, dass es auch andere gibt.“