Francesca Schellhaas/photocase
Den Vetter, wenn auch ein schlanker!
Arnd Brummer, Chefredakteur von chrismon, hat mit "Weihnachten bei uns zuhaus" eine Sammlung von 21 Geschichten herausgegeben: Autorinnen und Autoren erzählen von IHREM Weihnachtsfest. Bis Heiligabend veröffentlichen wir eine Auswahl daraus. Den Anfang macht diese Geschichte. Viel Vergnügen beim Lesen!
Lena Uphoff
26.11.2013

Ach, Sonny! Na gut! Ich versteh es immer noch nicht. Leichter hätte ich mir . . . lassen wir’s.

Weihnachten hatte ich meine neue Freundin auf ausdrücklichen Wunsch meiner Eltern mit nach Hause gebracht. Sie hatten Sonny ein paar Wochen vorher kennengelernt,als sie mich in Horb am Neckar besuchten. Dort hatte ich gerade meine erste Stelle angetreten, in der Lokalredaktion des Neckartälers, einer kleinen Zeitung, von der mein Chef Henning Dröster zu sagen pflegte, sie mache von sich reden, indem sie nicht von sich reden mache. Anfangs fand ich das noch  ganz lustig. Was sich bekanntlich ändert, wenn man eine solch originelle Aussage zum sechsundzwanzigsten oder einundvierzigsten Male hört.

Ich hatte meine Eltern zum Abendessen eingeladen. Im Kaiserhof. Und wie zufällig tauchte Sonny an unserem Tisch auf, die Tochter des Hauses. Förmlich und wahrscheinlich auch ein wenig ungelenk stand ich auf: „Darf ich vorstellen, Sonny Kleiber, meine Freundin! Jo und Gerlinde Hartmann, meine Eltern!“ Mein Vater bat Sonny, Platz zu nehmen. Es war ein schöner Abend. Es wurde gelacht. Irgendwann tauchte Sonnys Papa Bruno auf. Die Alten unterhielten sich ausgezeichnet. Sonny und ich düsten ab.

Und nun Weihnachten. Ich holte Sonny Heiligabend um die Mittagszeit am Singener Bahnhof ab. Wir schlenderten noch ein paar Meter durch die Innenstadt und kauften zwei kleine Geschenke für meinen Bruder Tommy und seine Verlobte Rosi.

Die Bescherung, das Abendessen, die Christmette und dann mit Sonny allein in unserem alten Jungszimmer – alles super! Und der erste Feiertag begann genauso. Ein schönes, spätes Frühstück, ein sogenanntes englisches, also mit Rührei und auch einem Gläschen Sekt. Meine Mutter, gut drauf, erzählte von Weihnachten bei ihr zu Hause, Sonny erklärte die Kleiber’schen Bräuche.

Tommy und Rosi verabschiedeten sich, fuhren nach Breisach zu den anderen Eltern. Wir packten die Schlittschuhe. Der Gnadensee zwischen Allensbach und der Insel Reichenau war wieder einmal herrlich zugefroren. Nix wie hin!

„Bevor ich es vergesse“, rief uns Mama zum Abschied nach, „heute Abend sind wie immer Onkel Hartmut und Tante Babsi, Onkel Gerd und Tante Milli zum Truthahn bei uns. Seid pünktlich zurück.“ Auf der Fahrt zum See erzählte ich Sonny, um wen es sich handelte: zwei deutlich jüngere Cousins meiner Mutter und ihre Frauen. Ganz nett, aber nicht besonders aufregend. Das heißt: Hartmut konnte manchmal ein fürchterlicher Labersack sein. Scherze von der Sorte Dröster. „Gut, dass ich das weiß. Dann kann ich damit umgehen“, grinste Sonny.

Sonny lief wie Schwabens Antwort auf Kati Witt. Leicht setzte sie die Kufen aufs Eis. Für mich, der ich eher der Typ Eishockey-Verteidiger bin, einfach unerreichbar schön!

Als wir vor dem Haus parkten, musste ich Sonny nochmal heftig in den Arm nehmen und küssen. Ich werde es nie vergessen!

Im Esszimmer waren schon alle versammelt. Hartmut boxte mir, wie immer, auf die Brust: „Na, mein großer Autor! Wie viel Leid hast du schon mit gleichnamigen Artikeln verbreitet?“ Hahaha, sehr lustig! „Und stellst du mir die Bewacherin deiner schlaflosen Nächte vor?“ Superkomisch! „Das besorg ich schon selbst“, meinte Sonny, „ich kann mir vieles vorstellen und auch mich selbst!“ Und dann mit einem Augenzwinkern, reif für den Komödienstadel, in Richtung Hartmut: „Sind Sie der Vetter, wenn auch ein schlanker?“ Nein, das ist nicht meine Sonny, die sich in Hartmuts Lachtrompetenstöße verneigt!

Sonny, das ist unter deinem Niveau! Ich liebte diese Frau und ihren feinen Humor. Und nicht mal Babsi fand ihre Antwort witzig, obwohl sie sonst freudig dabei war, wenn Hartmut eine drauf bekam.



Ouvertüre für einen Weihnachtsabend, an dem Hartmut den Hartmut gab und alle mittelmäßigen Sprachscherze, die wir samt und sonders seit Jahren kannten, auf Sonny einballerte.

Natürlich: „An Weihnachten soll man den Wein achten!“ Und: „Lieber Wein-Viertel und ein Wachtel als Weihnachtel!“ Ich versuchte, verbal dazwischen zu grätschen. Aber Sonny winkte ab und steckte mit dem ollen Hartmut die Köpfe zusammen. Es gluckste und griente aus der Sofaecke. Das Kalauer-Kraftwerk lief auf voller Power. Besser Bescherung als Beschneidung! Was ist komisch: wenn ein junges Paar händchenhaltend unterm Christbaum sitzt und singt: Ihr Kinderlein kommet! Wenn der Weihnachtsmann den Engeln seine Rute zeigt, hat er es noch lange nicht vergeigt. Sonny kicherte und lachte, als höre sie diesen Scheiß zum ersten Mal.

Und dann lag Hartmuts Pratze auf Sonnys Knie. Und Babsi forderte mit schneidender Stimme: „Wir gehen!“ – „Ja, wir gehen“, grölte Hartmut, „aber nicht wir – sondern vier! Vier gehen jetzt noch in Marys Pub, den Purzeltag von Maries Bub zu Ende feiern.“ Er deutete auf Sonny, Babsi, mich und sich.

„Toll!“, juchzte Sonny. „Nein“, schrien Babsi und ich.

Mein Vater suchte zu schlichten. Vergeblich. Achselzuckend mit Selbst-schuld-Mundwinkeln drehte sich das bis eben innig geliebte Wesen von mir ab. „Ich packe meine Sachen“, schmetterte Sonny ins wortlose Staunen und Erschrecken dieser unheiligen Familie. „Und ich helfe dir“, rief Hartmut und lief mit ihr aus dem Zimmer. Babsi brach schluchzend zusammen. Während die anderen sie zu trösten versuchten, sah ich aus dem Fenster. Sonny stieg zu Hartmut in den roten Käfer und sie brausten davon.

Das ist jetzt mehr als zwanzig Jahre her. Weihnachten wird bei uns nicht mehr gefeiert. Das heißt: Meine Eltern laden jedes Jahr Babsi ein, die schon lange von Hartmut geschieden ist. Seit ein paar Jahren ist ihr neuer Freund dabei, der sich aus Weihnachten überhaupt nichts mache, heißt es.

Ich habe auch meine Zeit gebraucht, um diesen Weihnachtsabend zu verdauen.

Ich lebe in München. Ich bin Rundfunkjournalist, Nachrichtenredaktion. Alle loben mich und danken mir, weil ich seit eh und je die Abendschicht während der gesamten Weihnachtstage übernehme. Meine Frau, unsere beiden Kleinen und ich brauchen den Quatsch nicht. Bescherung ist bei uns wie in Spanien am Dreikönigstag.

Und Sonny? Habe ich neulich im Fernsehen gesehen. Sie hat sich als Kulturwissenschaftlerin habilitiert mit einer großen Studie über Weihnachten und Humor. Bei der Präsentation hat sie sich ausdrücklich bei ihrem Mann Hartmut bedankt. Der Vater ihrer beiden Jungs habe sie auf das Thema gestoßen und dann sagte sie grinsend: „Im wahrsten Sinne des Wortes!“ Recht hat sie.
Und hoffentlich mit Sack und Rute! Das Telefon klingelte. Mama ist dran. Ja, ich habe auch ferngesehen!

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