Denis Dailleux/VU/laif
Der Diktator im Kopf
Die Reporterin Stephanie Doetzer geht der Frage nach: Warum wurde aus dem "Arabischen Frühling" keine wirkliche Revolution?
21.06.2013

Revolution war als Kind eines meiner Lieblingsworte. Ich wusste nicht genau, was es bedeutete, aber es klang verheißungsvoll. Re-vo-lu-tion. Das klang nach Aufbegehren gegen die Autoritäten. Nach mutigen Menschen, die für ein Menschheitsziel ihr eigenes Leben zurückstellen, vielleicht sogar sterben für das große Ideal.

Es klang außerdem nach Che-Guevara-T-Shirts und roch ein bisschen nach Marihuana, aber das war nicht das Wesentliche. Revolution war energiegeladen, exotisch und – extrem weit weg. Jedenfalls in der fränkischen Kleinstadt, in der ich zur Schule gegangen bin. Wenn ich dort in die Vorgärten schaute, war mir klar, was Lenin gemeint hatte, als er sagte, ­eine Revolution sei mit den Deutschen nicht zu machen, weil man dazu den Rasen betreten müsste.

Ich war jemand, der den Rasen gerne ­betrat, vor allem wenn es verboten war. Und so habe ich meine Pubertät mit einer latenten Revolutionssehnsucht verbracht, einer Revolutionssehnsucht, die wenig sichtbaren Ausdruck fand, höchstens in zerfetzten Jeans und in Schülerzeitungsartikeln unter Pseudonym.

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Die Autorin dieses Stücks hat den CNN Journalist Award 2015 (Radio) gewonnen für ihren ebenso berührenden wie mitreißenden Beitrag "Mach's gut, Habibi" - eine "ganz persönliche Geschichte von der Liebe im Krieg". Absolute Hörempfehlung!

Ich hätte damals gerne ein paar Revolutionäre gekannt, Leute, die die Welt verbessern wollen, oder zumindest das eigene Land. Man bekommt, was man sich wünscht, nur meistens ein paar Jahrzehnte später. Seit zweieinhalb Jahren nämlich bin ich umzingelt von Revolutionären. Die Revolution ist zu mir gekommen oder ich zu ihr, wer weiß das schon genau.

Februar 2011. Im Newsroom von al-Dschasira, früher nur Nachrichtensender, jetzt so etwas wie die Schaltzentrale der Revolutionäre. Meine Kollegen laufen zur Hochform auf. Manche campen nachts im Büro, stapeln Kaffee­becher, essen kaum mehr, schlafen kaum mehr.

Und alle gemeinsam erzählen diese wunderbare Geschichte: Über alle religiösen und ideologischen Barrieren hinweg begehrt ein Volk auf. Frauen, Männer, Arme, Reiche, Muslime, Christen, Atheisten, alle gemeinsam in Downtown-Kairo. Schützen sich gegenseitig, stehen gemeinsam vorm Klohäuschen Schlange, schlafen auf benachbarten Isomatten und fallen sich schließlich vor Jubel in die Arme.

Es ist eine Wahnsinnsgeschichte. Als die ersten leibhaftigen Revolutionäre von Kairo nach Doha zurückkommen, setze ich mich mit ihnen ins Wohnzimmer und lasse ein Aufnahmegerät mitlaufen. Meistens sprechen alle durcheinander, aber egal, fast jeder Satz klingt wie ein Drehbuch.

###autor###„Alle auf dem Tahrir-Platz waren eine Familie, und die war wichtiger als die Blutsfamilie zu Hause. Ich schwöre, jeder von uns wäre bereit gewesen, für die anderen zu sterben“, sagt der eine, alle stimmen zu. „Du bist eins mit allem. Und so lebendig wie nie zuvor im Leben.“

Es roch nicht nach Marihuana, aber in meinem Notizbuch steht groß eingekringelt: Alle wie auf Drogen, nur ohne. Vielleicht ist das der Rausch der Revolution, den es bei jeder Revolution wieder aufs Neue gibt, und der zwischendurch, in den wenig revolutionären Routinezeiten, wieder in Vergessenheit gerät.

„Was, wenn das kippt und etwas ganz anderes herauskommt als das, wofür ihr auf die Straße gegangen seid?“, frage ich. „Das darf nicht scheitern. Wir werden das nicht zulassen. Wenn die Revolution möglich war, dann ist alles möglich“, sagt der Erste. „Wir werden so lange kämpfen, bis wir unsere Rechte be­kommen und unsere Freiheit“, sagt der Zweite.

Je mehr solche Sätze fallen, desto stiller werde ich. Meine Revolutionsromantik ist nicht mehr das, was sie Mitte der 90er Jahre gewesen war. Dass ich sie rechtzeitig vor dem Erwachsenenalter in den Griff bekam, verdanke ich meinem Deutschlehrer in der 12. Klasse. Der gab mir ein gelbes Reclam-Heftchen als Referatslektüre, das ich nie vergessen habe: „Masse – Mensch“, ein kurzes, literarisch wahrscheinlich nur mittelmäßiges ­Theaterstück von Ernst Toller.

Es geht darin um eine Frau aus dem Bürgertum, die auf der Seite der Arbeiter für eine friedliche Revolution kämpft. Und um einen Namenlosen, den Manipulateur der Massen, der auf jede Moral mit Verachtung blickt, der alle Mittel heiligt im Hinblick auf das hehre Ziel.

Wir schauen verwackelte Handyvideos. Die Jungs um mich herum sind stolz auf den Tag, an dem sie Pflastersteine gegen Regimeanhänger geworfen haben. Und ich? Mich schaudert es, wenn Hunderttausende die gleichen Slogans skandieren, mit erhobener Faust. Weil ich dann an Deutschland vor 70 Jahren denken muss. Weil ich da keine Menschen mehr sehe, bloß eine blinde Masse. Die den Demonstranten Macht vermittelt, ihnen die Angst nimmt. Und vielleicht auch das Denken.

Ich versuche es noch einmal: Was, wenn die Revolution sich in ihr Gegenteil verkehrt? Ich erzähle von französischen Re­volutionären, die von ihren ehemaligen Gefährten zur Guillo­tine geführt wurden, von Russen, die keinen Zar mehr wollten, aber auch keine neuen Tyrannen, von Iranern, die 1979 wirklich glaubten, sie gingen für Freiheit auf die Straße. Alle winken ab. Es sei eine neue Generation, eine neue Zeit.

Mir kommt es nicht neu vor, schon gar nicht einmalig. „Masse – Mensch“ stammt von 1919, und die Fragen waren die gleichen: Kann das Ziel einer Revolution je besser sein als die Mittel, die sie einsetzt? Und wo beginnt die Diktatur? Mit denen, die menschenverachtende Befehle geben? Oder mit denen, die bereit sind, sie auszuführen?

Die überwältigende Mehrheit meiner Bekannten beantwortet diese Fragen anders als ich. Mein arabischer Freundeskreis ist ziemlich überschaubar geworden.

Spätabends auf Skype, mit Boushra, einer Freundin aus ­Damaskus, die jetzt in Beirut lebt und dort für eine Werbeagentur arbeitet. Wir hatten früher den gleichen Humor. Jetzt nicht mehr so. Ich erzähle ihr von syrischen Flüchtlingen, die mir in Interviews andere Geschichten erzählt haben als am Vortag einer Kollegin. Geschichten, die mehr Mitleid erregen, aufgepeppt mit all dem, was Journalisten hören wollen.

„Na und?“, sagt Boushra. „Es gibt 10 000 andere, denen genau das passiert ist! Und die haben nicht die Chance, ihre Geschichte einer Journalistin zu erzählen!“

„Moment“, sage ich. „Wenn jemand die Geschichten anderer als die eigene erzählt, um eine Revolution zu fördern – dann lügen sie doch genauso wie das Regime, über dessen Lügen sie sich aufregen.“ Boushra sagt, ich hätte leicht reden, meine Familie sei nicht in Gefahr, und mein Land hätte Frieden. Wenn jemand in so einer Extremsituation sei wie ein paar Millionen Syrer, dann werde er doch wohl lügen dürfen. Und außerdem solle ich aufhören, das Wort Bürgerkrieg zu verwenden, es gebe keinen Bürgerkrieg, sondern eine Revolution.

„Aber es gibt doch kein vereintes Volk gegen einen Diktator“, sage ich. „Es kämpfen Syrer gegen Syrer. Und es sieht nicht danach aus, als ob die Kämpfe aufhören würden, wenn das Regime fällt.“ „Natürlich hört es nicht auf“, sagt Boushra. „Aber die Wahrheit tut weh. Die muss man mani­pulieren, bis die Leute reif dafür sind.“ Und dann sagt sie den Satz, den ich derzeit von vielen Syrern höre, in immer neuen Varianten: „I’m ready to support the devil as long as he gets rid of Assad and gives me my country back.“

Das arabische Wort für Revolution lautet in lateinische Buchstaben übertragen: al-Thawra. Es ist ein wütendes Wort, eines, das den Moment einfängt, in dem Emo­tionen überkochen und sich schließlich explosionsartig ent­laden. Unkontrollierbar, unvorhersehbar. Und danach ist nichts mehr so wie vorher.

Tha-Alef-Ra. Das sind die drei Wurzelbuchstaben von al-Thawra, anhand derer man das Wort in arabischen Wörterbüchern suchen kann. Worte, die miteinander verwandt sind, teilen eine Wurzel, um die sich dann andere Buchstaben herumgruppieren. Der „Stier“ basiert auf der gleichen Wurzel, ebenso wie das Wort für „Blutrache“. Rache und Revolution? Ist das Zufall? Ich bin mir nicht sicher, ob gemeinsame Wortwurzeln schon Bezüge in der Bedeutung beweisen. Viele halten das für übertrieben. Ibn Jinni aber, der so etwas wie der erste arabische Linguist war, 900 Jah­re nach Christus, war davon überzeugt.

Jedes Mal, wenn ich Nachrichten aus Syrien lese, dann denke ich, dass Ibn Jinni recht hatte. Auf den ersten Blick sieht es aus, als ob geschlachtete Kühe zum Ausbluten am Baum hängen. Erst als ich das Foto genauer betrachte, sehe ich, dass es zwei Männer sind, eingewickelt in rotgefärbte Decken, den blass­grauen Kopf zur Seite abgeknickt. Das Bild stammt aus Yarmouk, einem vor allem von paläs­tinensischen Flüchtlingen bewohnten Stadtteil von Damaskus. Die Hingerichteten waren zwei Anwohner, denen Rebellen unterstellten, für die Regierung gearbeitet zu haben. Der Vorwurf: Sie hätten Informationen weitergegeben, die einen Luftangriff der Armee am 21. Februar möglich gemacht haben.

Viel mehr weiß man nicht. Wenn die Auskunft der Nachbarn stimmt, dann kann man einen von beiden schwer als Profiteur der Armee-Offensive bezeichnen: Seine schwangere Frau war bei genau diesem Luftangriff von der Armee getötet worden. Die Kommentare in meinem Umfeld: unterschiedlich. ­Manche sagen: Die verdienen das. Die haben Leute an die ­Armee verraten. Andere sagen: Es schadet der Revolution und nutzt dem Regime, das selbst noch mehr Blut an den Händen hat. Zu wenige sagen: Egal, was die beiden getan haben, egal, wer sie sind, das darf nicht sein.

Vielleicht, denke ich, erkennt man die Qualität einer Revolution daran, wie die Revolutionäre mit denen umgehen, die die Revolution gar nicht wollen. Oder sie sich ganz anders vorstellen.

Tunis, Anfang Januar. Ziemlich genau zwei Jahre nach der Flucht des ehemaligen Diktators. Es weht ein kalter Winterwind, ich sitze frierend auf der Terasse eines Cafés der Avenue Habib Bourguiba und beobachte die Passanten. Fast alle tragen Schwarz. Liegt es an der Wintermode oder an der Stimmung im Land? Beides, sagt der junge Kellner und lächelt. Dann fragt er, ob ich ihn heiraten möchte, er würde gerne nach Europa kommen.

Ich lächle ein bisschen zurück, bestelle Tiramisu und vertiefe ich mich in die Tageszeitung. Auf der dritten Seite ein vertrautes Gesicht: Rafik Abdessalem, der erste tunesische Außenminister im postrevolutionären Tunesien.

Daneben ein Artikel über Hotelrechnungen, die darauf hindeuten, dass er öffentliche Gelder veruntreut haben könnte. Und dass er einer Frau ein Fünfsternehotelzimmer bezahlt hat, die nicht seine Frau ist.

Die säkulare Oppositon ist spürbar schadenfroh. Für sie ist der Außenminister genauso korrupt wie seine Vorgänger. Noch einer, der sich über alle Gesetze erhaben fühlt. Noch ein Volltrottel, nur unter neuem Vorzeichen, statt der RCD-Partei des alten Diktators jetzt eben im Namen der islamistischen Nahda-Partei, die unter Ben Ali verboten war. Ich schaue auf das Foto. Ich ­würde ihn gern fragen, ob das alles stimmt. Aber nicht als Journalis­tin, sondern als eine Bekannte von früher. Wir kennen uns aus der Kantine von al-Dschasira, aus den Zeiten vor der Revolution, als er noch kein Regierender war, sondern ein Kollege. Ich habe ihn als guten Gesprächspartner in Erinnerung, als einen derjenigen, die wunderbar erklären können, was alles schiefläuft in arabischen Ländern, wie Vetternwirtschaft und Verachtung fürs eigene Volk einen Staat zur Ruine werden lassen.

Und jetzt? Jetzt ist das, was schiefläuft, für ihn zum Vorteil geworden. Früher gehörte er zu den falschen Kreisen, weit weg von den Führungszirkeln. Dann kam die Revolution und damit ein Rollentausch: Ausgerechnet die Partei seines Schwieger­vaters, Rachid al-Ghannouchi, wurde zur stärksten politischen Kraft. Und er, der Schwiegersohn, wandelt sich vom unbekannten Exiltunesier in Katar zum Außenminister in Tunis. Ob er das manchmal selbst als Nepotismus aufgefasst hat? Oder nur als ganz normal?

Soll ich ihm zu den neuesten Vorwürfen eine E-Mail schreiben und nachfragen? Bisher bleibe ich beim Googeln. Die Dame im Hotelzimmer sei eine Cousine gewesen, sagt er im Radiointerview, und alles andere Teil einer Kampagne gegen die Regierung. Die Authen­tizität der Rechnungen bestreitet er nicht. Seine Frau schweigt, sein Schwiegervater verteidigt ihn auf seine Weise. Wer falsche Gerüchte verbreite, sagt er in einem Video auf seiner Facebook-Seite, der verdiene 80 Peitschenhiebe. Natürlich nur rein theoretisch, Tunesien kennt keine Körper­strafen.

Zur gleichen Zeit in Kairo: Hunderttausende gehen auf die Straße. Ihr Slogan klingt wie vor zwei Jahren: „Ash-shab yurid isqat an-nizam!“ – „Das Volk will den Fall des Regimes!“ „Time Out Morsi!“ steht auf den Plakaten. Oder: „Ein Diktator steigt auf“, manchmal illustriert durch Mohammed Mursi mit Pharaonenmaske.

Es ist nicht so, dass es keinen Widerstand gäbe, keine Kritik an den neuen Machthabern. Es gibt sie in allen Cafés, in allen Internetforen, in allen Diskussionen beim Abendessen. „Woran, glaubt ihr, scheitert es, warum hat die Revolution bisher so wenige ihrer Versprechen eingelöst?“, frage ich derzeit alle Araber, die meinen Weg kreuzen.

Die häufigste Antwort lautet: Es ist das Regime. Das Regime ist immer noch da, nur die Spitze ist ausgetauscht. Manchmal lautet die Antwort aber auch: Was oben ist, ist unten. Wir werden so lange Diktatoren haben, bis wir den Diktator im Kopf entmachten.

Die erste Antwort ist nicht falsch, aber ich glaube, nur die zweite trifft den Punkt. Es sind wenige, die das sagen, sie gehen selten auf die Straße, sie posten noch nicht einmal wütende Artikel auf Facebook.

Aber vielleicht sind sie mutiger als die Wortführer der ­meis­ten Proteste. Wer mitmarschiert, braucht momentan nicht besonders viel Rückgrat. Revolution ist Mainstream. Und die Revolutionäre, die ich kenne, sind im Alltag recht gehorsam. Sie heiraten die Frau, die ihre Mutter für richtig hält. Sie sind freundlich zum Chef, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Sie lästern mit mir über seine Entscheidungen und schweigen in der Redaktionskonferenz immer dann, wenn sie die Möglichkeit hätten, den Mund aufzumachen. Sie sagen nie Nein, sie lavieren lieber herum. Sie sind, so furchtbar das klingt, die idealen Untertanen.

Tunis, Mitte März. Die Regierung ist in der Krise. En-Nahda gibt einige Ministerien ab, darunter das von Rafik Abdessalem. Normale Tunesier schlagen sich irgendwie durch. Oder auch nicht. Genau an der Stelle, die ich vor ein paar Wochen vom Café aus im Blick hatte, steht ein junger Mann. Er übergießt sich mit Benzin, zündet sein Feuerzeug und geht in Flammen auf. Es ist schönes Wetter in Tunis, die Passanten tragen jetzt ­Grau statt Schwarz. Manche versuchen, die Flammen zu löschen, andere schießen Fotos mit ihren Handys. Von einem Menschen, der auf der Straße kniet wie in Lava erstarrt, ein schwarzer Körper ohne Gesicht, voller Asche, noch am Leben und doch leblos, wie eine steife, schwarze Puppe.

Am nächsten Morgen, am Tag der neuen Regierungsbildung, stirbt er an seinen Verletzungen. Er hieß Adel Khadri und war 27 Jahre alt. Er wird keine Revolution auslösen.

Ein paar Stunden nach dem letzten großen Bombenanschlag in Damaskus. Ich sitze mit fünf syrischen Freunden in London, die meisten sind schon etwas angeheitert. Fast alle haben gerade mit ihrer Familie in Damaskus telefoniert, große Erleichterung, keiner aus ihrem Bekanntenkreis ist unter den Verletzten. Die Mütter sagen, es habe im Haus ein bisschen vibriert, sonst hätten sie den Anschlag auch auch bloß im Fernsehen mitbekommen.

Einer hebt sein Rotweinglas und sagt: „Auf unseren Kampf für Syrien!“ „Sag, wofür kämpfen wir noch mal?“, fragt der neben ihm. „Wir kämpfen einen Bürgerkrieg darüber, von welchem ­Diktator wir in Zukunft unterdrückt werden wollen.“ „Santé“, sagt der Dritte.

Du siehst alles so negativ, sagt mir ein kanadischer ­Kollege in Beirut. Bist du etwa gegen die Revolution? Er ist auch Journalist, einer, der sich der Förderung von revolutionären Bewegungen in der arabischen Welt ver­schrieben hat. Für ihn ist die Sache klar: Rebellen sind gut, Regime sind böse.

Ich schweige, sein Blick wird bohrender. Als ob er sagen will: Alle guten Menschen sind dafür, nur die Arschlöcher dagegen.

Die Revolution. Ich mag das Wort nicht mehr hören. Es meint nicht das, was ich mit 16 herbeigesehnt habe. Es klingt nicht mehr nach Tracy Chapman und nach Freiheit. Es klingt nach mehr Wut als Mut. Es klingt nach einem Teufelskreis.

Revolvere, lateinisch: zurückwälzen. Revolutio, etymologisch gesehen meist gebraucht ür die Bewegung von Planeten: Drehung im Kreis, zurück zum Ausgangspunkt. Das Wort stimmt schon. Nur der Kontext nicht.

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Stephanie Doetzers Artikel hat mich sehr berührt, weil sie nicht nur sehr kentnisreich und anschaulich schreibt, sondern auch sehr feinfühlig die menschlichen (und oft unmenschlichen) Beweggründe der arabischen und vieler anderer Revolutionäre herausarbeitet. Ihr Gespür für das Unechte und Scheinheilige im revolutionären Gebaren führt sie u.a. auf die von ihrem Deutschlehrer empfohlene Lektüre von Tollers "Masse- Mensch" zurück. Mir fällt ergänzend noch Büchners "Dantons Tod" ein. Großartig, wie dort die Inhumanität hinter dem Pathos der Revolutionäre deutlich wird.
Danton zu Robespierre:
"Hast du das Recht, aus der Guillotine einen Waschzuber für die unreine Wäsche anderer Leute und aus ihren abgeschlagenen Köpfen Fleckkugeln für ihre schmutzigen Kleider zu machen, weil du immer einen sauber gebürsteten Rock trägst?"

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Zitat aus dem Artikel: "Die Revolution. Ich mag das Wort nicht mehr hören. ...... Es klingt nach einem Teufelskreis." Revolutionen sind eindeutig des Teufels. Da rotten sich also Leute zusammen, besetzen Plätze, schreien unanständige Parolen und gehen nicht ihren alltäglichen Pflichten nach. Manchmal jagen sie tatsächlich die Herrschaft außer Landes, in anderen Fällen küssen sie hingegen voller Inbrunst Soldatenhelme. Egal, wenn man genau hinschaut: Lug und Trug, Berechnung, Intrige, nicht einmal Ehrlichkeit bei den Geschichten übers Anstehen am Gemeinschaftsklo! Und dann diese Gewalt! Tote, die die gesittete Herrschaft nicht bestellt hatte! Das geht endgültig zu weit. Da kann sich ein feinfühliger, kenntnisreicher, der Pubertät entwachsener Mensch nur mit Grauen abwenden.________________________________ Nur gut, dass weise Deutschlehrer die Grundlage für die entscheidende Distanzierung von solchen Aufmüpfigkeiten rechtzeitig durch Literaturtipps legen. Die Auswahl ist groß. Wem der Toller zu links ist, greife zu den Meistern des echten Pathos, im Gegensatz zum falschen Pathos ungehorsamer ägyptischer Störenfriede! Friedrich Schiller, das Lied von der Glocke: "Wenn sich die Völker selbst befrein, Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn".________________________________ Rudi Wedekind schrieb am 9. Juli 2013 um 23:05: "...Scheinheilige im revolutionären Gebaren............" Nur gut, dass echte Heilige Klartext zu reden wissen, wie mit gewalttätigen Aufrührern umzuspringen ist. Doktor Martin Luther in seinem Traktat "Widder die stürmenden bawren": "Drumb sol hie zuschmeyssen, wurgen und stechen heymlich odder offentlich, wer da kan, und gedencken, das nicht gifftigers, schedlichers, teuffelischers seyn kan, denn eyn auffrurischer mensch, gleich als wenn man eynen tollen hund todschlahen mus, schlegstu nicht, so schlegt er dich und eyn gantz land mit dyr." _________________________ Wer weder der Hochliteratur noch dem altertümlichen Deutsch zugetan ist, muss deswegen nicht leer ausgehen. Die Quintessenz ist nämlich dieselbe: "Üb' immer Treu und Redlichkeit Bis an dein kühles Grab, Und weiche keinen Finger breit Von Gottes Wegen ab." Amen!

Von Stephanie Doetzer bekomme ich bestätigt, dass auch im „Arabischen Frühling“ einige Menschen den Charakter aller Einzelpersonen als entscheidend erkannt haben. Solange „oben wie unten“ viele kleine Diktatoren in ihren jeweiligen Lebensbereichen herrschen wollen und gleichzeitig dort unterwürfig sind, wo sie die Überlegenheit anderer fürchten, wird es in der Gesellschaft im Großen keine Demokratie geben können. Im Prinzip ist das überall auf der Erde dasselbe. Der nötige große Durchbruch zu einer umwelt- und sozialverträglichen Entwicklung erfordert einen Fortschritt in der persönlichen Entwicklung jedes einzelnen Menschen. Jeder einzelne Mensch muss heute den Mut finden, zu sich selbst und zu unseren gemeinsamen natürlichen Eigenschaften zu stehen, die ursprünglich im Einklang mit unseren natürlichen irdischen Lebensbedingungen sind. Von der Natur entfernt und entfremdet haben sich unsere Vorfahren und wir bis in die Gegenwart nur durch die Tradition der gegenseitigen Bekämpfung, die mit zunehmender Wirksamkeit der Technik immer gefährlicher für uns alle geworden ist. Von Natur aus wären alle Menschen intelligent genug, um alle ihre Interessen zum gemeinsamen Vorteil vollkommen friedlich miteinander koordinieren zu können. Aber leider wird der Teufelskreis der gegenseitigen Bekämpfung und Kränkung der Menschen immer verwickelter und vertrackter. Um diesen zu durchschauen und um ihn schließlich weltweit zum Zusammenbruch zu bringen, wird sich jeder Mensch bemühen müssen, unsere Welt möglichst gut zu verstehen und zu diesem Zweck aufgeschlossen zu sein für die Gedanken und Gefühle aller anderen.

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" Der Dktator im Kopf " ist der Obrigkeit Abklatsch, seine innere Repräsentanz. Ich bevorzuge daher die liebende Präsenz Jesu. Zitat: "Man muss sich klarmachen, dass jene mächtigen Gruppen der Industrie, die an der Produktion der Waffen beteiligt sind, in allen Ländern einer friedlichen Regelung der internationalen Streitfragen entgegenwirken und dass die Regierenden nur dann jenes wichtige Ziel erreichen können, wenn sie der tatkräftigen Unterstützung der Majorität der Bevölkerung sicher sind. In unserer Zeit demokratischer Regierungsform ist das Schicksal der Völker von diesen selbst anhängig, dessen muss jeder einzelne stets eingedenk sein. " ( geschrieben von A. Einstein, erschienen in "Mein Weltbild" ). Es geschieht heute nichts, was nicht schon längst vorhergesagt worden ist, oder für notwendig befunden wurde. Nur der Zeitpunkt, wann es in Erscheinung tritt, hängt von Faktoren ab, die die persönliche Entwicklung betreffen. In diesem Zusammenhang steht auch der "Arabische Frühling". ------------------------------"Drum, wer Ohren hat zu hören, ..."

ich habe mit Spannung den Artikel von Stephanie Doetzer gelesen, weil ich eine Interpretation des Arbischen Frühlings als Erhebung gegen Diktatoren aus weiblicher Sicht erwartet habe. Leider ist Stephanie Doetzer offensichtlich so in der Journalistischen Tätigkeit verstrickt, dass Sie den Kernpunkt des Ursprungs übersieht: Es handelt sich um den Aufstand der Frauen gegen die Diktaturen, gegen Männerdominierte - patriarchale Gesellschaften, die zudem noch fest religiös verankert sind und damit mit einem moralischen Imperativ versehen sind. Zum ersten mal sah man in den Fernsehaufzeichnungen vom Tahir-Platz in Kairo eine große Beteiligung von Frauen an der politischen Willensbekundung beteiligt.
In unseren "westlichen Gesellschaften" nahm eine ähnliche Entwicklung in der Französischen Revolution ihren Anfang. Wir alle wissen, was sich im Anschluss an die französische Revolution abgespielt hat, bis wir uns zu unserer heutigen dmeokratischen und Friedlichen entwickeln konnten.
Das wird noch ein steiniger Weg bis aus den heute noch kulturell und religiös patriarchalisch strukturierten Arabischen Gesellschaften weiblichere, friedliche und demokratische Gesellschaften werden.
Alle anderen Behauptungen zur Araellion sind schönfärberisch und politisch motiviert.