Michael Ondruch
Der Vorbildliche
Eigentlich undenkbar: dass der Religionsgründer Jesus einen einzelnen Mann den anderen vorzog
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
20.03.2013

Es ist eine rührende Szene: Am Abendmahlstisch, an dem sich der biblischen Überlieferung nach dreizehn Personen zum Passahmahl versammeln, lehnt sich ein junger Mann innig an den Mann, um den sich hier alles dreht: an Jesus von Nazareth. Eine besondere Nähe scheint sie zu verbinden, eine unbestimmte Männerfreundschaft. Auf mittelalterlichen Gemälden (zum Beispiel am Kreuzaltar des Ulmer Münsters aus dem Jahr 1515) sitzt gar ein knabenhafter Jüngling träumend auf dem Schoß Jesu. Schnitzbilder aus der Gotik zeigen, wie ­beide eng nebeneinandersitzen und der junge Mann mit geschlossenen Augen ­seinen Kopf an die Brust des älteren drückt.

Was hat es auf sich mit dieser irritierenden Liebelei?

In der Geschichte von Leiden und Auferstehung Jesu ist das kein Detail am Rande, sondern ein Kernstück. Es bezieht sich auf die ungewöhnliche Formulierung im Johannesevangelium: Das sei der Jünger, „den Jesus besonders liebte“ (Johannes­evangelium 13,23, zit. nach Basis­Bibel). Wie denn das: Zieht dieser unbestechliche Religionsgründer einen einzelnen Mann allen anderen vor? Will er nicht gerecht sein gegenüber allen Menschen? Was hat es auf sich mit dieser irritierenden Liebelei?

RfE im April 2013

Der Lieblingsjünger Jesu, von dem  viele Theologen vermuten, es sei der Evangelist Johannes, sitzt beim Abendmahl an Jesu rechter Seite, auf dem Ehrenplatz, dem Platz für enge Vertraute. Selbst Petrus, der besonders bedeutsame Jünger, schaltet beim Abendmahl Johannes ein, um eine heikle Frage an Jesus zu richten: wer denn der gefürchtete Verräter sein wird – alle erfahren, es ist Judas. Später, am Karfreitag, ist es der Lieblingsjünger, der als einziger Mann unter mehreren Frauen am Kreuz nicht von der Seite des Sterbenden weicht. Ihm vertraut der gekreuzigte Jesus seine Mutter an: „Sieh doch! Sie ist jetzt deine Mutter!“ (Johannes 19,27)

Das muss schon ein besonderer Anhänger Jesu sein. Lässt Jesus da eine persönliche Schwäche erkennen? Wenn man Gefühle für Schwächen hält, dann ja. Aber dass in diesem Fall von besonderer Zu­neigung, von „besonderer Liebe“ Jesu die Rede ist, bedeutet ja nicht, dass er alle anderen Freunde zurücksetzt.

Mit Erotik hat das nichts zu tun

Was ist das Geheimnis dieser Beziehung, dieser Liebe? Wenn im Deutschen von Liebe die Rede ist, so kann dieses Wort mal mehr in Richtung Wertschätzung, mal in Richtung tiefe Emotionen gehen. Das im Griechischen benutzte Wort (aga­pan) bedeutet das Erste: liebevoll aufnehmen, schätzen. Dass das mit Erotik nichts zu tun hat, zeigt der weitere Verlauf der Passions- und Ostergeschichte. Dieser Jünger bezeugt nicht nur das Abschiedsmahl Jesu und das Sterben. Gemeinsam mit Petrus besichtigt er am Ostermorgen als Erster das leere Grab. Er ist ein wichtiger Zeuge der Auferstehung.

Klaus Berger, Professor em. für Neues Testament in Heidelberg, schreibt: „Der Lieblingsjünger tritt nach dem Johannes­­evangelium immer dann auf, wenn die ­Autorität des Petrus gestützt oder von allem Zweifelhaften befreit werden muss. ... Er garantiert, dass Petrus das leere Grab nicht manipuliert hat, und er ist Zeuge seiner Einsetzung als Hirte“ der ganzen Kirche. Berger geht auch auf die Konkurrenz zwischen Petrus und Johan­nes ein: Viele Theo­logen deuteten ihr Verhältnis „im Sinne professoraler Männer­feindschaft. Beide Figuren seien durch fins­tere Konkurrenz miteinander verbunden. Das Gegenteil ist wahr: Wo immer Pe­t­rus und der Lieblingsjünger gemeinsam vorkommen, bestätigt der Lieblingsjünger als unabhängiger Zeuge, dass es mit dem Zeugnis... des Petrus seine Richtigkeit hat.“

Ist der Lieblingsjünger tatsächlich der Evangelist Johannes? Sicher ist das nicht. Das letzte Kapitel des Johannesevange­liums ist ein Nachtrag. In diesem redaktionellen Anhang schreibt sich der vierte Evangelist Johannes einfach in die Rolle des anonymen Jesuslieblings hinein. Versucht er sich dadurch selbst aufzuwerten? Es bleibt ein Rätsel. Nehmen wir es positiv: Die Figur des Jesuslieblings ist, auch wenn sie his­torisch nicht zu fassen ist, ein zeitloses Vorbild in Sachen Glauben.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.
Permalink

Sehr geehrter Herr Kopp,

wie können Sie hier nur - wider besseres Wissen! - die Idee verbreiten, Jesus sei ein Religionsstifter gewesen?
Welche Religion meinen Sie denn?
Jesus war und blieb immer Jude!

Permalink

Ich habe den Bericht von Eduard Kopp mit einigem Interesse gelesen!

Schon länger habe ich mit über die Situation des "Lieblingsjüngers" Gedanken gemacht und habe nach dem lesen vieler Bücher über Jesus und seine Zeit folgende Erklärung gefunden.

Jesus war der älteste Sohn von mehreren Geschwistern (Schwestern und Brüder) diverse Namen sind überliefertz.B. Jakobus der Herrenbruder !
Ich meine: Der jüngste Bruder war Johannes, der einzige der Geschwiater der mit Jesus mitzog!
Hier hatte Jesus eine besondere Verantwortung und ein besonderes Verhältnis zu seinen kleinen Bruder! Diese "Bevorzugung" konnte von den anderen Jüngern anerkannt werden!
Auch die Worte Jesu am Kreuz erscheinen plötzlich sinnvoll: Der älteste Bruder beauftragt seinen jüngeren Bruder sich um die Mutter zu kümmern ,- die Verantwortung als Ältester wird als Auftrag und Trost weitergegeben.
Wenn ich Johannes als den "kleinen" Bruder Jesu betrachte , erscheinen mir viele Berichte über den "Lieblingsjünger" Jesu sehr klar und verständlich!

Gruß:

Dieter Göbler
Rotthauserstr. 27 c
453

Permalink

In der genauen und worttreuen Schlachter 2000 Übersetzung ist in Johannes 13,23 nicht die Rede von einem Jünger, den Jesus besonders liebte sondern nur liebte.
In der Elberfelder ist ebenfalls nicht die Rede von einem Jünger den Jesus besonders lieb hatte, sondern von einem den er liebte.
In der Luther Übersetzung ist nicht die Rede von einem Jünger den Jesus besonders liebte.
Die minderwertigen "Hoffnung für alle" und " Gute Nachricht" Übersetzungen dagegen bringt die Interperetation des Lieblingsjüngers hinein.
Deshalb und wegen vieler anderen Ungenaugigkeiten ist es ratsam sich eine Schlachter 2000 oder unrevidierte Elberfelder Bibel zuzulegen.
Johannes ist sich der Liebe Jesu bewußt und erwähnt dies im Johannesevangelium. Das Jesus ihn bevorzugte oder mehr leibte ist wiegesagt nur in den ungenauen, grob übersetzten Übersetzungen zu finden. Warum einer minderwertigen Bibelübersetzung trauen, wenn die genauere was anderes sagt?
Gott liebt alle Menschen und trotzdem sind sich manche Menschen der Liebe Gottes nicht bewußt, andere aber schon.
So könnte vielleicht einer sagen, dass Gott ihn lieb hat, der andere vielleicht dass er die Liebe Gottes nicht spürt/ erkennt.
Johannes erkennt sie und bezeichnet sich somit selbst als der Jünger, der von Jesus geliebt wurde.
Die "besondere Liebe" ist aber in den seriösen ÜBersetzungen nicht zu finden.

Permalink

Der geliebte Jünger ist kein bevorzugt Geliebter. Er wird im Johannesevangelium erstmals ausdrücklich erwähnt im Abendmahlsaal. Die Erzählung ist eingeleitet mit dem Satz: "Da Jesus die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung." Mehr Liebe als Liebe bis zur Vollendung gibt es nicht. Der geliebte Jünger steht so stellvertretend für jeden Jünger und jede Jüngerin, der/die Jesu Liebe erkannt und angenommen hat.

Permalink

In der Bibel heißt es: "der Jünger, den Jesus liebte".
Nirgends lässt sich daraus "Lieblingsjünger" Jesu ableiten.
Der HERR bevorzugte niemanden. Auch Petrus nicht.
Richtig ist also, das der Jünger Johannes sich der Liebe des Herrn Jesus bewusst war, und deshalb seinen Namen nicht erwähnt, weil er nur Jünger und Mensch, der Herr Jesus, über den er durch den Heiligen Geist inspiriert zu berichten hatte, der ewige Sohn Gottes ist. Welch eine Demut Sich selbst "Lieblingsjünger" zu nennen wäre allerdings das Gegenteil: Hochmut.

Aber Irrtümer, weil "Lieblingsirrtümer", halten sich halt länger, weil mancher gerne eine solche Rolle heute einnehmen möchte. Vielleicht ist sogar der Papst ein "Lieblingsjünger"?

Permalink

25 Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. 26 Als Jesus die Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zur Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! 27 Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.

In 25 steht, wer bei ihm alles am Kreuz stand. Und einer davon muss folglich der Lieblingsjünger sein - offensichtlich eine Frau namens Maria. Denn alle Anwesenden (Frauen) am Kreuz tragen den Vornamen Maria. Dass im folgenden "den Jünger" seht, dürfte wohl eher der Übersetzung geschuldet sein. Seine Mutter kann er nicht meinen, wenn er im folgenden seine Mutter dem Lieblingsjünger zuweist. Offen ist vielmehr, ob er seine Tante meint, Maria Klophas oder Maria Magdala.

Es gibt zwar Meinungen, dass sich Johannes aus Ehrfurcht nicht selber nennt an Jesu Kreuz, aber an anderer Stelle im Evangelium wird er durchaus namentlich erwähnt. Dass er hier nicht genannt wird und doch anwesend ist, ist pure Spekulation.

Die einzigen Personen als Frauen, bei denen es Sinn macht, dass Jesus sie anspricht mit den Worten "siehe, deine Mutter" - ohne dass man hier ein Gleichnis ziehen muss - wäre eine Schwester (Jesus hatte ja Geschwister) oder seine Ehefrau, im Sinne von "siehe, deine (Schwieger-)Mutter"

Ja, es gibt sicher zwei Fragestellungen: wer war der Lieblingsjünger beim Abendmahl? War es auch diese Maria?
Maria Magdelena ist es wohl nicht, denn sie läuft nach der Auferstehung zu Petrus und dem Lieblingsjünger. Wobei aber nur dann beide zum Grab laufen --- kann das dennoch sein, dass hier ebenfalls Mariam gemeint ist? Und nur die Übersetzung Petrus, Mariam und noch den Lieblingsjünger formte? Statt nur Petrus und Mariam? Oder war eben eine andere Maria - die, die am Kreuze steht, neben Mariam.