Hier leben wir“, sagt Ramiz und durchmisst mit einer Handbewegung das Zimmer: zwei Betten mit hellem Holzfurnier, gefaltete Decken, kein Kissen passt zum Bettbezug. Hinter den Spitzenvorhängen die Wiesen des bay-erischen Voralpenlandes, am Horizont zeichnen sich Berge ab. „Kommt“, sagt der 24-Jährige und läuft durch den Flur mit der vergilbten Tapete und der Werbung für einen arabischen Laden in München. „Hier“, sagt er stolz und lässt sich in einem kargen Raum auf eine Couch fallen, die früher mal weiß war. An der Wand ein Schränkchen, darauf ein Fernseher. Ramiz’ kleiner Sohn hockt davor und schaut einen Zeichentrickfilm.
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Autorin Lea Hampel im Interview mit Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat über die Wohnsituation von Asylbewerbern
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Ramiz strahlt: „Das alles ist ein Geschenk.“ Bis vor kurzem hatte er nicht einmal eine Unterkunft und nun Schlafzimmer und Wohnzimmer, ausgestattet mit Spenden von Nachbarn. Der junge Syrer fühlt sich wohl im früheren Ferienhaus, in dem er seit einigen Monaten mit seiner Familie und einigen anderen Flüchtlingen wohnt. Als er vor knapp einem Jahr seine Heimatstadt Aleppo verließ, konnte er nicht ahnen, dass es ihn in ein bayerisches Dorf verschlagen würde. Mittlerweile spricht er Deutsch, ist mit dem katholischen Pfarrer per Du und spielt Fußball beim SV Bad Heilbrunn.
Die Asylbewerber sollen im ehemaligen "Sanatorium Strauß" unterkommen
Dass Ramiz im „Haus am Hang“, also – wie knapp hundert weitere Flüchtlinge im Landkreis Bad Tölz – in einer Ferienwohnung lebt, darf in Bayern eigentlich gar nicht sein. In keinem anderen Bundesland lebt ein so hoher Anteil an Asylbewerbern in Gemeinschaftsunterkünften. Das sind große Häuser abseits der Städte, in denen oft mehrere Hundert Menschen hausen. Das zuständige Sozialministerium sagt, eine solche Massenunterbringung lasse sich gut verwalten und sei vergleichsweise billig.
Derzeit kommen besonders viele Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und anderen Krisenregionen nach Deutschland. Die Gemeinschaftsunterkünfte sind überfüllt, noch mehr große Häuser schwer zu finden. Also kommen die Asylbewerber vorübergehend in Ferienwohnungen unter.
Auch Ramiz und seine Mitbewohner leben nur auf Zeit im „Haus am Hang“. Derzeit prüft ein staatliches Immobilienunternehmen das frühere „Sanatorium Strauß“ in der Ortsmitte von Heilbrunn. Hier könnten Dutzende Asylbewerber des Landkreises Bad Tölz unterkommen: mit sieben Quadratmetern pro Person, Gemeinschaftsbädern und -küchen. Ein Hausmeister und Verwalter würde das Haus in Schuss halten, über die Hausordnung wachen und Lebensmittellieferungen verteilen. Ramiz und seine Familie würden sich Zimmer mit Flüchtlingen aus Mazedonien und Afghanistan teilen. So weit der Plan.
Die Bürger von Bad Heilbrunn wollen das nicht
Nur eins hat die bayerische Staatsregierung in ihrer Planung übersehen: Die Bürger von Bad Heilbrunn wollen das gar nicht. Sie wollen, dass die Asylbewerber in den Ferienwohnungen bleiben. Sie wollen keine Massenunterkunft mitten im Ort. Mehr als 18 oder 20 Flüchtlinge könne die Gemeinde sowieso nicht verkraften, hat der Bürgermeister gesagt.
Und Heilbrunner wollen, dass es Ramiz und den anderen nicht schlechter ergeht als jetzt. Für sie sind die Bewohner des „Hauses am Hang“ nicht bloß Asylsuchende, die zufällig in ihrem Ort gestrandet sind. Die Heilbrunner sagen liebevoll: „unsere Syrer“. Wie ernst es ihnen mit dem Thema ist, wird deutlich, wenn man die Geschichte ihrer Annäherung erfährt.
Bad Heilbrunn ist ein Dorf mit 4000 Einwohnern und Geranien an Holzbalkonen. Touristen im Rentenalter wandeln durch den Kräuterpark und den Heilklimapark Tölzer Land. Viele Telefonnummern sind kürzer als die Ortsvorwahl. Die CSU holte bei der letzten Wahl fast 48 Prozent.
Wie die Asylbewerber ins Städtchen kamen. . .
Wenige Tage vor Weihnachten 2011 erfuhr Thomas Gründl, der Bürgermeister von Bad Heilbrunn, per Telefon vom Landratsamt: 18 Asylbewerber würden in zwei Tagen in einem ehemaligen Ferienhaus in seiner Gemeinde untergebracht. Für wie lange, sei unklar. „Da habe ich mich kurz ein bisserl aufgeregt“, erinnert sich Gründl. Er hätte gern früher Bescheid gewusst.
Früher verbrachten Wandergäste im „Haus am Hang“ ihren Urlaub, dann bewohnte Personal die Räume, nun hat der Eigentümer, ein Bad Heilbrunner, es an die Bezirksregierung vermietet, die nicht mehr weiß, wohin mit den Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und anderswo. Im Dezember 2011 kamen die 18 jungen Männer, Frauen und Kinder mit einem Bus im Hangweg an. Am nächsten Morgen wachten Ramiz und seine Familie in einem Haus mit Spitzenvorhängen auf, wo über den Türen vergoldete Zimmernummern stehen. Drei Männer klingelten an der Tür. Einer sagte: „Ich bin Pfarrer Hartl von der katholischen Gemeinde.“ – „Ich wusste nicht, was das ist: ein Pfarrer“, erzählt Ramiz heute. Die anderen beiden waren der evangelische Pfarrer und der Bürgermeister von Bad Heilbrunn. Mit alledem konnte Ramiz wenig anfangen, er kannte auch den Namen des Ortes nicht, an dem ihn ein Busfahrer am Vortag abgesetzt hatten.
Ramiz und die drei Männer verständigen sich etwas verlegen mit Händen und Füßen. Skeptisch beäugen Nachbarn in den nächsten Tagen, wie fremde Kinder barfuß auf der Straße herumlaufen, obwohl Schnee liegt. Im Eingang des „Hauses am Hang“ stapeln sich kistenweise Lebensmittel. Die neuen Bewohner haben offenbar nie von Mülltrennung gehört. Eine Nachbarin hängt zu Weihnachten einen Christstollen an die Tür und findet ihn später in einem Garten wieder. Die Gäste wissen nicht, was das weiße Ding ist, die Kinder spielen damit. Anwohner beschweren sich bald.
Wie die Heilbrunner Ramiz' Geschichte erfahren. . .
Sonntags drauf rufen der evangelische und der katholische Pfarrer in ihren Gottesdiensten auf, die Asylbewerber freundlich zu empfangen. „Wer weiß, vielleicht aktualisiert Gott in ihnen die Herbergssuche, die sich vor 2000 Jahren ereignet hat“, predigt der katholische Pfarrer Christian Hartl. Er, sein evangelischer Kollege und der Bürgermeister laden ins Pfarrheim ein, „um dem Wort Asylbewerber ein Gesicht zu geben“, wie der Bürgermeister sagt. Die Kinder rennen umher, man verständigt sich mühsam, etwas Englisch, „da war das erste Eis gebrochen“, sagt Gründl.
Bei Kaffee und Weihnachtsplätzchen erfahren die Nachbarn: Ramiz war Schreiner in Aleppo. Von dort ist er über Griechenland mit seinem Sohn nach Deutschland geflohen, seine Frau ist mit der Cousine über Italien gefolgt. Die Familie ist kurdisch, damit gehört sie zur größten Minderheit Syriens, deren Lage sich durch die aktuellen Geschehnisse verschärft hat. 13 000 Euro hat er gezahlt, um über die Grenze zu kommen. Nun hofft der junge Mann auf einen Neubeginn.
Doch den sieht das deutsche Gesetz nicht vor, zumindest so lange Ramiz nicht offiziell Flüchtling ist. Und das kann dauern. Vorgesehen ist von Amts wegen die Versorgung mit Essenspaketen – kaum mehr. Ramiz und die anderen Asylbewerber sprechen kein Deutsch und kaum Englisch. Sie dürfen nicht arbeiten, können weder den Ort verlassen noch ihre Verwandten in Syrien erreichen. Das erzählen sie, mit Hilfe eines Übersetzers. Für viele Bad Heilbrunner ist es die erste Begegnung mit einer Asylpolitik, die sie bislang nur aus Zeitung und Fernsehen kennen.
Der Burschenverein geht mit Ramiz und Pfarrer Hartl wandern
Während dieser Kaffeerunde entsteht die Idee vom „runden Tisch“: Einmal im Monat treffen sich Vertreter von Gemeinde und Verwaltung mit Flüchtlingen und Freiwilligen, um zu schauen, was die Asylbewerber brauchen. Eine Spendensammlung im Januar erbringt mehr als 1000 Euro. Davon werden unter anderem Schulhefte gekauft.
Ab Februar gibt eine pensionierte Mathelehrerin, Angelika Vollmer, zwei Mal die Woche Deutschunterricht, sie selbst lernt dafür Arabisch an der Volkshochschule. Ramiz und die anderen lernen, wie man auf Deutsch Fragen stellt und Sätze formuliert, mit Hilfe eines arabisch-deutschen Übersetzungsprogramms üben die Erwachsenen Vokabeln. Zwei Damen passen auf die Kinder auf.
Der Burschenverein geht mit Ramiz und Pfarrer Hartl wandern. Ein Computer wird gespendet, ein Bürger bezahlt jeden Monat die Internetrechnung. So kann Ramiz übers Internet mit seinem Bruder daheim in Aleppo telefonieren. Zwei weitere Computer können im evangelischen Gemeindehaus bei Pfarrer Johannes Schultheiß genutzt werden. Unter den Bad Heilbrunnern herrscht die Meinung vor: Die Regierung hat es schwer, wir helfen ein bisserl nach. Auch Pfarrer Hartl fühlt sich in der Verantwortung, nicht jedoch zur Kritik am System berufen.
Wie der Kampf mit den Behörden die Bürger anstachelt. . .
Einige Wochen nach ihrer Ankunft bittet Ramiz um einen Raum, „wo man gemeinsam sein kann“, wie er sagt. Die Flüchtlinge verbrächten viel Zeit im Haus, könnten aber nur im Treppenhaus beieinander sitzen. Ein Ortsbewohner stiftet eine Couch, gemeinsam räumen Bewohner und Helfer ein Zimmer leer, Ramiz und die anderen haben ein Wohnzimmer.
Im Juni erhält Ramiz ein Schreiben vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das ihm ein Jahr Duldung gewährt, nicht aber den Flüchtlingsstatus. „Nicht“, liest er vor. Das ist das entscheidende Wort, so viel hat er verstanden. Weil Gründe für einen Flüchtlingsstatus „nicht“ vorliegen, darf er nur ein Jahr bleiben. Eine Heilbrunnerin, die die Flüchtlingsfrauen bei Arztbesuchen begleitet, schüttelt den Kopf: „Und das wird ihm dann erklärt in einem Schreiben, das nicht mal ich als Deutsche verstehe.“ Solche Momente gab es Dutzende in den letzten Monaten. Sie haben den Bad Heilbrunnern die Schwierigkeiten von Menschen wie Ramiz gezeigt. „Anfangs dachte ich, wenn die ersten Probleme gelöst sind, wird das zum Selbstläufer“, sagt Pfarrer Hartl. „Heute weiß ich: Das stimmt nicht.“
Der Kampf mit den Behörden stachelt die Menschen an, als wollten sie die mangelnde Gastfreundlichkeit ihrer Regierung kompensieren. Ein Bäcker gibt Weißbrot, denn die amtlichen Essenspakete enthalten Brot, das die Flüchtlinge nicht vertragen. In den Sommerferien wird extra Deutschunterricht erteilt, weil das Amt gar keinen vorsieht.
"Du bist doch mein Bruder.“
Im Sommer 2012 muss Pfarrer Hartl Umzugskisten packen, er wird Spiritual in Lantershofen bei Bonn. Ramiz hilft. Es dauert viel länger als geplant, bis jedes Buch, jeder Ordner des Pfarrerhaushaltes verstaut ist. „Da habe ich mich entschuldigt“, erzählt Hartl. „Und Ramiz meinte nur: Aber Christian, das macht nichts, du bist schließlich mein Bruder.“
Hartl versteht jetzt auch, dass die Flüchtlinge keine Sammelunterkunft brauchen, sondern Beschäftigung. „Wenn Asylverfahren so lang dauern, kann ich nicht hinnehmen, dass Leute monatelang auf beengtem Raum sitzen und ihnen die Decke auf den Kopf fällt“, sagt der bedächtige Pfarrer: „Wenn Probleme mit Asylbewerbern auftreten, hängt das auch damit zusammen, dass die Leute woanders keinen Ausgleich haben.“
Die Sozialministerin kommt
Ende Juli besucht Christine Haderthauer Bad Heilbrunn, die bayerische Sozialministerin. Erst will sie nur den Kindergarten besichtigen, ein typischer Fototermin. Doch Bürgermeister Gründl lädt die Ministerin auch ins Asylbewerberhaus ein. Er hofft, sie umzustimmen.
Und sie kommt. Einige Minuten spricht Haderthauer mit den Flüchtlingen. Doch auf Nachfragen der Bürger bleibt sie hart. Eine Gemeinschaftsunterkunft habe Vorteile, sagt sie. Der „runde Tisch“ sei schön, aber nicht überall möglich.
„Das habe ich mir gedacht, dass die sich nur an ihre Sachen hält“, sagt eine Frau aus dem Helferkreis. Zu deutlich wollen sie nicht werden, denn noch steht die Entscheidung aus. Außerdem verbietet es der Anstand, schlecht über Amtsträger zu reden. „Man hört schon raus, was wir davon halten“, sagt eine der ehrenamtlichen Helferinnen.
Die Bad Heilbrunner fürchten, dass ein Lager für mehrere Dutzend Flüchtlinge im Ortskern den Ort abwertet. Und sie haben kein Verständnis, dass die Regierung ihre Politik nicht einmal jetzt infrage stellt, wo in allen Orten mit Asylbewerbern im Landkreis Bad Tölz runde Tische nach Bad Heilbrunner Vorbild existieren – mit Bürgern, die den Flüchtlingen Zeit und Geld schenken.
Wie lange Haderthauer bei ihrer Haltung bleiben kann, ist eine andere Frage. 2013 wird der Bayerische Landtag neu gewählt – und vielleicht behält Pfarrer Hartl recht. Er hatte nach Haderthauers Besuch sein Engagement mit folgenden Worten erklärt: „Wir wollen nichts verordnen. Wir sagen: Wenn man Gutes tut, zieht das oft Kreise.“
Applaus für den Helferkreis in Bad Heilbrunn
Liebe Mitmenschen, das schreibe ich absichtlich so, weil wir Mitmenschen zur Mitmenschlichkeit verpflichtet sind. So verstehe ich das zu mindest.
Ich komme auf Ihre Seiten, weil in den nächsten Tagen eine junge chinesische Frau mit ihren beiden Kindern(4 Jahre und 9 Monate) ein kleines Zuhause in Bad Heilbrunn findet. Da wollte ich doch sehen, ob es dort auch Menschen gibt, die Ansprechpartner sein mögen.
Ich selbst arbeite mit meinem Mann ehrenamtlich beim Freundeskreis Asyl in Schongau. Dort haben wir uns nach einer Gewaltaktion durch den damaligen Partner der Frau ihrer angenommen und sind mit ihr den langen, schweren Weg im Behördendschungel gegangen.
Gott sei Dank habe ich dann von den dezentralen Unterkünften im Tölzer Landkreis gehört.
Im dortigen Landratsamt habe ich nach langer Zeit wieder Menschlichkeit und Verständnis für die Lage der Frau erfahren und war sehr froh darüber.
Inzwischen liegt sie mir sehr am Herzen und die Kinder sind meine Weltenkel geworden. Es gäbe noch viel zu erzählen, aber erst einmal bin ich sehr beruhigt, daß sie nun in Bad Heilbrunn Aufnahme finden wird.
Ich lege sie Ihnen sehr ans Herz und wir sind gerne weiter Ansprechpartner wenn Sie Fragen haben. Es ist ein schöner Lohn wenn wir erfahren, daß Menschen wieder ein Stückchen weiter kommen auf ihrem Weg.
In diesem Sinn danke an unsere Mitstreiter und Gottes Segen!
Herzliche Grüße Angela Rösch
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