Beim Kürbisfest vor der frisch renovierten Kirche werden Gedichte geschrieben. Jean Boué liest sie vor. Fotos: Anne Schönharting/Ostkreuz
Unser Dorf hat noch eine Seele
Wieso schützen so viele Dorfbewohner vor allem ihre Kirche? Weil sie mehr ist als nur ein Gebäude, sagt Eckhart von Vietinghoff von der Stiftung KiBa
Tim Wegner
22.10.2012

In ostdeutschen Dörfern gibt es viele marode Gebäude. Wie kommt es, dass sich die Menschen vor allem um den Wiederaufbau der Dorfkirchen bemühen?

Eckhart von Vietinghoff: Ich glaube, es ist das Paradox, was uns so fasziniert. Kirchengebäude widerstehen dem Zeitgeist, der von der Diktatur der Ökonomie bestimmt wird. Kirchen „rechnen sich nicht“, sie sind „nutzlos“. Und darum umso wertvoller für uns. In einer Kirche muss man gar nichts machen – und bekommt vielleicht trotzdem etwas zurück.

Auch ein bekennender Atheist?

Ja, vielleicht auch der. Das weiß ich aus vielen Gesprächen. Kirchen sind Räume der Entschleunigung. Wer sich auf diese Räume einlässt, kann zu sich selbst kommen. Ich habe Menschen getroffen, die nach solchen Besuchen erstaunt über sich selbst waren. Das hätten sie nicht von sich selbst erwartet.

Erstaunlich, dass es ge­­ra­de im Osten Deutschlands, wo manchmal nur ein Dutzend Dorfbewohner zur Kirchengemeinde gehört, so viele aktive Kirch­bau-Fördervereine gibt.

Das Zusammentreffen mit diesen Menschen gehört zu meinen wunderschönen Erlebnissen der letzten Jahre. Da gibt es SED-Bürgermeister, die in der DDR nie einen Fuß über die Schwelle einer Kirchentür gesetzt haben und jetzt einen Förderverein für den Erhalt der Kirche gründen. Und über dieses Engagement entwickelt sich dann auch eine geistige Nähe.

Woher kommt das?

Ich glaube, der Kampf um den Erhalt der Dorfkirchen ist ein Kampf um die Zukunft: Seht her, bei uns geht nicht alles kaputt. Unser Dorf hat noch ein Zentrum, hat noch eine Seele. Der Kirchturm wird zum dörflichen Erkennungs­zeichen. Und das hilft uns, hier zu sein, uns selbst nicht aufzugeben.

So etwas ist ansteckend, da will man dabei sein.

Sie sind im Vorstand der Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland, der Stiftung KiBa, verantwortlich für viele Kirchenrenovierungen. Geht es da nur um das Einsammeln von Spendengeldern?

Die Spenden sind überlebenswichtig. Aber wir von der Stiftung KiBa geben immer nur dann Gelder, wenn die Gemeinden auch einen Eigenanteil erwirtschaften. Ohne Engagement in den Dörfern und Städten macht es keinen Sinn. Und wenn wir fördern,  gibt es einen weiteren Schub: Wo eine so große überregionale Institution dabei ist, fühlt sich auch die örtliche Sparkasse noch mal ganz anders angesprochen.

Und dann packen alle mit an?

Vielleicht nicht alle, aber viele. Das erlebe ich immer wieder, egal ob in den alten oder neuen Bundesländern. Der eine entsorgt den Schutt aus den gotischen Gewölbekappen, der andere repariert das Kirchengestühl, wieder andere backen Kuchen. Das sind tätige Menschen. So etwas ist ansteckend, da will man dabei sein.

Und nach ein paar Jahren ist alles nagelneu?

Nein, eben nicht. Das dauert länger, und es muss nie perfekt werden. Ein Kirchengebäude spricht uns mehr an, wenn es uns seine Wunden zeigt, seine Altersflecken – und widersteht damit dem unmenschlichen Perfektionsdruck, der unser Leben sonst so stark beherrscht.

Und was ist, wenn es trotz allen Engagements nicht klappt?

Dann muss man Kompromisse eingehen. Wir von der Stiftung KiBa loben alle drei Jahre einen Preis aus, bei dem es um die erweiterte Nutzung von Kirchen geht. Da gibt es tolle Ideen. Vom Kindergarten im Seitenschiff über Wohnungen im Dachgeschoss einer gotischen Kirche... Man kann sicher nicht alles machen mit einer Kirche. Aber sehr vieles.

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