In einem Interview mit der »New York Times« sprach David Bowie 2002 davon, dass Musik sich in der Zukunft zu einem Gebrauchsgut wie Elektrizität oder Wasser entwickeln werde: etwas, von dem man selbstverständlich davon ausgeht, dass es jederzeit und überall verfügbar ist. Bei Filmen bahnt sich ein ähnlicher Trend an. Legale Streaming-Angebote wie Netflix, die Filme gegen Geld direkt aus dem Netz auf den heimischen Bildschirm beamen, machen als »große Jukebox im Himmel« in den USA bereits ein gutes Drittel des gesamten Internet-Traffics aus.
2012 könnte das Jahr sein, in dem das gleiche Modell langsam aber sicher auch in Deutschland Fuß fasst. Zumindest ist laut GfK der deutsche digitale Leih- und Kaufmarkt für Filme im vergangenen Jahr um rund 50 Prozent gestiegen und konnte damit sogar den gleichzeitigen Rückgang im Geschäft mit DVD und Blu-Ray ausgleichen.
Rund 2,1 Millionen Deutsche sind schon dabei
Mittlerweile sind zwölf Prozent des gesamten Video-Leihmarktes digital, kommen also ganz ohne materielle Trägermedien aus. Immer größere Internetbandbreiten und die wachsenden Märkte für Tablet-Computer und sogenannte Smart-TVs, also Fernseher mit Internetanschluss, haben Video-on-Demand für immer mehr Konsumenten, mittlerweile rund 2,1 Millionen in Deutschland, zu einer echten, und vor allem: legalen, Alternative zur Videothek um die Ecke reifen lassen. Die Vorstellung ist ja auch bestechend: Wenn einen spontan die Lust auf einen Film überkommt, muss man nicht mehr auf Öffnungszeiten und begrenzte Sortimente Rücksicht nehmen, nicht mal mehr die Wohnung verlassen. Man wirft einfach Fernseher oder Computer an, bezahlt bargeldlos, und Minuten später flimmert der Wunschfilm über den Bildschirm.
Der deutsche Video-on-Demand-Marktführer Maxdome, seit 2010 vollständig im Besitz der Sendergruppe ProSiebenSat.1, wirbt am aggressivsten mit diesem Konzept und verspricht »Fernsehen nach Wunsch«, wann und wie man will. Im Frühjahr dieses Jahres wurde das bis dato angebotene Set-Top-Box-System von Maxdome überholt und durch eine neue Struktur ersetzt, die stärker auf Internetabrufe und Smart-TV setzt, auch zum Ärger einiger alter Kunden, deren Boxen plötzlich nicht mehr richtig funktionierten.
Für Neukunden jedoch wurde die Nutzungsschwelle deutlich gesenkt. Wer eines der über 45 000 Videos sehen will, die Maxdome zum Abruf anbietet, muss sich nur auf der Website registrieren, ein Plug-in installieren und kann anschließend sofort losgucken. Entweder direkt auf dem Computer oder auf dem heimischen Flatscreen. Für letztere Option kann man den PC über ein entsprechendes Kabel an den Fernseher anschließen, oder aber man nutzt die häufig schon vorinstallierten »Apps« der Smart-TVs, die über ein gesondertes Menü per Fernbedienung anwählbar sind. Ist der Fernseher per Kabel oder drahtlos ans Internet angeschlossen, wandert der Film direkt von den Maxdome-Servern auf den Schirm. Ähnliche Systeme bieten auch internetfähige Spielekonsolen wie die PlayStation 3 und Microsofts XBOX 360.
Zwischen 99 cent und 5,99 Euro
Bei Maxdome kosten Filme zwischen 99 Cent für Sonderangebote und 5,99 Euro für aktuelle Blockbuster und werden oft sogar in HD angeboten. Der Preis liegt also häufig ähnlich hoch wie bei einem typischen Ausleihvorgang in einer herkömmlichen Videothek. Wer (in der Regel per Kreditkarte) bezahlt, erwirbt für meist 48 Stunden das Recht, den Film beliebig oft anzusehen. Häufigere Nutzer können Abos abschließen, die ihnen für große Teile des Sortiments eine Flatrate gewähren. Wer den Film auf Dauer im Regal stehen haben will, kann ihn – ungefähr zum gleichen Preis wie die DVD – auch herunterladen und auf DVD brennen.
Ähnlich einfach wie bei Maxdome funktioniert das digitale Leihen und Kaufen inzwischen auch bei den zahlreichen Konkurrenten des Marktführers, sei es bei der Telekom-Plattform Videoload, dem iTunes-Store von Apple oder dem eindeutig, aber wenig prägnant benannten »Videodownloadshop« der Warenhauskette Media Markt. Auch Online-Videotheken wie Videobuster oder die Amazon-Tochter Lovefilm erweitern ihr postalisches Sortiment zunehmend um digitale Abrufvideos. Technische Tüfteleien und Regale verstopfende Zusatzgeräte gehören weitestgehend der Vergangenheit an. Meist heißt es nur: registrieren, bezahlen, gucken.
Bleibt nur das Problem, dass einem durch die Registrierung mitnichten die gesamte Filmgeschichte mit wenigen Klicks zur Verfügung steht. Von den 45 000 Videos, mit denen Maxdome wirbt, sind große Teile vor allem Fernsehinhalte – hauptsächlich Serienfolgen und TV-Movies aus dem Hause ProSiebenSat.1. Auch die Zahl 8 000, mit denen die weniger fernsehorientierten Konkurrenten häufig werben, erscheint verschwindend klein, wenn man bedenkt, dass pro Jahr derzeit rund 500 Filme allein in Deutschland ins Kino kommen, eine unüberschaubar größere Anzahl weltweit produziert wird.
Anbieter von Video-on-Demand bauen eben nicht nur eine Infrastruktur, auf der sie die Filme der Welt an den Endkunden weiterreichen, wie es Videotheken im Grunde tun. Sie sind – wie Kinoverleiher oder Fernsehsender – Lizenznehmer, und fast jede Lizenz ist zeitlich begrenzt. Das komplizierte Finanzierungssystem der Filmbranche lebt davon, das Recht an der Auswertung eines Films möglichst oft in zeitlich oder regional begrenzten »Fenstern« zu verkaufen. Deswegen haben DVDs und Blu-Rays regionale Codes, die sie nur auf den Geräten eines Kontinents abspielbar machen. Und deswegen muss eine gewisse Zeit verstreichen, bevor ein im Kino gestarteter Film auf DVD erscheinen oder im Fernsehen ausgestrahlt werden darf. Jedem Lizenznehmer in der Verwertungskette wird ein Zeitrahmen zugestanden, in dem er den Film relativ exklusiv in seinem Medium auswerten darf.
Harry Potter und Fluch der Karibik gibt es nicht
Und darum sind beispielsweise die erfolgreichsten Kinofilme des Jahres 2011 – Harry Potter und die Heiligtümer des Todes, Teil 2, Fluch der Karibik 4 und Kokowäah – derzeit bei fast allen Anbietern nicht digital leihbar. In ihrem Auswertungszyklus liegen die Rechte für diese Filme derzeit bei den Pay-TV-Sendern, die mit Diensten wie »Sky GO« inzwischen ebenfalls ihr lineares Angebot um Video-on-Demand im Web erweitert haben. So kann übrigens, wer bei Sky das entsprechende Paket gebucht hat, dort schon jetzt etwa die zweite Staffel der HBO-Serie »Game of Thrones« oder auch das brandaktuelle neue TV-Drama »The Newsroom« aus der Feder von Aaron Sorkin schauen – auf Abruf und in letzterem Fall fast zeitgleich zur Ausstrahlung in den USA.
Irgendwann werden Harry Potters letzer Kampf und Til Schweigers Vaterprobleme auch auf Maxdome, Videoload und Co wieder abrufbar sein. Bis dahin aber klafft eine nervtötende Lizenzschlucht, die auch von ihren Eigentümern notorisch verknappte Filme wie Disney-Klassiker oder die Star-Wars-Saga verschluckt und dafür sorgt, dass Filme oft nur in der Synchronfassung bereitstehen – die Originalfassung würde die Anbieter Extralizenzgebühren kosten.
Noch schlechter sieht die Situation selbst bei aktuelleren kleinen Arthouse-Filmen ohne großen Verleih aus, von im Mainstream unbekannteren Klassikern des Weltkinos ganz zu schweigen. Beim Portal »Warner VOD« (Slogan: »Alle Filme von Warner Bros. als Download«) sucht man selbst den Warner-Film-noir-Klassiker Die Spur des Falken vergeblich.
Kleine Portale setzen auf Arthouse-Filme
Zumindest die cineastische Lücke von Arthouse-Filmen und Klassikern wollen einige kleinere Portale schließen. Die vom europäischen Förderprogramm MEDIA unterstützten Seiten Mubi.com und Realeyz.tv etwa setzen gezielt auf ein Liebhaberpublikum, das Angebote abseits der Blockbuster sucht. Mubi, dessen Website leider selbst in seiner für Deutschland lokalisierten Version nur auf Englisch erhältlich ist, will sogar mehr sein als ein Video-Abrufportal und präsentiert sich in kumpelhaftem Ton als internationale Community für Cineasten – mit Nutzerprofilen, Kommentarfunktion und eigener Webzeitschrift. Das Unternehmen hinter der Website sitzt im Ausland, bei Einkäufen per Kreditkarte werden also Auslandsgebühren fällig.
Realeyz.tv hingegen stammt aus Berlin, operiert unter dem Claim »Arthouse Nouveau« und lockt mit einem günstigen Abopreis von nur 2,90 Euro pro Monat und der Abrufbarkeit auch auf iPad und iPhone. Ebenso wie Mubi verspricht Realeyz vor allem das Entdecken von Perlen der Filmgeschichte, auch aus dem Kurz- und Dokumentarfilmbereich.
So findet man bei Mubi derzeit rund 1 000 Titel des internationalen Kinos aller Zeitalter, von Buster Keatons Der General bis zu Steve McQueens Hunger. Zu Realeyz’ aktuellen Bestsellern gehören etwa die britische Kochkomödie Toast und der Dokumentarfilm Zu Hause ist wo ich bin über die tschechische Musikerin Ida Kelarová. Als Filmfan fühlt man sich auf beiden Seiten sofort wohl, sie vermitteln die Atmosphäre eines vertrauten Programmkinos, im Gegensatz zu den multiplexartigen Seiten der großen Konkurrenten.
Aber auch die Arthouse-Portale müssen Lizenzen erwerben, und so bleiben auch hier große Teile der Filmgeschichte unerreichbar. Übersetzt man das Wort »Demand« in »Video-on-Demand« nicht wie gewohnt mit »Abruf«, sondern alternativ mit »Verlangen«, wird man sich wohl noch eine ganze Weile damit abfinden müssen, dass dieses Verlangen oft ungestillt bleibt, und das, obwohl sich die Angebote in den vergangenen Jahren in Sachen Benutzbarkeit und Vielfalt deutlich verbessert haben. Wer bereit ist, sich bei mehreren Portalen anzumelden und die Lizenzlücken auszusitzen, für den dürfte das Piraterieargument, es gebe ja keine legale Alternative zu illegalen Streams, in vielen Fällen nicht mehr ziehen. Von der ganzen Welt des Kinos, die jederzeit und überall wie Wasser oder Strom aus den Leitungen fließt, ist Video-on-Demand allerdings noch ein gutes Stück entfernt.