Dirk von Nayhauß
"Den Sinn muss man sich selber herstellen"
„Gib dich zufrieden“, sagt sie zu sich selber. Aber so ein inneres Vibrieren gehört zu ihr, sagt die Schriftstellerin Gabriele Wohmann
Dirk von Nayhauß
23.04.2012

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Ich fühle mich immer lebendig, vom Aufwachen an bis zum Einschlafen, das ist ziemlich anstrengend. Ich bin mir meiner immer bewusst, auch in Zeiten der Faulheit, und das ist besonders quälend. Ich kann keine Pausen machen, finde keine Ruhe. So ein inneres Vibrieren gehört zu mir, eine Nervosität. Wenn ich schreibe, bin ich am unlebendigsten, weil ich mich dann konzentriere. Deswegen ist das Schreiben gut für mich, dann vergesse ich die Außenwelt und alles andere und mich selber. Ich muss jeden Tag schreiben. Früher fühlte ich mich auf eine angenehme Weise ­lebendig, wenn ich auf Reisen war: mit einer guten Lektüre im Zug oder in einem schönen Hotelzimmer, aber das ist Vergangenheit, meine Arthrose ist zu stark, ich kann nicht mehr gut gehen.

 

Hat das Leben einen Sinn?

Ich bin bis heute kein Mensch, der dasitzt und sich Gedanken macht: Wer bist du? Was ist deine Aufgabe im Leben? Dafür bin ich viel zu ungeduldig. Das Leben hat ohnehin keinen Sinn, den Sinn muss man sich selber herstellen. Wenn man ihn sucht, ist man krank. Ich will ein angenehmer Mitmensch sein, für meinen Mann beispielsweise, will immer lieb genug sein. Und es ist sinnvoll, dass ich schreibe und dadurch Geld einnehme und davon leben kann und Menschen erfreue, die meine Bücher gern lesen.

 

An welchen Gott glauben Sie?

An den Gott meiner Kindheit. Ich hatte einen wunderbaren Vater, der Theologe war, wenn auch kein Gemeindepfarrer. Er hat uns Kindern Gott so nahegebracht, dass man sich davon nie mehr trennen kann. Als Kind lebte ich in dem Gefühl: Es kann mir nichts passieren, solange meine Eltern da sind und aufpassen; ich fühlte mich völlig sicher in der Welt. So denke ich auch über Gott: Er ist ein ganz großer Trost in meinem Alltag, ein Leben ohne Gott wäre furchtbar. Bibelworte können mich in einen regelrechten Glücksrausch versetzen. „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Oder: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöset; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ Das sind unglaublich beruhigende Zitate. Um mich ruhig zu machen, singe ich tagsüber innerlich Kirchenlieder, es gehen mir immer welche im Kopf rum: „Gib dich zu­frieden“, „Wer nur den lieben Gott lässt walten“, „Lobe den Herren“.

 

Muss man den Tod fürchten?

Meinen Tod fürchte ich nicht, aber ich fürchte sehr den Tod meines Mannes, falls er vor mir dran ist; und gegen diese Angst hilft überhaupt nichts. Ich kann mir mein Leben ohne ihn nicht vorstellen, zumal ich uralt bin und mich nicht mehr richtig be­wegen kann und mir dauernd helfen lassen muss. Ich habe ein Buch geschrieben, das heißt „Sterben ist Mist, der Tod aber schön“. Ich fürchte das Sterben, womöglich langwieriges, ekelhaftes Leiden. Wäre das Sterben zu qualvoll, kann ich mir vorstellen, mein Leben selbst zu beenden. Gott würde mir dies verzeihen, mein Gott verzeiht alles; der nimmt mich auch, wenn ich ein Selbstmörder bin. Ich würde das jedoch nicht tun, solange mein Mann lebt, das darf man seinen nächsten Lieben nicht antun. Den Tod selbst, den fürchte ich nicht, im Gegenteil, denn dann bin ich frei von Angst, das ist das Schönste. Ohne die Vorstellung von der Herrlichkeit in Ewigkeit könnte ich nicht leben.

 

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Wenn ich zufällig mit einem Kind zusammenkomme und mit ihm spiele und dann das Gefühl habe: Dieses Kind hat mich in diesem Moment gern – dann finde ich das sehr beglückend. Überhaupt ist Liebe von anderen sehr befreiend. Das Wichtigste ist natürlich, dass man als Frau von seinem Mann geliebt wird, und das weiß ich hundertprozentig bei meinem Mann, das ist eine große Beruhigung. Wir sind seit fast 60 Jahren miteinander verheiratet. Das haben wir vor allem durch die Geduld meines Mannes geschafft, ich war nicht immer so brav und lieb. Darüber hinaus gibt es ein grundsätzliches Einverständnis zwischen uns, obwohl wir sehr verschieden sind: Mein Mann geht eher nach innen, ich nach außen, zumindest früher.

Welchen Traum möchten Sie sich noch unbedingt erfüllen?

Ich würde gern irgendwie noch einmal ans Meer kommen, aber das ist nicht realistisch mit meinen ganzen „-osen“ – ich habe Arthrose und Osteoporose. Träume sind ohnehin allzu oft Illusionen, und von denen halte ich gar nichts. Wenn ich einen Traum habe, dann muss der auch realisierbar sein.

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Mit großer Freude habe ich eben Ihr Magazin durchgeblättert. Vor allem die „fragen an das leben“ und die Antworten von Gabriele Wohmann haben mich begeistert!  Ich würde mich sehr freuen, wenn das Thema Alter als Aufgabe und Chance für unsere Kirchen in Ihrem Magazin aufgegriffen werden könnten.

02.05.2012