„Wir haben die Demokratie gewählt“, sagte Barry Salam. „Wir wollen Frieden und Versöhnung – aber nicht, wenn dies unsere fundamentalen Freiheitsrechte gefährdet.“ Barry Salam repräsentierte Anfang Dezember auf der zweiten Bonner Afghanistankonferenz die afghanische Zivilgesellschaft. Würde die Mehrheit der Afghanen – wie Salam – Demokratie und Freiheit höher als Frieden und Ausgleich schätzen, würde die Mehrheit lieber kämpfen als den Taliban Konzessionen in Sachen Frauenrechte machen, lieber streiten als nicht gewählte Warlords wieder an die Macht zu lassen, könnten wir Deutsche nach zehn Jahren Engagement am Hindukusch sagen: In den Köpfen hat sich etwas geändert, immerhin.
Bloß: Reicht das, um Afghanistan den ersehnten Rechtsstaat zu bringen? Möglicherweise nicht. Gleich nach der Bonner Konferenz tötete ein pakistanischer Selbstmordattentäter 48 Schiiten mitten in Kabul – während einer Trauerprozession zum Aschura-Fest. Selbst Pakistan stuft die Gruppe, zu der der Täter gehörte, als terroristisch ein. Das schließt aber nicht aus, dass der pakistanische Geheimdienst dennoch involviert war.
Iran und Pakistan wollen keinen Erfolg des Westens
Es sind die angrenzenden Regionalmächte, welche die afghanischen Volksgruppen gegeneinander aufbringen. Pakistan taktiert schon lange gegen den Westen und ist aktuell verärgert, weil die US-Streitkräfte jüngst pakistanische Grenzer beschossen und getötet hatten. Iran liegt sowieso mit den USA über Kreuz und hat zu allem Überfluss jüngst eine amerikanische Drohne im eigenen Luftraum aufgespürt. Beide Regionalmächte wollen keinen Erfolg des Westens in Afghanistan. Sie suchen – wie in der Vergangenheit auch – regionale Stammesfürsten als Verbündete. Auch andere Anrainer werden das weiterhin tun, etwa der in zwielichtige Geschäfte verwickelte usbekische Diktator Islam Karimow.
Die Begünstigten sind Warlords, oftmals Kriegsverbrecher. Manche waren nach 2001 mit westlicher Billigung in Regierungsgeschäfte eingebunden. Sie profitieren von einer schwachen Zentralregierung und haben kein Interesse an Demokratie und Rechtsstaat. Deshalb müssen gerade sie künftig geschwächt werden. Insofern traf Selay Ghaffar, auch eine Vertreterin der afghanischen Zivilgesellschaft, in Bonn einen wunden Punkt, als sie forderte, „die Kultur der Straffreiheit“ im Land zu beenden. Der Westen sollte finanzielle Zusagen für die Zeit nach dem Truppenabzug 2014 stärker davon abhängig machen, dass Stimmen wie diese Gehör finden.