Dirk von Nayhauß
"Was wir sehen, ist nur die Oberfläche"
Irgendwann mal will Tom Buhrow in einer Rentnerband spielen. Doch vorher müssen noch einige Fragen geklärt werden.
Dirk von Nayhauß
22.03.2011

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Am verlässlichsten beim Musikhören oder Musikmachen. Ich spiele nicht regelmäßig und nicht viel, aber gelegentlich schrummel ich Gitarre und spiele Klavier, meistens Lieder aus den 60er und 70er Jahren – Bob Dylan, Neil Young. Manche lebendigen Momente werden einem aber auch geschenkt. Kürzlich war ich an der Elbe joggen. Es war ein grauer Morgen, und plötzlich brach ein Loch im Himmel auf und die Sonne kam durch. Die Zeit blieb stehen; banal könnte man sagen: Ich war ganz im Hier und Jetzt. Ich glaube, ich nehme das Leben schon immer sehr intensiv wahr.

Haben Sie manchmal das Gefühl, die Nähe Gottes zu spüren?

Ich rede ungern darüber, aber: Ja, manchmal spüre ich diese Nähe. Nicht wenige Menschen sagen: „Gott spricht nicht mit mir.“ Bei mir ist das umgekehrt. Er versucht die ganze Zeit, mit mir zu sprechen, aber ich höre zu selten hin. Nicht sein Schweigen ist das Problem, sondern meine Taubheit. Ich erlebe seine Nähe als Geschenk: Es kann über Natur gehen, es kann ein Windhauch sein; es kann aber auch mitten in der Stadt passieren, mitten im Verkehr. Aber es geht eben nicht auf Knopfdruck, dass man sagt: „Jetzt habe ich Zeit, jetzt will ich dich hören.“ Besonders intensiv war es bei der Geburt meiner beiden Töchter, da habe ich ein sehr tiefes Gefühl der Dankbarkeit gespürt. Ich hatte immer das Gefühl, dass die Welt, die wir sehen und riechen und schmecken, dass das nur eine Oberfläche ist. Ich hatte immer das Gefühl: Ob man nun so aussieht oder so, ob man dieses oder jenes erreicht, ob man reich oder arm ist – in dem großen ­Zusammenhang spielt das überhaupt keine Rolle.

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Kinder haben eine unverstellte Wahrnehmung. Folgende Situation: Sie reden mit Ihrem Chef und Ihre Tochter hört zu und fragt später: „Warum ist der Mann böse auf dich?“ Im ersten Moment sagen Sie: „Stimmt doch gar nicht, ist er nicht, wir haben sachlich miteinander gesprochen.“ Aber das war eigentlich gar kein Gespräch, es war die Affirmation einer Hackordnung. Das Kind hat sofort die Essenz erfasst, und alles andere ist nur Oberfläche.

Hat das Leben einen Sinn?

Es fällt auf, dass alle großen Weisen dazu nichts sagen. Die Frage spielt offenbar überhaupt keine Rolle für die Ausrichtung des eigenen Lebens. Mein Instinkt und meine Erfahrung sagen mir, dass es sich nicht gut anfühlt, wenn ich versuche, erst eine Blaupause zu finden und dann mein Leben nach dieser Blaupause zu leben. Deswegen glaube ich auch nicht an Kant. Der Kant’sche Imperativ ist logisch und nachvollziehbar, aber ich habe immer das Gefühl von etwas Abstraktem, nicht das Gefühl von etwas Lebendigem. Ich habe mal gelesen: Der Sinn des Lebens ist der Vollzug des Lebens. Dieser Satz kommt einer Antwort nahe.

Muss man den Tod fürchten?

Ich fürchte ihn und hoffe zugleich, dass ich das eines Tages loswerde. Ich beneide Menschen, die dem Tod gelassen entgegen­blicken. Ich sage regelmäßig: „Ich glaube an das ewige Leben“, aber wenn ich ganz ehrlich bin, ist das etwas, das im Dunkeln liegt und mir auch Angst macht.

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Die Liebe zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern, Liebe zwischen Freunden. Joan Armatrading drückt das in ihrem Song „More Than One Kind of Love“ sehr schön aus. Eigentlich geben einem alle unheimlich viel und verändern und bereichern einen.

Welchen Traum möchten Sie sich unbedingt noch erfüllen?

In einer Rentnerband spielen. Und als Jugendlicher wollte ich Gleitschirm fliegen, vielleicht mache ich das noch.

Sie sagten einmal über sich: Weiche Schale, harter Kern. Wie meinen Sie das?

Es gehört zu meinem Wesen, dass ich ein freundlicher Kerl bin; ich bin nicht jemand, der gleich auf Angriff geht. Manche signalisieren sehr deutlich von der ersten Sekunde an: „Pass auf, komm mir nicht zu nah, sonst gibt es was auf die Zwiebel.“ Ich bin dagegen erst mal wohlwollend und freundlich. Das führt manche in die Irre. Eigentlich müssen sie wissen: Der ist nicht so harmlos, wie es scheint. Er wäre nicht dort angekommen, wo er ist, wenn er nicht in der Lage wäre, sich über lange Zeiträume hinweg extrem zielstrebig durchzusetzen. Trotzdem unterschätzen sie mich. Und ich lasse Leute gern in diesem Glauben, weil ich so mein Ding machen und Schritt für Schritt meinen Weg gehen kann.
 

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"Haben Sie manchmal das Gefühl, die Nähe Gottes zu spüren ? " In diesem Augenblick, während ich das Intwerview lese sagt er zu mir: hör nicht mehr hin !
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Sehr geehrte Damen und Herren,

in 72 Jahren sind das die ersten Zeilen an eine christliche Institution. Ausschlaggebend war das Interview mit „Tagesthemen“ – Mann Tom Buhrow / Fragen an das Leben. Vor einiger Zeit liefen im WDR drei Folgen mit dem Titel „Meine Kindheit…im Karneval – auf dem Lande – in der Großstadt. In einer Staffel war Tom Buhrow ist sehen und „…auf dem Lande“ erzähle ich von meinem Freund, dem Kiwweken (Hausschwein). Die Teilnahme von dem Tagesthemen“ – Mann Tom Buhrow ,war in meinen Augen eine Aufwertung der Sendungen. Ich leide nicht an mangelndem Selbstbewusstsein, aber Buhrow ist kann schon eine Leitfigur sein. Das aber nur um einen Übergang zu schaffen. Der Religion gegenüber bin ich als getaufter Katholik sehr gleichgültig. Das hat viele Gründe. Zum einen die Bequemlichkeit. Eine Familie mit 4 Kindern brachte und bringt viele Aufgaben und Pflichten. Ich komme aus einer „frommen Familie“. Mein Vater verunglückte 1951 tödlich in Ausübung seines Berufes. Er stürzte in einer Kirche von einem Gerüst. Er war Kirchenmaler. So blieb die Dominanz einer bigotten Mutter. Wenn am Sonntagnachmittag ein Kaffeekränzchen stattfand, gab es nur überragendes Thema, Sonntagspredigt, wer war in der Messe usw. Zum Schluss wurden das Menschen aufgezählt, „die je nicht so sind wir“. Sie waren die Pharisäer und fühlten sich unglaublich gut. Schlimm genug, aber meine Geschwister waren aus dem gleichen Holz geschnitzt. Das ganze hat in mir Barrieren aufgebaut, die fast unüberwindlich sind. Und wieder zurück zum „Nachrichtenmann“. Ich habe ihren Bericht mit Freude gelesen und festgestellt, es gibt auch ganz normale Christen. Eine Sonntagsmesse werde ich nicht besuchen, versuche aber innerlich mit meiner Familie Frieden zu schließen. Vielleicht gelingt mir das auch…
PS.: Ich bin froh „Chrismon“ als Beilage zur „Frankfurter“ zu bekommen.

Eine gute, bessere Zeit wünsche ich Ihnen und ALLEN!!


Ferdinand Philipp Keuter