Foto: Phil Moore
Treffpunkt Khartoum
Zekarias Kebraeb hat seine Mutter zuletzt vor acht Jahren gesehen. Er war auf der Flucht, schaffte es von Eritrea bis Nürnberg. Jetzt treffen sie sich - in Khartoum. Eritrea wäre für Zekarisas zu gefährlich. Lieber fliegt seine Mutter über Umwege in den Sudan - die längste Reise ihres Lebens
Marianne MoeslePrivat
29.09.2011

Wo der blaue und der weiße Nil am Rand der sudanesischen Hauptstadt Khartoum zusammenfließen, bildet das Wasser Schlieren. Helle und rot-braun sandige in inniger Umarmung zum längsten Kuss der Erdgeschichte vereint, wie die arabischen Dichter sagen. Ein mystischer Ort. Auf der linken Seite des Ufers entsteht ein modernes Hotel in der waghalsigen Architektur eines Riesensegels, auf der rechten Seite winken schwarze Arbeiter in zerschlissenen Hemden, die bei 43 Grad Hitze Lehmziegel für ihre ärmlichen Baracken formen.

Sie sind ans Ufer gelaufen, weil sie laute Musik auf dem Wasser gehört haben. Als sie die blaue Blechbarke vorbeituckern sehen, in der der Bootsführer den schrottreifen Kassettenrekorder bis zum Anschlag aufgedreht hat, recken sie ihre Daumen in die Höhe und lachen. Manche wiegen ihre Schultern zu den lauten Rhythmen der abessinischen Lieder. Die Melodien erinnern sie an zu Hause – Äthiopien, Eritrea. Woher diese Menschen vor Jahren oder auch erst vor Wochen geflüchtet sind, weil sie von der anderen Seite der Welt träumen. Von Europa.

In Eritrea sah er für sich keine Zukunft

Nie wieder würde er diese Odyssee über Wüste und Meer machen, sagt der junge Eritreer Zekarias Kebraeb.* Er ist lang aufgeschossen, klassisches Profil, die Augen weich,umden Mund ein melancholischer Zug, wie man ihn von alten Menschen kennt. Er setzt eine Sonnenbrille auf. Eigentlich wollte er auch nie wieder in so einen alten afrikanischen Schrottkahn steigen. „Ich vertraue diesen Blechkisten nicht“, sagt er. Nun sitzt er aber doch in einer und erwidert das Winken der Leute am Ufer. Er war einer von diesen afrikanischen Flüchtlingen, die vom Paradies in Europa träumten, weil er in seiner Heimat Eritrea keine Zukunft sah.

„Aber dieser Traum wird im Nu zum Alptraum, wenn du in so einem Boot von Libyen aus über das Massengrab Mittelmeer nach Italien unterwegs bist“, erzählt Zekarias. „60 Stunden, in denen dir die Wellen ins Gesicht klatschen, über 3000 Minuten pure Angst – und nichts anderes.“ Vor acht Jahren ist Zekarias vor dem lebenslangen Militärdienst in Eritrea unter der Militärdiktatur von Präsident Isayas Afewerki geflüchtet. Die berüchtigte Route über den Sudan, die Sahara, Libyen, das Mittelmeer, Italien, die Schweiz, Deutschland. Damals war Zekarias 17, er träumte von einem besseren Leben. Heute ist er 25, lebt seit ein paar Jahren in Nürnberg, wo er eine Lehre im Hotelfach macht und eine Aufenthaltsbewilligung hat. Seit seiner Flucht hat er seine Mutter nicht mehr gesehen. Der Sohn würde in seiner Heimat sofort verhaftet werden, und die Mutter bekommt kein Visum für Deutschland. Deshalb hat sie die beschwerliche, fast 1000 km lange Reise von Asmara in die sudanesische Hauptstadt auf sich genommen.

Ein Fieber, das den ganzen Kontinent erfasst hat

 

Khartoum war auch die erste Station von Zekarias Flucht. Sie begann am Morgen des 2. März 2002 in der eritreischen Hauptstadt Asmara und endete im Oktober 2005 in Nürnberg mit der Anerkennung als Asylbewerber. Entlang der eritreisch-sudanesischen Grenze herrscht Schießbefehl. Mit einem Schlepper wagte Zekarias den Übergang und gelangte nach Khartoum. In diesem afrikanischen Moloch lebte er sechs Monate lang unter zwei Millionen Flüchtlingen.Wie ein heißer Föhn bläst einem die Hitze entgegen, der Boden ist übersät mitMüll und Schutt. Hier, wo die Menschen dicken Bohnenbrei aus Töpfen an der Straße löffeln und Coladosen aus dem Dreck fischen,um die letzten Tropfen auszusaugen.

Wo Menschen sich unter den Schatten eines Mimosenbaums scharen und warten – auch wenn viele von ihnen bereits vergessen haben, worauf sie warten. Menschen im Transit. „Alle gehen“, sagt er, „es ist wie ein Fieber, das einen ganzen Kontinent erfasst hat. Ein Fieber, das erst mit der kalten Dusche abklingt, wenn der Asylantrag im europäischen Paradies abgelehnt wird.“

Wie fühlt sich dieses Glück an?

Aus Eritrea flüchten 1800 Menschen pro Monat in den Sudan. Weltweit haben im vergangenen Jahr 63000 Eritreer im Sudan, in Israel, Kanada und Australien einen Asylantrag gestellt – darunter zwölf Spieler der eritreischen Fußballnationalmannschaft. Weil Eritreas Grenzen für junge Menschen dicht sind, bezeichnet Human Rights Watch das Land am Horn von Afrika, wo es mehr Waffen als Brot gibt, als das größte Gefängnis der Welt.

„Adey – Mutter, wie geht es dir?“, fragt Zekarias während der Kahnfahrt über den Nil. „Gut, sehr gut“, seine Mutter hat ihre Haare eng über den Kopf zu feinen Zöpfchen geflochten, die sich dann als Wasserfall über die Schultern ergießen. „Meine Nachbarn sagen, dass ich Glück mit meinen Kindern habe, weil sie Europa erreicht haben.“ Wie sich dieses Glück anfühlt? „Ich bin allein, aber was soll ich machen?“ In ihrem ebenmäßigen Madonnengesicht, um das sie mit einer eleganten Bewegung das weiße Tuch faltet, spiegeln sich Selbstbewusstsein, Erhabenheit und Stärke. Ihre feinen Finger lässt sie durch das Nilwasser gleiten, dann streicht sie sich mit nassenHänden überWangen und Hals und bleibt mit ihrem Blick an Zekarias hängen.

Für dieses Wiedersehen hat sie gebetet

Ihr Zweitjüngster, „ein Dickkopf“, wie sie sagt. Fünf Kinder hat Hadas alleine aufgezogen, nachdem der Vater früh an Diabetes verstorben war. Sie nahm es als Strafe Gottes, auch wenn sie nicht wusste, warum. Für dieses Wiedersehen mit ihrem Sohn hat sie gebetet, und ist sie zum ersten Mal in ihrem Leben in ein Flugzeug gestiegen. „Weil ich eine Mutter bin“, da laufen ihr die Tränen übers Gesicht: „Eine Mutter geht für ihr Kind jeden Weg.“ Bei diesen Worten streicht sich auch Zekarias mit dem Handrücken über die Augen und drückt mit Zeigefinger und Daumen gegen die Nase. In Afrika weint ein Mann nicht, und ein Mann nimmt auch keine Frau öffentlich in den Arm, nicht einmal seine Mutter. Nur am Flughafen sind sie sich in die Arme gefallen, und Zekarias hat geschluchzt wie ein Kind, jetzt nicht mehr. Er ist kein Kind, sondern erwachsen. Und verantwortlich. Das will er seiner Mutter zeigen.

Ihr zuliebe ist er in diesen Kahn gestiegen, obwohl er große Angst vor Wasser hat und nicht schwimmen kann. Als er vorhin vom sandigen Ufer über eine Getränkekiste ins Boot steigen wollte, stolperte er. Eine Schrecksekunde. Und sofort waren sie wieder da – die Erinnerungen an seine traumatische Fahrt über das Mittelmeer. In den acht Jahren gab es kaum einen Tag, an dem sich Zekarias nicht fragte, wann und wie und wo er seine Mutter wiedersehen würde. Als dann ein Datum für das Treffen feststand, schlief er nächtelang kaum vor Aufregung. Immer wieder malte er sich aus, wie seine Adey heute wohl aussieht, was sie als Erstes sagen würde. Und das Wichtigste: Ob sie stolz auf ihn seinwürde. „Warum bist du denn so dünn geworden“, waren ihre ersten Worte.

Erwachsen, aber der gleiche Eigensinn

Zekarias hat es geahnt – die alte Muttersorge. Aber jetzt dreht er den Spieß um: „Mutter, hast du Durst?“, fragt er und reicht ihr eine Flasche mit Wasser. Er sorgt sich um sie, denn ihr ist alles fremd in diesem Land: die Hitze, der Schmutz, die Straßen voll von Menschen, die sich langweilen, das Duschen in der Jugendherberge, in der sie wohnen. Aber auch der Sohn, der ein Mann geworden ist. „Warum bist du nur so dünn geworden? Geht es dir nicht gut in Europa?“ Hadas fragt es immer wieder. Ein dicker Bauch und eine helle Haut sind das Mindeste,was man vom Leben im Paradies erwarten kann, oder? Doch, doch, es geht gut. Jetzt lacht Zekarias fast. Er liebt Deutschland, das für den Jungen ohne Vater zum Vater-Land geworden ist. Hier fühlt er sich als politischer Mensch ernst genommen.

Erwachsen, aber der gleiche Eigensinn – so kennt Hadas ihren Sohn, der immer wieder eine politische Diskussion anfängt. Als in Eritrea im Herbst 2001 die Pressefreiheit verboten wurde, stand für den 16-jährigen Zekarias fest, dass er geht. Er hatte damals jedeWoche Artikel in einer Jugendzeitschrift veröffentlicht. „Und weißt du was, ich bin stolz auf dich, weil du gegangen und nun wiedergekommen bist, Zekarias“, sagt Hadas und schlägt ein Kreuz über Stirn und Brust, „Temesgen amlak – Gott sei Dank.“

Flüchtlinge finden sich über Facebook wieder

Hätte Zekarias gewusst, wie gefährlich die Flucht durch die Wüste und über das Meer ist, er hätte es sich wohl anders überlegt. Fast wäre er verdurstet, fast wäre er ertrunken. Und wie demütigend es war, als man ihn in Deutschland als Illegalen ohne Papiere ins Gefängnis steckte. „Bleibt hier in Khartoum“, rät er seinen Freunden, die er in den Flüchtlingsvierteln trifft. „Das Paradies existiert nicht. Hier habt ihr wenigstens einen Job.“ Die hübsche Senait zuckt mit den Schultern: „Aber Zaki, du bist doch auch weg.“ Zekarias’ beste Freundin aus Kindertagen kam vor eineinhalb Jahren über ein sudanesisches Flüchtlingslager illegal nach Khartoum. Die beiden haben sich über Facebook wiedergefunden.


Die Internetcafés sind in den Flüchtlingsvierteln das Tor zur Welt. Hier werden Nachrichten mit den Zurückgebliebenen und den Vorausgegangenen ausgetauscht, wird nach den besten Schleppern gesucht und über Schleppergebühren diskutiert. „Andere studieren miteinander, wir flüchten miteinander“, sagt Senait. Mit sechs Freunden, alle Mitschüler aus dem College von Asmara, lebt sie am Ende der Sharia al-Hurriya – der Straße der Freiheit – in einem Flüchtlingsviertel.

Überall lauern Polizisten

Senait ist so etwas wie die WG-Mutter. Als ihre Freundin weint, weil sie ihren Mann und zwei kleine Kinder in Eritrea zurückgelassen hat, versucht sie bei einer Tasse Kaffee zu trösten. Sie sind eine eingeschworene Clique. Doch sie will nicht ewig zu sechst in diesem Raum wohnen: drei auf vier Meter auf festgestampftem Boden, Marienbilder an Lehmziegeln, Ventilator an der Decke. Für einen Hungerlohn auf immer und ewig Kinder ausländischer Familien hüten? Senait träumt von Australien. Sie hat einen Asylantrag beim UNHCR (Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen) gestellt. Das kann dauern – drei Jahre oder 13 Jahre? Wenn sie aus dem Haus geht, zieht sie eine Ebaya, einen schwarzen Umgang mit Kopftuch über Jeans und T-Shirt. Sie will nicht auffallen, weil sie keine Papiere hat. Überall lauern Polizisten, die Ausweise sehen wollen oder Geld. Aber sie ist illegal.

Illegale gibt es eigentlich nicht, keine Statistik führt sie. Ihre Heimat verlassen sie freiwillig oder gezwungenermaßen – aus wirtschaftlichen, religiösen, politischen oder persönlichen Gründen. Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gibt jedemMenschen das Recht, „sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zuwählen, sowie jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen oder in sein Land zurückzukehren“.

Die Flucht hat die Menschen hart gemacht

Migration ist ein Menschenrecht, auch illegal. Zekarias und seine Mutter gehen zur Ausländerbehörde, wo sie sich als Touristen registrieren müssen. Dort sehen sie in einem Raum illegale Landsleute auf dem Boden kauern: sieben Jungs aus Eritrea. Sie hatten Pech und sind der Polizeikontrolle in die Arme gelaufen. Wenn sie Glück und Freunde mit Dollars haben, kommen sie nach ein paar Peitschenhieben am nächsten Tag wieder frei. Wenn nicht, wartet auf sie das Flüchtlingslager, wo sie mit Vergewaltigung, Deportation und Folter rechnenmüssen.

Die Flucht hat die Menschen hart gemacht. Doch Zekarias und seine Mutter können ihre Wut und Tränen nur mit Mühe  zurückhalten. Zekarias Bruder hat schon zweimal versucht zu flüchten, wurde beide Male erwischt und ins Gefängnis gesteckt. „Wer nach zwei Jahren nicht weg ist, kommt nie weg“, wissen die äthiopischen und eritreischen Frauen. Sie haben im Sudan inzwischen Asyl beantragt und verkaufen auf Khartoums Straßen zwischen Bauruinen und Telefonkartenhändlern Tee und Kaffee. Sie sagen es nicht laut, um nicht die Träume zu stören, auch wenn sie selbst längst vergessen haben, wovon sie einmal träumten.

Kann man Hoffnung herbeibeten?

„Ich hätte dich nie gehen lassen“, sagt Zekarias’ Mutter ernst. Heimlich hatte er sich damals das Geld für seine Flucht von seinem großen Bruder aus England schicken lassen. Ohne Abschied stahl er sich aus dem Haus. Als er von unterwegs anrief, ermutigte ihn die Mutter – obwohl sie krank vor Angst war, weil sie wusste, wie gefährlich die Flucht werden würde: „Geh mit Gott, aber geh deinen Weg.“ Tagsüber sang sie Gospels, erzählt sie. In der Nacht betete sie den Rosenkranz „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade . . . “.

Kann man Hoffnung herbeibeten? War Hadas in der Nacht eingenickt, so schreckte sie durch das Kläffen der Hunde wieder auf, noch bevor es hell wurde. Sie lauschte mit pochendem Herzen in Richtung Haustür. Hatte es nicht geklopft? Wann kamen die Klageweiber, um die Todesnachricht zu bringen? Zekarias’ Mutter kennt viele Eltern aus der Nachbarschaft, die das Geld für die Flucht ihrer Kinder mühsam zusammengespart haben, um dann den ertrunkenen oder verdursteten Leichnam zurückzubekommen. Manche erfahren nie, wie ihre Kinder gestorben sind, weil immer wieder Flüchtlinge von ihren Schleppern in der Wüste entführt und getötet werden. Zur grenzenlosen Trauer der Zurückgebliebenen gesellt sich dann die Verzweiflung, versagt zu haben.

Ein Mann mit traurigen Augen

Von Fluchtplänen hatte Hadas auch ihre jüngste Tochter Ruth nichts erzählt. Seit zwei Jahren lebt sie in der Schweiz, erzählt die Mutter und lacht sogar – jetzt kann sie darüber lachen. Während sie ihre Tochter bei einem neuen Job im Sudanwähnte, hörte sie vomVater einer von Ruths Freundinnen: „Haben wir nicht tolle Töchter? Sie sind schon in Libyen.“ Von diesem Tag an hat Hadas wieder gesungen, ist jeden Tag stundenlang in der Kirche auf die Knie gesunken und hat gebetet und gehofft. So viel Angst überlebt nur, wer ein unerschütterliches Gottvertrauen hat. Da ist es nebensächlich, dass von den europäischen Patenschaften, um die sie sich einst für ihre beiden jüngsten Kinder bei der Kirche bewarb, nie ein Cent bei der Familie ankam. „Hast du einen Pfarrer in der Familie, bist du reich“, war ein geflügelter Spruch in Eritrea.

„Reich“ sind in den Augen derer, die zurückbleiben, auch diejenigen, die eines Tages aus dem Paradies zurück auf Besuch kommen. Wie Zekarias. Als er zufällig einem Freund aus Asmara-Tagen im Internetcafé begegnet, ist die Überraschung groß. Sami ist ein Mann mit traurigen Augen und einem gebeugten Rücken,um die 30 Jahre alt, sieht aber aus wie 50. Er habe es beim Militär nicht mehr ausgehalten, erzählt er. Mehr nicht. Kein Illegaler spricht über Folter, Misshandlung und Hunger.

Kein Handy aus dem Paradies mitgebracht

Auch er will nach Europa. Doch bis es so weit ist, steht er täglich zehn Stunden in der Bruthitze einer Pizzabäckerei. Er verdient zwölf sudanesische Pfund – das sind umgerechnet etwa fünf US-Dollar. Davon schickt Sami ein Viertel nach Hause, ein Viertel ist für neu angekommene Flüchtlinge, weil man sich gegenseitig hilft, ein Viertel braucht er für die Fahrt zur Arbeit, und das letzte Viertel legt er für die große Reise zurück. Kaum etwas bleibt fürs Leben. Eine Flasche Wasser kostet zwei Pfund, die Fahrt übers Mittelmeer 2000 Dollar, ein falscher Pass ist für 8000 Dollar zu haben, und 15000 Dollar sind der Preis für eine Scheinhochzeit.

Der Freund aus Germany muss reich sein, ist Sami überzeugt. Da kann sich Zekarias noch so anstrengen und erklären, dass er in Deutschland als Asylbewerber ohne Arbeitserlaubnis kein Geld verdienen konnte, sondern in die Schule ging. Als Flüchtling konnte er ja keine Zeugnisse aus Eritrea vorweisen. Sami winkt müde ab und lächelt ungläubig: Was für ein Sohn, der seiner Mutter nicht das teuerste Mobiltelefon aus dem Paradies mitbringt. Zekarias versucht zu erklären,warum er sich keines leisten kann.

"Moderne Helden"

„Was brauche ich ein Handy, wenn jeder Vogel pfeift?“, beendet Hadas die Diskussion. „Ich habe Glück mit meinen Kindern, weil keines Alkoholiker, Dieb oder ein Dealer geworden ist.“ Doch Sami kann seinen Freund nicht mehr verstehen: „Du hast dich verändert und denkst nur noch an dich.“ Das ist bitter. Zekarias versteckt seinen Kopf zwischen den Schultern. Ist er zu egoistisch oder der Traum vom Paradies wirklich eine Illusion?

Als es Abend wird in Khartoum, gibt es keine Dämmerung. Gelber Sand verschleiert Himmel und Sonne. In den Bauruinen an den Straßen riecht es faulig, nach Pisse und Depression. „Moderne Helden“, nennt der italienische Journalist Fabrizio Gatti in seinem Buch „Bilal: Als Illegaler auf dem Weg nach Europa“ die afrikanischen Flüchtlinge, weil sie eine Hoffnung haben. Zekarias’ Hoffnung besteht nicht aus Geld, sondern darin, frei zu sein – zu gehen, wohin er will, zu denken und zu sagen, was er will. Zur Feier des Tages lädt er seine Mutter ins „Ozon“ ein, eine schicke Eisdiele, wo einem Ventilatoren feuchte Luft zufächeln und auf dem Rasen dicke Kinder von Geschäftsleuten aus Dubai tollen.

Wenn er das gewusst hätte, wäre er nicht gegangen

Als sie ihre Getränke an der Theke bezahlen, starrt die junge Verkäuferin Hadas wie einen Geist an, bis sie sich ein Herz fasst und fragt, woher sie komme. Asmara. Da macht das Mädchen einen Hüpfer und fällt ihr um den Hals: „Ich habe das Gefühl, meine Mutter wiederzusehen.“ Das traditionelle Kleid und das weiße Tuch um Kopf und Schultern erinnern sie an ihr Zuhause.

„Gott sei Dank hat Gott das Datum unseres Wiedersehens versteckt – temesgen amlak!“, sagt Zekarias mit dunkel glänzenden Augen.Hätte er gewusst, wie lange es dauern würde, wäre er niemals gegangen. Einen Tag später melden die Nachrichten, dass ein 17-jähriger Junge aus Eritrea an der Grenze zum Sudan erschossen wurde. Abgeknallt wie ein Tier. Der Junge wollte zu Mutter und Schwester, die seit ein paar Jahren in Deutschland leben. Ausgerechnet in Nürnberg, Zekarias kennt die Familie. Einmal hatte ihn die Mutter gebeten, ihrem Sohn bei der Flucht zu helfen. Jetzt kann er nur noch trösten. Eine Mutter, die ihr Kind nie wiedersehen wird.

* Redaktionelle Anmerkung: Bis auf Zekarias Kebraeb wurden alle Namen geändert.

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