Es tat mir so leid, dass ich von den ersten Lebensmonaten meines Sohnes wegen meiner 40-Stunden-Woche nicht viel mitbekam – außer dem Geschrei nach Milch am Morgen und dem Schlafritual am Abend. Ich war nicht da, als er zum ersten Mal durch die Küche krabbelte. Und ich konnte mich nicht mit ihm freuen, als er sich erstmals aufrecht hinsetzte.
Dabei wollte ich doch auf keinen Fall wie mein Vater sein: Der hatte seine Kraft und Zeit nur dem Beruf geschenkt. Als er in Rente ging, wollte er endlich Zeit verbringen mit der Familie. Stattdessen bekam er Krebs. Mein Vater legte sich hin und starb. Und wir blieben geschockt zurück. Mein Sohn wurde kurz darauf geboren.
Der Chef tobte, als er von dem Antrag auf Elternzeit erfuhr
Dass es die Elternzeit gibt, empfand ich als Segen. Als mein Sohn zehn Monate alt war, wollte ich zwei Monate in Anspruch nehmen. Ich arbeitete als Onlineredakteur in einem Fachverlag. Die Angestellten nennen den Chef „Godfather“, natürlich nur hinter vorgehaltener Hand. Als ich mit ihm über meine Elternzeit sprechen wollte, war er außer sich: Er werde mir diese Auszeit nicht genehmigen. Wir sollten uns vielmehr auf Urlaubseinbußen einstellen und müssten endlich flexibler werden. Dann schob er mich zur Tür. Ich war so enttäuscht.
Ich hätte mich an den Betriebsrat wenden können, denn mir steht Elternzeit rechtlich zu. Aber wir haben keinen Betriebsrat, weil keiner den Mut hat, einen zu gründen. Meine Elternzeit wollte ich mir trotzdem nicht nehmen lassen. Ich reichte den Antrag ein und bekam die schriftliche Bestätigung.
Zu Hause habe ich schnell gemerkt, dass ich meinen Sohn eigentlich nur aus Erzählungen kannte. Und von den selbst gedrehten Kurzfilmen, die mir meine Frau abends oft gezeigt hatte. Nun lernte ich, dass er am liebsten Pastinake isst und darauf besteht, sich selbst zu füttern. Ich lernte auch seinen Schmerz beim Zahnen kennen und wie anstrengend es ist, den Haushalt zu führen und zugleich ein Baby bei Laune zu halten. Meinen Sohn zu erleben, gab mir viel Trost in der Trauer um meinen Vater. Es macht mich glücklich, dass er seit dieser Zeit – anders als die meisten Kleinkinder – nicht einseitig auf seine Mama fixiert ist. Wir sind als Familie noch viel enger zusammengewachsen.
Ich konnte es einfach nicht glauben
An meinem ersten Arbeitstag nach 61 Tagen zu Hause erschien mir alles ganz normal: Ich schrieb Texte und telefonierte. Aber abends, als ich gerade heimfahren wollte, rief mich der Prokurist in sein Büro. „Das ist jetzt nicht so schön“, sagte er und überreichte mir meine Kündigung. Mir ging der Boden unter den Füßen weg. Ich konnte es einfach nicht glauben. Auch meine Kollegen waren entsetzt und vor allem sehr beunruhigt. Die Frauen, unter ihnen eine Schwangere, diskutierten, wie viele Monate Elternzeit von „Godfather“ wohl akzeptiert werden würden – ohne den finalen Rausschmiss.
Ich klagte dann auf Weiterbeschäftigung und focht den offiziellen Grund, dass mir betriebsbedingt gekündigt worden sei, an. Aber gegen den ausgezeichneten Anwalt meines Chefs hatte ich schlechte Karten vor Gericht. Am Ende einigten wir uns auf einen Vergleich: Ich bekam eine Abfindung und wurde in die Arbeitslosigkeit entlassen. Inzwischen habe ich über 50 Bewerbungen geschrieben. Ohne Erfolg.
Ich will so schnell wie möglich Arbeit finden. Aber ich bin es leid, mich bei der jungen Dame vom Arbeitsamt dafür zu rechtfertigen, dass ich mit meiner Familie und meiner verwitweten Mutter nicht mal eben für eine befristete Schwangerschaftsvertretung Hunderte Kilometer weit wegziehen kann. Für die zwei Monate Elternzeit habe ich bereits einen hohen Preis bezahlt.
Ich zucke zusammen, wenn in den Medien die modernen Väter gepriesen werden, die mehr von ihren Kindern haben wollen, als ihnen morgens und abends den Kopf zu streicheln. Trotzdem würde ich es wieder so machen. Weil ich nicht sterben will wie mein Vater, ohne jemals Zeit gehabt zu haben für meinen Sohn. Ich will mehr haben vom Leben.
Protokoll: Silia Wiebe
traurig
das echt traurig das unsere Gesellschaft oft sich nicht um das Wohl der Kinder schert, vor allem Chefs, das sollte man unter Strafe stellen!
Leserbrief zu Anfänge, April ausgabe chrismon 2011
Sehr geehrte Redaktion,
warum werden Ross und Reiter nicht genannt? Gegen "Herrn Allmächtig" hilft doch nur, ihn öffentlich an den Pranger zu stellen. Haben Sie Angst vor dem Anwalt? Anonym werden Sie die Welt nicht verändern! Schade, dass der gute Artikel dadurch ins Leere läuft. Ich persönlich würde diesen Verlag zukünftig gerne meiden - die Macht der Verbraucher sollte nicht unterschätzt werden (siehe E10!). Also: Bitte nennen Sie Missstände deutlich beim Namen, sonst wirken Sie nicht seriös.
Ich bin übrigens katholisch (unsere Familie ist 50/50), aber Ihr Magazin erwarte ich immer mit Spannung - großes Lob!
Freundliche Grüße aus der Pfalz!
Simone Holzhäuser-Sutter
zweifel
Sehr geehrte Damen und Herren,
1. Schließe ich mich den Worten von Frau Holzhäuser-Sutter an, sehr gut geschrieben!
2. Zweifle ich den Wahrheitsgehalt dieses Artikels an. Bitte benennen Sie mir die Fakten (Verhandlungstermin, Jurisdiktion, Urteil im Wortlaut etc.) zu diesem "Fall". Ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß ein deutsches Arbeitsgericht in dem so geschilderten vorliegenden "Fall" so entschieden hat, wie hier beschrieben.
Freundliche Grüße!
Sascha Wildenhain