Im Kino verruchte Verführerin, im wahren Leben moralisches Vorbild
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
18.02.2011

Keine deutschen Lieder beim Auftritt in Tel Aviv! Das hatte ihr der Manager vorab eingeschärft. In den Jahren nach dem Holocaust war die Sprache der Mörder in Israel tabu. Doch die Sängerin widersprach: „Ich singe nicht ein Lied auf Deutsch“, soll sie gesagt haben, „sondern neun“ – so erzählte es später ihr Enkel.

Zunächst sei das israelische Publikum schockiert gewesen. Dann aber brach das Eis. Ihr Mut und ihre Ehrlichkeit beeindruckten die Zuhörer, begeistert applaudierten sie. In Israel auf Deutsch singen, das konnte sich Ende der 50er ­Jahre nur eine erlauben: Marlene Dietrich.


Nach bürgerlichen Maßstäben taugt die Schauspielerin und Varieté-Sängerin kaum als moralisches Vorbild. Ihre Ehe mit Rudolf Sieber, den sie als Produktionsassistenten bei Filmarbeiten kennengelernt hatte, hielt zwar formal 50 Jahre. Aber schon ab Mitte der 30er Jahre lebten sie getrennt, hatten ihre eigenen Beziehungen und Affären – sie mit Männern und Frauen. Die letzten Jahre verbrachte die Dietrich zurückgezogen in ihrer Pariser Wohnung. Sie starb mit 91, vermutlich an einer Überdosis Tabletten.

Ein Idol der Frauenbewegung

Marlene Dietrich trat auch in Männerkleidern auf, zum Beispiel im Film „Marokko“. Sie wurde zum Idol der Frauenbe­wegung und mit ihrer androgynen Ausstrahlung zur Ikone der Schwulen­szene. „Sie hatte Sex, aber kein Geschlecht“, schrieb einer ihrer Freunde. Schon in ihrem ersten großen Film­erfolg „Der blaue Engel“ verdreht sie als laszive Sängerin Lola Lola dem verschrobenen Professor Rath die Augen, braucht sein Vermögen auf und geht mit einem ­Artisten fremd. Sie reüssierte in den Rollen von Prostituierten, Gangsterbräuten und Nachtklubsängerinnen. Und doch erwarb sie sich als eine von wenigen Deutschen in Israel den Ruf einer moralischen Instanz. Marlene Dietrich hat sich frühzeitig und unmiss­verständlich vom nationalsozialistischen Deutschland distanziert.

Gewiss war sie hierfür Anfang der 30er Jahre in einer komfortablen Situation. Sie war als beste Hauptdarstellerin des Jahres 1930 für einen Oscar nominiert worden und musste sich um ihr finanzielles Auskommen in den USA keine großen Sorgen machen. Als Hitler die Macht ergriff, konnte sie sich ohne wirtschaftliches Risiko von Deutschland abwenden.

Absage an Josef Goebbels

Später versuchte Reichspropaganda­minister Josef Goebbels, die Dietrich mit hohen Gagen und der freien Wahl bei Drehbuch und Mitarbeitern für Filme in Deutschland zu ködern, doch sie sagte ab. Stattdessen entschied sie sich 1939 für die amerikanische Staatsbürgerschaft und unterstützte Emigranten, die vor den Nazis geflohen waren. Im Krieg half die Sängerin der Kampfmoral der amerikanischen Soldaten auf, unter anderem mit dem Lale-Andersen-Schlager „Lili Marleen“. Schließlich überschritt sie mit der siegreichen US-Armee die belgisch-deutsche Grenze bei Aachen.

Die einen bejubelten sie als UFA-Star aus „Der blaue Engel“. Andere bespuckten sie als „Vaterlandsverräterin“ und bewarfen sie mit Eiern. Sie sei mit ihrem Engagement für die Kampfmoral der GIs den deutschen Soldaten in den Rücken gefallen, behaupteten viele in ihrer alten Heimat. Marlene Dietrich zeigte sich davon wenig beeindruckt: Sie lasse sich nicht von einem blonden Nazi von der Bühne vertreiben, sagte sie nach einer ­solchen Attacke.

Hatte sie sich in den 30ern gegen Hitlerdeutschland gestellt, so erwies sie sich später im Kalten Krieg als Pazifistin. In den 60ern machte sie das Antikriegslied „Sag mir, wo die Blumen sind“ zum Welterfolg. 1939 hatte sie Frenchy gespielt, die ­Saloon-Sängerin in dem amerikanischen Western „Der große Bluff“. Frenchy hilft einem Wirt bei Trickbetrug. Am Ende erweist sie sich als Frau mit großem Herz. Sie wirft sich in die Schusslinie des Ver­brechers und rettet dem Sheriff, der das Recht durchzusetzen versucht, das Leben. Frenchy, die Barsängerin, hat den richtigen ­moralischen Kompass – wie die Dietrich.

Ihr denkwürdiges Konzert in Tel Aviv krönte die Dietrich mit einer Zugabe, für die sie das Publikum noch mehr liebte. Sie hatte es auf dem Flug nach Israel von einer Stewar­dess gelernt: ein israelisches Volkslied.

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