Als Kind habe ich leidenschaftlich gerne die „Don Camillo und Peppone“-Filme angesehen. Besonders beeindruckt hat mich der direkte Draht, den Don Camillo zu seinem „obersten Chef“ hat: Vom Kreuz in der Kirche spricht Jesus zu diesem unkonventionellen Priester, der sich freilich nicht immer an die himmlischen Weisungen hält. Dass es im alltäglichen Leben etwas komplizierter mit der Kommunikation zwischen Gott und Mensch ist, war mir schon als Kind klar. Aber die Faszination jener Filmwelt war groß, in der man eine Stimme von oben hören kann und weiß, was Sache ist – so wie wir es eben auch in der Bibel immer wieder lesen.
Nun bin ich kein Kind mehr, habe Theologie studiert, bin Bischof und würde mich, hörte ich eine himmlische Stimme so zu mir sprechen wie zu Don Camillo, beunruhigt einem befreundeten Arzt anvertrauen. Ich gebe zu, ich rechne nicht damit, dass Gott in der Art und Weise sein Wort an mich richtet wie einst zu Mose im Dornbusch. Würde mich jemand fragen, wie er sich das vorzustellen habe, würde ich ihm sagen, es habe sich vermutlich nicht um eine akustisch wahrnehmbare, sondern um eine innere Stimme gehandelt.
Mein Anspruch an mich selbst ist: mit Vernunft und Verstand von Herzen glauben
Eine bestimmte Art frommer Menschen mag dies als skandalösen Glaubensmangel empfinden, aber ich müsste ansonsten für die biblische Zeit Phänomene anerkennen, die mir heute unmöglich scheinen. Im Grunde müsste ich mich als Mensch aufspalten in einen von Herzen Glaubenden, der Denken und Vernunft ausklammert, und einen, der im 21. Jahrhundert lebt und seine Existenz auf Verstandesgebrauch und Vernunft aufbaut. Mein Anspruch an mich ist ein anderer: mit Vernunft und Verstand von Herzen zu glauben.
Ich nehme an, das ist der Anspruch jedes Menschen und wahrscheinlich auch der Grund, warum heute viele mit dem Glauben an Gott wenig anzufangen wissen. Denn es steht der Verdacht im Raum, Glaube sei nicht nur etwas Altmodisches, ein Relikt vergangener Zeiten, sondern er befinde sich in einem Grundwiderspruch zur Moderne. Selbst praktizierende Christinnen und Christen haben bisweilen den Eindruck, es werde ihnen ein Spagat zwischen ihrer alltäglichen Existenz und ihrem Leben als Glaubende zugemutet. Als Pfarrer habe ich es immer wieder erlebt, dass sich die Gespräche bei Hausbesuchen genau um diese Problematik drehten.
Angesichts dessen darf es nicht verwundern, wenn selbst unter Kirchenmitgliedern der Glaube an einen Gott, wie ihn die Kirchen lehren, schwindet – das sagen uns alle religionssoziologischen Untersuchungen. An einen persönlichen Gott glauben zum Beispiel nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung (Religionsmonitor 2008) je nach Altersgruppe noch 30 bis 43 Prozent der Befragten.
Die Alt-Katholiken mussten sich zwangsläufig als eigene Kirche organisieren
Glaube und Moderne nicht als Widerspruch zu erleben, sondern miteinander zu versöhnen – dieser Anspruch steht auch an der Wiege des Alt-Katholizismus. Vordergründig entstand meine Kirche aus dem Protest gegen die Dogmen des Ersten Vatikanischen Konzils (1870). Dieses lehrte, dass der Papst in Fragen des Glaubens und der Moral unter bestimmten Bedingungen unfehlbare Lehrentscheidungen treffen könne und dass er die oberste Gewalt in der Kirche innehabe. Diejenigen, die diese Dogmen ablehnten, sahen in ihnen eine Neuerung, die sich weder durch die Heilige Schrift noch durch die Tradition begründen ließ. Sie hingegen wollten beim „alten“ katholischen Glauben bleiben und erhielten deshalb den heute so missverständlichen Namen „Alt-Katholiken“.
Missverständlich deshalb, weil es eben nicht die Ewiggestrigen waren, die sich nach 1870 in einer eigenen Kirche organisierten, sondern jene Katholikinnen und Katholiken, die die Kirche für die Moderne öffnen wollten. Nachdem sie sich zwangsläufig als eigene Kirche organisieren mussten, nutzten sie die Erkenntnisse der Theologie ihrer Zeit und setzten eine Reihe von Reformen um: Sie organisierten die Kirche bischöflich-synodal (das heißt Pfarrer und Bischöfe werden von Klerus und Volk gewählt, die synodalen Gremien treffen die Grundsatzentscheidungen), sie führten die Landessprache in der Liturgie ein, hoben den Pflichtzölibat auf, öffneten sich für andere Kirchen. Heute haben wir auch Priesterinnen, leben in voller kirchlicher Gemeinschaft mit den Anglikanern und gewähren den evangelischen Geschwistern Gastrecht bei der Eucharistie (und genießen es umgekehrt natürlich auch). – Damit ist der Kontext skizziert, in dem ich versuche, als Mensch von heute meinen Glauben zu leben. Und vor diesem Hintergrund möchte ich meine ganz persönliche Antwort auf die Frage geben: „Kann man als moderner Mensch an Gott glauben?“
Wie wenig von den Erkenntnissen der Theologie der vergangenen 200 Jahre kommt in der Verkündigung vor!
Ich glaube an Gott, aber im Sinne eines vernünftigen und aufgeklärten Christentums. Mit diesen sicherlich missverständlichen Begriffen meine ich ein Christentum, das die Erkenntnisse der Theologie, insbesondere der historischen Wissenschaft und Bibelwissenschaften der letzten 200 Jahre, zur Kenntnis nimmt und nicht in den Hörsälen der Universitäten ihr Dasein fristen lässt. Ich staune immer wieder, wie wenig davon in der Verkündigung vorkommt. Da höre ich zum Beispiel in einer Predigt „Jesus sagte“, und wir wissen genau, dass es sich dabei um ein Wort des Evangelisten handelt und nicht um ein Jesus-Wort. Oder es wird so getan, als hätten sich kirchliche Institutionen, auch das kirchliche Amt, nicht entwickelt, sondern seien von Jesus so eingesetzt worden. Meint man, man könne diese Erkenntnisse den „normalen“ Christinnen und Christen nicht zumuten?
Damit will ich kein Loblied auf einen nüchternen Rationalismus und einen verkopften Glauben singen. Im Gegenteil, ich würde zum Beispiel nicht die überkommenen Glaubensbekenntnisse aktualisieren, denn was dabei herauskommt, ist meistens oberflächlich. Gerne spreche ich die alten Formeln und reihe mich ein in die Schar der vor mir Glaubenden – wohl wissend, dass sich die Ausdrucksformen des Glaubens weiterentwickeln. Ich freue mich am Symbolreichtum des Katholizismus, der mich als Mensch mit allen Sinnen anspricht und mir die Möglichkeit gibt, einfach eine Kerze anzuzünden, anstatt meine Gedanken in ein Gebet zu fassen. In einem Gottesdienst keine Leistung bringen zu müssen, genieße ich und lasse mich gern vom Ritual mitnehmen und tragen.
Ich wünsche mir mehr Mut zum experimentellen Nachdenken über Gott!
Zu einem aufgeklärten Christentum gehört für mich vor allem die Gottesfrage in ihrer neuzeitlichen Radikalität. Ob Gott nur männlich oder auch weiblich ist, die Frage nach den verschiedenen Gottesbildern – das sind in meinen Augen Randfragen und tragen eher noch dazu bei, Gott zu „vermenschlichen“. Was ich mir unter dem Wort „Gott“ vorstellen kann, wie Gott und Welt zusammenhängen, wie ich von seinem Handeln in der Welt sprechen kann – das sind die entscheidenden Fragen. Ich bin mir sicher, eine abschließende Antwort finden wir nicht. Aber eine Kirche wird die Menschen unserer Zeit nur erreichen, wenn sie diese Fragen zulässt, anstatt sich hinter einer vermeintlichen Glaubenssicherheit gleichermaßen trotzig wie ängstlich zu verstecken. Anstatt immer gleich die Rechtgläubigkeit bedroht zu sehen, würde ich mir mehr Mut zum experimentellen Nachdenken über Gott wünschen.
Ich glaube schließlich an Gott, aber bin mir auch bewusst, dass dieser Glaube immer eine Zumutung bleiben wird. Die Zumutung, mit mehr zu rechnen als mit all dem, was ich mir vorstellen kann. Der Glaube verlangt von mir, nicht an der Oberfläche des Lebens zu bleiben, sondern offen zu sein, um Höhen und Tiefen auszuloten, offen zu sein für das Heilige im Profanen, das Göttliche im Irdischen, und mit dem zu leben, was man Mysterium, Geheimnis, nennt.
Der Mensch mit seinen vielen Fragen muss Platz haben in der Kirche
Moderne und Glauben bzw. Katholizismus miteinander zu versöhnen – dieser Anspruch enthält eine sehr schlichte Forderung: Nämlich dass der Mensch von heute mit seinem Leben, seinen vielen Fragen und seinem Weltbild einen Platz in der Kirche hat und er dort nicht ein ganz anderer sein muss als in seinem Alltag. Ob eine Kirche diesem Anspruch gerecht wird, das entscheidet sich in jedem Gottesdienst, bei jeder Predigt, jeder Katechese, entscheidet sich täglich neu.
Lachhaft!
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Es ist wirklich zum Lachen
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Der Artikel hat genau die
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Leserkommentar
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@ Sebastian S.
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Aufgeklärter Glaube?
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Leserbrief
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@ Dirk Hemmerich
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Gottes Reden heute
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Gottes schöne Bescherungen
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Besser als Olaf Röttig kann
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@Stephan H.
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Gut die Äußerungen von
Gut die Äußerungen von Bischof Ring. Es ist mir als Gläubiger Gottes schon lange bewußt, dass man die Bibel an vielen Stellen nicht wortwörtlich nehmen kann. Manches darin entspringt evtl. sogar der Fantasie des Verfassers.
Was aber über alles im Neuen Testament steht und wo es keinen noch so kleinen Zweifel gibt ist die Liebe Gottes zu uns Menschen.
Ich glaube auch nicht, dass Jesus für unsere Sünden qualvoll am Kreuz gestorben ist. Trotzdem er von Menschenhand so gefoltert wurde, liebt er und hält zu uns. Gotzt ist mächtig-die Sünden kann Gott auch so vergeben, ohne das sein Sohn gekreuzigt werden musste.
Für unsere Sünden am Kreuz gestorben, andere bomben sich in die Luft um ins Paradies zu kommen.
Ich bin vor Kurzem auf eine christliche Kirche gestoßen, die man in Deutschland als Sekte eingeordnet wird. Es ist die christliche Wissenschaft. Mag sich der Interesse hat, über diese Kirche informieren.
Ich würde mir wünschen, dass es zwischen der Alt-katholischen Kirche und der Christlichen Wissenschaft zu Begegnungen kommt. Ja es gibt natürlich Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten. Die Annerkennung der allumfassenden Liebe Gottes und die Toleranz gegenüber Andesgläubigen in den jeweiligen Kirchen.
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