chrismon: Haben Wissenschaftler einen Einfluss darauf, ob ein Staat die Todesstrafe anwendet?
Dieter Hermann: Ja, besonders die Studie des US-Amerikaners Isaac Ehrlich aus dem Jahr 1975 wurde damals sehr stark wahrgenommen: Er will herausgefunden haben, dass jede Exekution in der Zukunft acht Morde verhindert.
Etwa 60 Staaten vollstrecken die Todesstrafe. Mit welcher Begründung?
Mit ihrer generalpräventiven Wirkung: Eine Strafe ist erlaubt, wenn sie den Menschen zu mehr Glück verhelfen kann. Zum Glück gehört, dass niemand Opfer eines Verbrechens wird. Daher wählt eine Gesellschaft eine Sanktion, deren Kosten-Nutzen-Bilanz für den Einzelnen sicher negativ ausfällt – den Tod. Das ist also ein utilitaristischer Ansatz. Vielen Studien zur Todesstrafe liegt dieses Gesellschafts- und Menschenbild zugrunde.
Mit welchen Folgen?
Die Forschungsergebnisse werden dadurch beeinflusst, welcher Fachrichtung ein Forscher angehört. Isaac Ehrlich etwa ist Ökonom; Ökonomen hatten insbesondere im letzten Jahrhundert das Bild eines Menschen vor Augen, der sich rational verhält, um sein eigenes Glück nicht zu gefährden. Droht ihm die Todesstrafe, bringt er niemanden um, weil das sein Glück zerstört. In der Wirklichkeit widerlegt jeder Lottospieler den Kosten-Nutzen-Ansatz, weil er unvernünftig handelt und fast nie gewinnt.
Kommen andere Fachrichtungen zu anderen Ergebnissen?
Ja. Forscher aus den Bereichen Soziologie, Kriminologie und Rechtswissenschaft verfolgen eher den Ansatz, dass die Handlungen der Menschen abhängig sind von ihrem Werte- und Normverständnis. Ich habe in Studien herausgefunden, dass besonders idealistische und leistungsbezogene Werte einen sehr starken Einfluss auf Kriminalität haben, zum Beispiel Hilfsbereitschaft gegenüber Schwächeren und Ehrgeiz. Solche Werte, die wiederum stark von religiöser Prägung abhängen, verhindern, dass jemand zum Mörder wird. Nicht die angedrohte Todesstrafe.
Was folgern Sie aus Ihrer Analyse?
Wirkt die Todesstrafe abschreckend? Die Antwort hängt stark von der Fachrichtung ab, der ein Forscher angehört. Die Ergebnisse sind also so instabil, dass sie die Todesstrafe nicht legitimieren können.
Todesstrafe abschreckend?
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Religiöse Menschen morden weniger? Wirklich?
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Leserbrief zum Interview über Studien zur Todesstrafe
Ich habe 45 Jahre Erfahrung als ehrenamtlicher Bewährungshelfer und zwei junge Mörder hochgepäppelt. – Es gab früher ein Bändchen von Pastor Hans Brandenburg „Christus auch im Zuchthaus“. Darin beschreibt er, nach Jahrzehnten Tätigkeit als Gefängnispfarrer, daß der Mörder fast immer im Affekt handeIt und in aller Regel zu resozialisieren ist. -
Sehr negativ schneidet der Heiratsschwindler ab. Er habe sich in ein Netz von Lügen verheddert, aus dem er meist nicht mehr herauskomme.
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