Antwort:
Der Schweizer Schriftsteller und Pfarrer Kurt Marti veröffentlichte im Jahr 1980 ein Gedicht, das mit den Worten begann:
"unser vater
der du bist die mutter
die du bist der sohn..."
Warum so kompliziert?, fragte man sich. Was sollen diese revolutionären Umdeutungen der Bibel? Muss Gott denn unbedingt ein Mann sein, der als Frau zugleich ihr eigener Sohn ist?
Das Anliegen des Dichters war allerdings weniger zweifelhaft als sein Gedicht. Denn Anstoß zu diesen Zeilen war die Erkenntnis, dass die fast ausschließlich männlichen Gottesvorstellungen in unserer Kultur nicht der Weisheit letzter Schluss sein können. Dass Gott in Gebeten unweigerlich als "Er" angesprochen, dass unsere Köpfe voll sind mit männlichen Rollenbeschreibungen und Kompetenzen, das forderte ihn heraus. Im Alten und teilweise im Neuen Testament der Bibel erscheint Gott als allmächtiger Vater, Herr der Heerscharen, als König, Richter, Krieger und Hirt, als Herr aller Mächte und Gewalten. Und die volkstümlichen Traditionen setzen noch eins drauf: Sie verpassen Gott einen langen, weißen Bart.
Abgrenzung von den heidnischen Fruchtbarkeitskulte Kanaans
Dass Gott männliche Eigenschaften zugeschrieben werden, lässt sich historisch erklären: Es waren überwiegend Männer, die ihre religiösen Erfahrungen und Geschichten in der Bibel verewigten. Einerseits spiegeln sich darin die männlich dominierten sozialen Verhältnisse ihrer Zeit, andererseits die Bestrebungen der jüdischen Religion, sich gegen die heidnischen Fruchtbarkeitskulte Kanaans, also gegen weibliche Religionen, abzugrenzen.
Eduard Kopp
Den Juden war es immer wichtig, allzu konkrete Vorstellungen von Gott zu unterbinden. Das gilt erst recht für sexuelle Festlegungen. Liest man die Bibel genau, so fällt zum Beispiel auf: Schon ganz am Anfang erscheint Gott zwar als Schöpfer der Sexualität, er selbst ist jedoch weder ein Er noch eine Sie. Unmissverständlich ist auch das biblische Bilderverbot (5. Buch Mose 4, 15 f.): "So hütet euch nun wohl..., dass ihr euch nicht versündigt und euch irgendein Bildnis (von Gott) macht, das gleich sei einem Mann oder einer Frau."
Doch warum wurde dieser Gott mit so vielen konkreten Vorstellungen befrachtet? Es hängt damit zusammen, dass man ohne konkrete Vorstellungen weder über Gott noch mit ihm sprechen, also beten kann. Konkrete Vorstellungen von Gott sind dabei Hilfskonstruktionen, sie können aber nie erschöpfend Auskunft über ihn geben. Der Gott der Bibel ist immer unvollständig und immer anders, als die Menschen erwarten. Das hat auch etwas Gutes: So gewinnen sie die Freiheit, sich auf die Suche nach neuen Gotteserfahrungen zu machen.
Bunte, vielfältige Vorstellungen über Gott sollen sein, solange man sie nicht überinterpretiert. Wie sonst könnte man eine Passage aus dem Buch Hosea verstehen, in der Gott über zwei zerstrittene Völker mitteilt: "Ich bin für Ephraim wie eine Motte und für das Haus Juda wie eine Made" (Hosea 5, 12). Oder kurz darauf: "Ich bin für Ephraim wie ein Löwe und für das Haus Juda wie ein junger Löwe. Ich zerreiße sie und gehe davon; ich schleppe sie weg, und niemand kann sie retten." Dies sind kraftvolle sprachliche Bilder, mehr nicht.
Gott als Frau verstehen
Genau in diesem Sinn darf man Gott als Frau verstehen. Es ist sogar wünschenswert, den weiblichen Zügen Gottes mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Weibliche Assoziationen gibt es auch in der Bibel genügend: Wie eine Bärenmutter wendet sich Gott zornig gegen alle, die ihren Jungen Böses antun wollen (Hosea 13, 8). Oder der auferstandene Jesus Christus wird mit einer stillenden Mutter verglichen. Gott schreit wie eine gebärende Frau (Jesaja 42, 14). Oder Gott ist wie eine Hebamme, die neuem Leben zum Durchbruch verhilft (Psalm 22, 10: "Du hast mich aus meiner Mutter Leib gezogen"). Grundsätzlich gilt jedoch auch hier: Eine rein weibliche Vorstellung von Gott wäre so falsch wie eine männliche.
Manche Theologinnen empfehlen Formulierungen, die geschlechtliche Festlegungen umgehen. Ihr Alternativbegriff "das Göttliche" ist jedoch blass und abstrakt. Auch die Anknüpfung an den hebräischen Begriff ruach (Geist, Atem) ist vergleichsweise abstrakt, wenn er auch grammatikalisch weiblich ist. Gleiches gilt für den Begriff sophia (Weisheit). Beide Gottesbilder sind theologisch legitim. Sympathisch an der "Weisheit" ist zudem, dass sie ein ganzes Kaleidoskop an weiblichen Rollen einschließt: Sie ist Lehrerin, Predigerin, Gastgeberin und Mitschöpferin Gottes.
Eiserne Grundregel für das Sprechen über Gott sollte sein, keine Gleichungen aufzustellen, sondern allenfalls Vergleiche. Eine Definition der Art: " Gott ist..." muss scheitern. Ist Gott eine Frau? Offensichtlich nicht. Aber es spricht vieles dafür, dass er wie eine Frau ist.