Ein Bad für sich, ohne Warteschlange davor – purer Luxus, findet Ralf M.. 15 Jahre lebte er auf der Straße, jetzt lernt er wieder wohnen
03.12.2010

Noch mal auf der Straße leben, ich weiß nicht, ob ich das aushalten würde. Schon die Kälte! Früher war ich Minusgrade gewöhnt, wir tranken Glühwein mit Rum, das hat betäubt. Seit ich meine Wohnung habe, bin ich kälteempfindlicher.
Über 15 Jahre habe ich Platte gemacht, mit ein paar Unterbrechungen. Zuletzt pennte ich auf einer Bank am Klagesmarkt hier in Hannover, immer bis sechs Uhr morgens, dann kam der Tattermann, dann hieß es Nachschub besorgen, in einer Tageseinrichtung für Obdachlose noch ein paar Stunden schlafen, danach Geld schnorren, mit ein paar Leuten trinken. So ging das, bis ich kaum mehr laufen konnte, wegen einer Nervenlähmung.

„Du gehst kaputt!“, sagte die Sozialarbeiterin. Ich kam in die Krankenwohnung, da bekommen Obdachlose Arzttermine, dürfen aber auch nur wenig trinken. Das erste Mal nach langer Zeit schlief ich in einem richtigen Bett. Die ersten Nächte bin ich ­ständig aufgewacht. Komisch, diese weiche Matratze, da bin ich drin versackt. Aber am meisten gefehlt hat mir die frische Luft.

Es wurde wieder schlimm, wie immer, wenn ich unter Leuten bin, die viel saufen.


Bald ging es mir besser. Nur mit den vielen Männern so eng aufeinander, das war noch nie was für mich. Als Jugendlicher bin ich schon aus dem Heim geflüchtet. Immer Rücksicht nehmen, den Streit der anderen mitanhören – schrecklich. Ich habe einfach gerne meine Ruhe. Deshalb war ich heilfroh, als ich meine eigenen vier Wände suchen konnte. Und es hat geklappt! Über die Diakonie kam ich an Möbel, mit den Zivis und einem Kumpel haben wir den Umzug gemacht.

Kaum waren die weg, habe ich mich allein gefühlt. Die ersten Tage wollte ich nur raus, gleich früh bin ich los in die Stadt. Es wurde wieder schlimm, wie immer, wenn ich unter Leuten bin, die viel saufen. Aber ich habe mich gefangen, ich hab zu Hause einen Entzug gemacht mit Medikamenten vom Arzt – wie gut, dass ich da niemand sehen musste.

Es war gar nicht so einfach, den Haushalt zu führen, ich musste mir vieles wieder aneignen. Und es dauerte, bis ich mir Eimer und Wischer besorgt hatte, es durften ja nur die billigsten Sachen sein. Inzwischen putze ich immer mal; steril ist es nicht, aber für mich sauber genug. Essen organisieren klappt besser. Die erste Zeit aber stand ich im Laden und wusste nicht, was sollst du jetzt kaufen? Zu planen, was ich die nächsten Tage brauche, wie viel Milch, wie viel Brot, das kannte ich nicht mehr. Früher habe ich ja nur von Alkohol und Zigaretten gelebt, da isst du mal eine Bratwurst, wenn überhaupt. Inzwischen hat sich das eingespielt.
Vor dem Frühstück hole ich mir jetzt sogar ab und an eine Zeitung, das geht, weil ich jetzt nicht mehr alles Geld für Wein ausgebe. Das Weltgeschehen interessiert mich wieder, früher mit ständig zwei Promille war mir ja sogar Fußball gleichgültig. Auch ein Bad für sich zu haben, ist Luxus. Nicht mehr dieses Warten in der Tageseinrichtung, bis 20 Leute vor mir mit dem Duschen fertig sind.

Nachmittags gehe ich raus, wenn mir danach ist. Ich muss nicht unbedingt Leute treffen. Seit ich in meiner Bude bin, bin ich gelassener geworden, ich trinke nur noch ein Mal die Woche. Neulich hatte ich zwar einen Rückfall, aber ich gebe mich nicht mehr so auf, ich war schnell wieder in der Spur. Einmal in der Woche rede ich auch mit meinem Betreuer bei der Diakonie. Besuch habe ich selten. Wenn, sind es ausgesuchte Leute. Nicht dass wieder die Falschen kommen und Party machen. Meine letzte Wohnung wurde deshalb gekündigt, das will ich nicht mehr riskieren.

Heute kenne ich keinen Obdachlosen mehr, die Szene ver­ändert sich so schnell. Außer mir ist von den acht Leuten, mit denen ich anfangs auf der Straße zusammen war, keiner mehr da, viele sind gestorben. Ich lebe in dem Gefühl, Glück gehabt zu haben. Vielleicht kriege ich ja auch bald wieder Arbeit – wenn nur die Gesundheit mitmacht, zumindest für ein paar Stunden. Gärtner habe ich gelernt, gerne würde ich Parkpflege machen, Wege säubern, Beete rechen, irgendwas im Grünen, an der ­frischen Luft.

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