Markenprodukte sind begehrt. Müssen auch Menschen Marken sein?
Ein Firmenchef und eine Schauspielerin über Individualität und Karriere

chrismon: Herr Kunisch, Sie sind Deutschlands anerkannter Markenexperte und Sie repräsentieren als Vorstandschef von Beiersdorf zum Beispiel die Marke Nivea. Ist Ihrer Meinung nach Bella Block auch eine Marke?

Rolf Kunisch: Ja, natürlich. Bella Block ist eine Marke, weil man sie sofort identifizieren kann. Eine Marke ist wie eine Person. Eine Marke hat einen genetischen Code, ja, eine Seele. Ich kann sie erkennen, ich kann sie auseinander halten und habe sie nicht nur im Blick, sondern auch im Herzen.

Hannelore Hoger: Oh, das klingt aber kompliziert. Was meinen Sie denn konkret?

Kunisch: Also, wenn ich Sie, Frau Hoger, nachts um 2 Uhr aufwecke und ich sage „Nivea“, und Sie sagen nichts, dann ist die Marke nicht präsent. Sagen Sie „blauweiß“ oder „cremig“ oder „Hat Mutter auf die Hände geschmiert“, dann habe ich eine Marke. Ähnlich ist es auch bei der Personenmarke Bella Block.

Hoger: Ach was, ein Produkt hat doch keine Seele! Die haben nur Menschen. Allerdings wird ein Produkt von Menschen gemacht, die eine Seele haben. Meistens haben sie etwas von sich in ihr Produkt hineingegeben, ihre Vorstellungen, ihre Geschmäcker. Aber ist das gleich eine Seele?

Kunisch: Na ja, natürlich nicht wirklich eine Seele. Aber ein gutes Markenprodukt weckt Emotionen. Es ist mehr als seine technische Substanz. Da schwingt etwas mit, eine Erinnerung an früher, an die Kindheit. So etwas braucht eine große Marke.

Hoger: Ehrlich, mir ist egal, ob ich eine Imitation trage oder etwas Originales. Hier, meine Jacke, die ist zum Beispiel selbst genäht. Entweder gefällt mir etwas oder nicht. Ich gucke nicht nach Marken. Ich glaube, ich bin markenresistent.

Kunisch: Mit Verlaub, das glaube ich nicht ganz. Sie übertreiben, weil Sie nicht so genau reflektieren, denn Sie haben ja durchaus eine Vorstellung von Marken, zum Beispiel von Nivea, also eine Markenvorstellung. Ob Sie die Produkte danach kaufen oder nicht, ist wieder eine ganz andere Frage. Bei mir war es anders: Ich wollte als junger Mensch immer einen Mercedes haben. Solange ich keinen besaß, war das mein Traum.

Was ist für den Kunden das Wichtigste an einer bewährten Marke?

Kunisch: Die funktionale Verlässlichkeit ist das Hauptmerkmal einer Marke. Wenn Sie darin einmal von einer Marke enttäuscht worden sind, kaufen Sie die nie wieder. Ich habe früher Höschenwindeln verkauft. Wenn einer von diesen Klebestreifen nicht klebte, dann Gnade Ihnen Gott!

Gilt das für alle Marken?

Kunisch: Nicht ganz. Bei Parfüm oder bei Zigaretten ist der Imagewert ungleich höher als bei funktionalen Artikeln wie Höschenwindeln oder Staubsaugertüten. Ich habe früher geraucht, und zwar Ernte 23. Ehrlich gesagt konnte ich die geschmacklich nicht von anderen Zigarettenmarken unterscheiden. Ich fand die Marke einfach nur toll.

Auch Bella Block finden viele Menschen immer wieder interessant, obwohl die Qualität des Drehbuchs zwischen den einzelnen Folgen durchaus variiert.

Hoger: Ich glaube, viele Menschen mögen, dass ich aussehe wie du und ich. Ich wirke authentisch, echt. Außerdem habe ich ein bisschen Humor. Und dann hat Bella Block noch so einen Freund. Irgendwie haben sich die Merkmale eingeprägt.

Ist das Markenversprechen nicht ein starker Druck, sowohl für eine Schauspielerin als auch für einen Markenproduzenten, immer verlässlich zu sein?

Hoger: Natürlich verspüre ich einen gewissen Druck, ich habe eine Verpflichtung gegenüber dem Publikum. Es gelingt mal weniger und mal mehr, diese einzuhalten. Wir sind menschliche Wesen, die können nicht immer Spitze sein.

Kunisch: Druck und Pflichtgefühl sind das, was uns am Laufen hält. Ich werde nicht besser, wenn ich glaube, ich wäre der Größte. Ich werde besser, wenn ich meine, ich müsste etwas verändern. Das gilt für einen selbst als Persönlichkeit genauso wie für ein Produkt. Wir reden viel von Werten, wie schön die Welt wäre, wenn alle christlich seien. Aber so läuft das nicht. Die Amis sagen: no pain, no gain („ohne Schmerz, keine Belohnung“). Wir ändern uns nur, wenn wir öfter mal merken: Das war nicht so toll.

Rolf Kunisch: „Wir ändern uns nur, wenn wir merken: Das war nicht so toll“

In manchen Ratgeber-Büchern für Beruf und Karriere wird empfohlen, dass auch Menschen sich selbst als Marken inszenieren sollten.

Kunisch: Es gibt viele Menschen, die spielen Rollen, ohne das selbst zu wissen. Die sind nicht sie selbst. Leute, die im täglichen Leben immer schauspielern, ecken irgendwo an und kommen nicht weit.

Hoger: Bei einer Marke muss ich die Gewissheit haben, dass ich mich darauf verlassen kann. Daher kann es ein Merkmal meiner Arbeit sein, dass sie Qualität hat. Als Schauspieler mache ich ja etwas für andere. Ich will die Menschen möglichst nicht betrügen, sondern mit meinem Stück ein gutes Produkt präsentieren. Im echten Schauspielerleben brauchen Sie übrigens einen
klaren Wiedererkennungswert. Maria Callas, die berühmte Sängerin, hat gesagt: Jeder Künstler sollte sich einen Rahmen geben.

Hannelore Hoger: „Ich will die Menschen möglichst nicht betrügen“

Kunisch: Wir nennen das ein Logo. Logos können musikalisch sein, visuell oder farblich. Manchmal ist es künstlich, dann wirkt es nicht mehr gut.

Auffallen um jeden Preis – ein Motto für Jobsucher und Existenzgründer?

Hoger: Wissen Sie, ein persönliches Ich ist zu kompliziert für ein Logo. Ein Wiedererkennungswert jedoch ist vorteilhaft.

Kunisch: Für eine Marke ist ein Logo unabdingbar, sie braucht ein Kennzeichen. Ob das auch etwa für Existenzgründer gilt, ist nicht ganz so einfach zu beantworten. Früher gab es ein Zeichen, das Kreuz, als Logo für die in unserem Kulturkreis anerkannt beste Marke. Heute gibt es viel mehr Marken, weil wir immer individueller geworden sind. Früher hat sich die Mehrheit mit dem Kreuz identifiziert und das Ego daraus definiert. Das ist heute nicht mehr so.

Offensichtlich haben die Menschen bei der Kirche nicht die Sicherheit, die sie beim Kauf von Nivea oder beim Einschalten von Bella Block haben. Was sind denn Ihre Tipps für das Produkt mit dem Logo Kreuz?

Kunisch: Das Produkt ist unerreicht, denn Jesus Christus ist das höchste Gut. Die Probleme liegen ein bisschen an der Verpackung. Die Kirche verzettelt sich auf zu vielen Nebenkriegsschauplätzen. Das wäre so, wie wenn Nivea in die Schuhcreme ginge. Wenn sie sich nur noch um Minderheiten kümmert,
verliert die Kirche ihren Markenkern. Der ist nach meinem Verständnis, Menschen in schwierigen Situationen Beistand und Richtung zu geben.

Wobei Minderheiten oft in schwierige Situationen geraten . . .

Kunisch: Ja, natürlich, aber die Mehrheiten auch. Ich meine nicht, dass sich die Kirche nicht für Minderheiten einsetzen sollte, aber man kann übertreiben. Ich fühle mich verschaukelt, wenn ich in der Kirche mit „reicher Kapitalist“ tituliert werde.

Hoger: Die Kirche ist eine öffentliche Institution. Wenn sie das ist, wofür ich sie schätze, nämlich eine Trost spendende Instanz zu sein, halte ich sie für wichtig. Trösten heißt, sich für die Mitmenschen zu interessieren, ein bisschen selbstloser zu leben. Mitgefühl und Mitleid sind Dinge, die heutzutage immer mehr in den Hintergrund treten. Die so genannte Ich-AG ist auf dem Vormarsch, und unsere Gesellschaft ist egoistisch geworden.

Kunisch: Wirklich? Ich glaube das nicht. Im Gegenteil: Es geht uns zu gut! Das Gemeinschaftsgefühl in den neuen Bundesländern, das jetzt vermisst wird, war auch aus dem Mangel geboren. Wenn es allen Leuten nicht gut geht, halten sie zusammen.

Wenn die Menschen sparen müssen, verzichten sie auf Marken. Haben in schlechten Zeiten Markenprodukte keine Zukunft?

Kunisch: Nein, es trennt sich nur die Spreu vom Weizen. Der Trend zu großen globalen Marken bleibt ungebrochen, weil die menschliche Fähigkeit, sich mit 2000 Marken zu beschäftigen, nicht da ist. Die Menschen brauchen aber Qualität. Das Bedürfnis nach Marken bleibt – und auch die Konkurrenz untereinander. Diejenigen, die diesen Wettbewerb mögen, sind ja auch diejenigen, die die Gesellschaft vorwärts bringen.

Hoger: So einfach ist die Sache nicht. Ich habe eine Begabung als Schauspielerin, aber ich kann nichts dafür. Es gibt viele Menschen, die Großes geleistet haben und die keine Anerkennung bekommen. Ich bin nicht ganz Ihrer Meinung, dass jeder die Gelegenheit dazu bekommt, seine angeborenen Möglichkeiten zu nutzen. Wenn Sie immer wieder scheitern, obwohl Sie wissen, dass Sie begabt sind, halten Sie das manchmal nicht durch. Es stimmt leider nicht, dass wirkliche Begabung sich durchsetzt. Man braucht Glück. Es ist entscheidend, an welche Menschen Sie geraten und welche Möglichkeiten Sie haben, welche Ressourcen Ihnen zur Verfügung stehen und ob Sie Rückschläge aushalten oder nicht.

Was können Menschen tun, die es nicht geschafft haben?

Hoger: Herrje, ich weiß auch nicht für alles Rat. Ich habe Verwandte, die leiden zuweilen Not. Die kann ich ein wenig lindern. Aber ich kann nicht ein ganzes Leben auffangen oder es für andere leben. Wir, die so genannten Erfolgreichen, können nur versuchen, ein bisschen bescheidener zu sein, damit die anderen nicht das Gefühl haben, sie wären nichts wert. Erfolg bedeutet nicht automatisch, dass man wertvoll ist. Gerade das ist in unserer Gesellschaft ein bisschen schwierig: Wir werden beurteilt nach dem, was wir darstellen.

Kunisch: Wenn einer anfängt, etwas anderes sein zu wollen, als er ist, dann wird das nichts. Die erste Frage an jeden muss lauten: Habe ich eine Stärke? Worin liegt die? Wenn das geklärt ist, kann ich darauf aufbauen. Echte Marken kann man nicht umpositionieren. Eine Marke hat ein inneres Bild, das kann man bestenfalls korrigieren. Es ist ähnlich wie bei der Kindererziehung. Ich kann meine Tochter, deren politische Meinung ich nicht teile, nicht ändern. Die ist so, wie sie ist. Das ist mit Menschen so und mit Marken. Wer sich als eine Marke stilisiert, die er nicht ist, spielt eine Rolle. Vor allem darf man sich selbst als Marke nicht alle drei Monate verändern.

Hoger: Ob man das nun Marke nennt oder nicht, für mich ist das ein Sprachspiel. Man muss sich zunächst einmal annehmen, wie man ist. Marke oder das eigene Ich – es bedeutet letztlich: „Erkenne dich selbst und mach was draus!“ Dagegen habe ich nichts. Eines würde ich jedem raten: Nicht gleich aufgeben bei einem Fehlschlag. In jeder Karriere gibt es eine andere Seite.

Kunisch: Genau! Wie ich mit Rückschlägen umgehe, ist die entscheidende Frage. Das ist einem beruflich Gescheiterten jedoch nur schwer zu erklären.

Hoger: Menschen am beruflichen Scheideweg sollten sich auf sich selbst besinnen. In meinem Beruf als Schauspielerin muss ich auch etwas von mir entäußern. Ich möchte den Menschen etwas schenken. Das gelingt mir über meine Person. Ich möchte etwas sichtbar machen und die Menschen zum Nachdenken bringen oder zum gegenseitigen Verständnis. Wenn ich also ein Produkt verkaufen müsste, würde ich von mir ausgehen und etwas produzieren, was mir selber gefällt.

Kunisch: Ich sollte in meiner Jugend mal Panzerbauer werden, ich habe es abgelehnt. Ich wollte nie in die Zigarettenindustrie gehen, obwohl ich geraucht habe. Ich habe sehr gerne Babywindeln verkauft, und jetzt verkaufe ich gern Nivea. Ich denke, wenn man etwas anbieten will, muss man es auch mögen.

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