chrismon: Hatten Sie je Angst um Ihren Arbeitsplatz?
Ulrich Schumacher: Gott sei Dank, nein. Aber natürlich hat man in meiner Funktion als Personalvorstand häufig mit Menschen zu tun, die genau dieses Gefühl haben.
Nikolaus Schneider: Mir geht's wie Herrn Schumacher. Ich bin zu Zeiten Pfarrer geworden, als ich mir unter 15 Stellen eine aussuchen konnte. Als Personaldezernent habe ich später bedrückende Situationen erlebt, weil unsere Kirche nicht alle Anwärter für den Pfarrdienst übernehmen konnte.
chrismon: In Deutschland grassiert die Angst vor einem Jobkahlschlag. Jeder sorgt sich, er könnte das nächste Opfer sein das Lebensgefühl des 21. Jahrhunderts?
Schumacher: Dieses Zeitalter ist stark von Veränderungen geprägt. Ganze Branchen verschwinden, andere formieren sich erst. Stellen fallen weg, es entstehen aber auch neue. Die Frage ist: Wie kriegen wir Menschen von einer Funktion in die andere?
Schneider: Das Stichwort Kahlschlag steht für einen hemdsärmeligen bis brutalen Umgang, den gibt's auch! Der Handyhersteller BenQ ist für mich ein Beispiel. Wie dort mit Mitarbeitern umgegangen wird, ist jenseits dessen, was man ethisch rechtfertigen kann. Wenn ein Unternehmen nur noch das Ziel verfolgt, die Aktionäre zu bedienen, gibt es solche Verwerfungen. Das ist eine gefährliche Entwicklung, auch für den Frieden in unserem Land.
chrismon: Sagen Sie das auch an die Adresse der Allianz?
Schneider: Die Allianz reduziert Verwaltungsstandorte. Aber wie weit werden Menschen dabei mitgenommen? Die Allianz macht ja einen Riesengewinn. Die Mitarbeiter müssen für eine Firma mehr sein als Kostenstellen mit Ohren.
Schumacher: Ich möchte erklären, warum wir unsere Strukturen verändern. Wir wollen uns für die Zukunft fit machen, und da heißt unser Stichwort Kundenorientierung. Wir kommen aus einer Welt mit regional aufgestellten Versicherungsunternehmen mit vielen Doppelstrukturen. Ein Beispiel: Ich bin gerade umgezogen und musste meine Versicherungen ummelden. Ich musste sechs verschiedene Stellen im Haus anschreiben. In Zukunft soll der Kunde einen Ansprechpartner haben, egal ob es sich um eine Lebens-, eine Kranken- oder eine Sachversicherung handelt.
Schneider: Es ist eine Milchmädchenrechnung zu meinen, man käme mit einem Ansprechpartner aus, wo es bisher mehrere gab. Man kennt das. Auch die Banken verlagern immer mehr Aufgaben auf ihre Kunden. Der zweite Einwand: Man darf Kunden und Mitarbeiter nicht gegeneinander ausspielen, indem man sagt: Weil wir uns kundenfreundlicher aufstellen, können wir euch alle nicht mehr gebrauchen.
Schumacher: Das ist auch nicht so gemeint. Unser Ziel ist nicht, dass wir etwas schließen, sondern dass wir wachsen und damit den Mitarbeitern langfristig eine Perspektive bieten. Für die betroffenen Mitarbeiter gibt es verschiedene Optionen. In unserem Außendienst etwa werden jedes Jahr bis zu 1500 Mitarbeiter neu eingestellt. Mitarbeiter, die im Innendienst tätig waren, unterstützen wir bei ihrer Umschulung in kundennahe Tätigkeiten.
chrismon: Ihre Ankündigung, 5700 Arbeitsplätze in Deutschland abzubauen, wurde wie ein Paukenschlag aufgenommen. Wie haben Sie sich auf diesen Tag vorbereitet?
Schumacher: Das Schwierigste war, zu kommunizieren: Da verändert sich etwas, und zwar nachhaltig. Das ist für unser Unternehmen ein gewaltiger Einschnitt. Die Allianz macht so etwas zum ersten Mal. Anders als manch andere große Unternehmen, wo so etwas Routine ist.
chrismon: Erklärt das die heftige öffentliche Reaktion?
Schumacher: Das lag zum Teil auch daran, dass die Allianz für Beständigkeit steht.
Schneider: Eine Allianz fürs Leben... Viele Mitarbeiter haben vom Stellenabbau auf dem Weg zur Arbeit aus dem Rundfunk erfahren. Das Entscheidende ist: Werde ich als Mitarbeiter in der Weise wertgeschätzt, dass erst mal mit mir gesprochen wird, bevor so eine Meldung an die Öffentlichkeit geht?
Schumacher: Wir waren mit den Arbeitnehmervertretern im Verlauf des gesamten Prozesses seit September 2005 im Gespräch. Aber Sie kommen an einen Punkt, wo Standortentscheidungen anstehen...
Schneider: ...und da waren sie nicht einbezogen?
Schumacher: Es gibt immer zuerst eine Phase der Meinungsbildung auf Arbeitgeberseite und dann die Phase der Beratung mit den Arbeitnehmervertretern, erst dann wird entschieden.
Schneider: Die Kritik bleibt, dass die Mitarbeiter auf dem Weg zur Arbeit erfahren haben, dass ihr Arbeitsplatz in Frage steht.
Schumacher: Das ist sehr unglücklich gelaufen. Wir hatten am späten Vorabend die Arbeitnehmergremien vorab informiert, wie es sich in der Mitbestimmung gehört. Bevor wir am nächsten Morgen mit unseren Mitarbeitern sprechen konnten, waren die Medien schon informiert.
Schneider: Ein Standort liegt mir besonders am Herzen: Köln. Die Kölner Zweigniederlassung der Allianz ist vor anderthalb Jahren als erfolgreichster Standort ausgezeichnet worden und nun wird er um zwei Drittel heruntergefahren. So entsteht der Eindruck: Kannst dich anstrengen, wie du willst, bist doch nur eine Figur auf einem Schachbrett, wirst irgendwo hingeschoben.
Schumacher: Ich kann diese Wahrnehmung verstehen. Die Mitarbeiter in Köln hatten den Speerwerfer gewonnen, ein hoch geschätztes Zeichen, das besagt: Wir als Team waren erfolgreich. Nur, was wir als Firmenleitung jetzt tun, ist kein Ausdruck mangelnder Wertschätzung für das, was geleistet worden ist. Es geht einzig und allein darum, unsere Sparten nach den sich ändernden Bedürfnissen unserer Kunden neu zu organisieren.
Schneider: Wertschätzung der Menschen das hätte bedeutet, hinzufahren und den Mitarbeitern zu sagen: Ihr seid wirklich gut. Und: Wir müssen umorganisieren, und wir nehmen euch dabei mit. á
Schumacher: Die Botschaft lautet: Es ist gut gearbeitet worden, aber wir müssen uns anders organisieren.
Schneider: Die ist bei den Mitarbeitern nicht angekommen.
Schumacher: In der Tat. An diesem Morgen war ein Dialog nicht mehr möglich.
chrismon: Kürzlich haben in Köln 150 Mitarbeiter ihre Jubiläumsnadeln zurückgegeben.
Schumacher: Das macht mich betroffen, ich habe die Nadeln hier in meinem Büro. Jeder Einzelne sendet mit dieser Rückgabe eine Botschaft. Denn die Nadel ist das Zeichen der Verbundenheit mit dem Unternehmen. Da wird etwas im Innersten der Mitarbeiter berührt. Und das kann ich sehr wohl verstehen.
Schneider: Das ist Ausdruck für das, was die Mitarbeiter kränkt: nicht informiert, nicht wertgeschätzt, verletzt. Es besagt: Wir trennen uns innerlich, weil das Unternehmen mit uns in einer Weise umgegangen ist, die wir nicht akzeptieren.
Schumacher: Da kommen Äußerungen wie: "Ich weiß nicht wohin." Das treibt mich sehr stark um. Wie kann man in einer Situation, wo eine Betriebseinheit geschlossen wird und Arbeitsplätze wegfallen, die Menschen auffangen? Was würden Sie raten?
Schneider: Wir als Kirche sind auch in der Situation, dass wir Einrichtungen zusammenlegen und schließen müssen. Man muss die Prozesse klar strukturieren. Die Kirchenleitung hat eine Planung vorgelegt, die wir an alle Einrichtungen weitergegeben haben. Dann gab es eine Anhörung der betroffenen Mitarbeiter. Danach wurden die Pläne überarbeitet und zugänglich gemacht. Zugleich haben wir Ansprechpartner benannt, die sich um jeden Einzelnen gekümmert haben. Wir haben Frieden in der Kirche.
chrismon: Stimmt das wirklich? Es gibt doch auch kirchliche Mitarbeiter, die gegen die Schließung ihrer Einrichtung protestieren.
Schneider: Das heißt ja nicht, dass es nicht in Einzelfällen auch Auseinandersetzungen gibt. Aber Massenproteste, wie wir sie in der Wirtschaft erleben, gab es nicht.
chrismon: Bei Personalabbau stellen Großunternehmen üblicherweise einen Sozialplan auf. Kann man mehr erwarten?
Schneider: Ja. Denn es geht um die ganze Region. Ich war Pfarrer in Duisburg-Rheinhausen. Krupp. 11 000 Beschäftigte waren es, als ich dort 1976 anfing. Heute: null. Damals gab Krupp das Versprechen, neu zu investieren. Es wurde nicht eingelöst. Herr Schumacher, hat ein Unternehmen wie die Allianz nicht die Pflicht, genau hinzuschauen in die Region?
Schumacher: Aber da schauen wir hin. In unserem deutschen Versicherungsgeschäft haben wir etwa 30 000 Mitarbeiter. Von denen arbeitet ein Drittel in ländlichen Gebieten. Über 2000 sind auch zukünftig in Nordrhein-Westfalen vertreten. Auch sind wir keineswegs nur in wirtschaftlich starken Regionen vertreten, sondern haben zum Beispiel bewusst einen Spezialstandort nach Leipzig verlegt.
chrismon: Unternehmen, die Stellen abbauen, werden an der Börse belohnt. Wie bewerten Sie das?
Schumacher: Wir leben nicht im luftleeren Raum. Eine vernünftige Kapitalrendite ist für uns wichtig. Wir wollen denen, die Geld bei uns investieren, eine Perspektive bieten. Sie dürfen zudem nicht vergessen: 13 Prozent der Allianz-Aktien befinden sich in den Händen der Mitarbeiter, viele Kleinanleger bauen sich mit Aktien ihre Altersversorgung auf. Was wir überhaupt nicht wollen, ist, dass eine "Heuschrecke" kommt und sagt: Das Unternehmen kaufen und filetieren wir jetzt.
Schneider: Für mich ist es ein bedrückendes Signal, dass mit der Ankündigung von Entlassungen Aktiensprünge verbunden sind. Da stimmt etwas nicht in der globalisierten Wirtschaft. Die rechtlichen Rahmenbedingungen von Handel und Finanzwirtschaft sind so gestaltet, dass es Privilegierte gibt, die sehr davon profitieren, und eine große Masse, die sehr darunter leidet.
Schumacher: Das sehe ich in der Absolutheit nicht so. Es gibt eine große Zahl von Menschen, die davon profitiert.
Schneider: Aber die Nutznießer sind viel weniger als die, die leiden. Alle Gruppen in einer Gesellschaft auch die Unternehmen haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es verbindlichere Bedingungen des Wirtschaftens gibt. Die USA und Europa können dieses System beeinflussen. Die Allianz ist auch in Amerika engagiert, da haben Sie doch Einflussmöglichkeiten.
Schumacher: Von dem neuen Betriebsmodell der Allianz werden alle profitieren, Kunden ebenso wie die Mitarbeiter und unsere Eigentümer. Wenn wir uns rechtzeitig auf veränderte Kundenbedürfnisse einstellen, können wir mitgestalten. Diese Kundenorientierung ist für mich eine verbindliche Bedingung des Wirtschaftens. Erst diese ganzheitliche Sicht wird langfristig von den Börsen belohnt. Und: Wir entlassen dafür keine Menschen, wir bauen Stellen ab. Das ist für uns ein wichtiger Unterschied.
Schneider: Aber in der Region fehlen dann die Stellen.
Schumacher: Das ist ein Grundproblem in Deutschland. Darauf gibt es keine einfachen Antworten. Auch meine 16-jährige Tochter fragt mich: Was habe ich für eine Perspektive, wenn so viele Firmen Personal abbauen?
chrismon: Was antworten Sie ihr?
Schumacher: Dass es ganz wichtig ist, Mobilität und Flexibilität an den Tag zu legen, nicht darauf zu warten, dass hier an Ort und Stelle etwas passiert.
Schneider: Man muss mitgehen mit den Veränderungen, das stimmt. Aber auch die Arbeitgeber sind gefordert. Sie müssen um Zustimmung für Veränderungen werben, Menschen mitnehmen. Um Veränderungen kommen wir auch in der Kirche nicht herum. Da halt ich es mit dem Dichter Erich Fried: Wer will, dass alles so bleibt, wie es ist, will nicht, dass es bleibt.
Schumacher: Das ist der Punkt. Es kommt auf die Bereitschaft zur Veränderung an. Besonders heikel ist das an Standorten, die geschlossen werden. Da können Sie auch sagen: Wir wollen dich mitnehmen. Aber dann kommt die Frage: Wo sind denn die Optionen? Und schon geht es um die Bereitschaft, umzuziehen oder sich mit einer anderen Tätigkeit anzufreunden.
Schneider: Wir dürfen Menschen aber nicht zu Arbeitsnomaden machen, die nur noch ihrem Arbeitsplatz hinterherziehen. Wir reden von Familienfreundlichkeit und davon, dass wir zu wenig Kinder haben. Deswegen sollten Unternehmen ihre Standorte möglichst erhalten.
chrismon: Wie viel Entscheidungsfreiheit bleibt einem Allianz-Vorstand im Strukturwandel, wenn er den Börsenkurs im Blick hat?
Schumacher: Schwierig. Die Freiheiten liegen darin, dass Sie die Gestaltungsräume nutzen und betroffenen Mitarbeitern verschiedene Möglichkeiten eröffnen: Altersteilzeit, Wechsel in Tochterunternehmen, Wechsel in den Vertrieb. Wir haben für diesen Wandel, Gott sei Dank, Zeit bis 2008.
chrismon: Ob Sie Erfolg haben, drückt sich auch in Ihrem Gehalt aus. Woran wird Erfolg gemessen?
Schumacher: Das Einkommen der Allianz-Manager hängt von mehreren Faktoren ab: wie erfolgreich wir am Markt sind, ob wir wachsen, wie zufrieden unsere Kunden und auch unsere Mitarbeiter mit uns sind. Das wird über Kennzahlen gemessen.
Schneider: Die Sozialkompetenz von Managern sollte auch eine Kennziffer für das Gehalt sein, finde ich.
Schumacher: Einverstanden. Wenn wir uns nur am Kapitalmarkt orientieren würden, wäre das für die Allianz der Todesstoß. Hier im Hause gelten "leadership values", grundlegende Werte, die wir fördern. Die Mitarbeiter beurteilen die Manager, und ihr Urteil spielt bei der Vergütung der Manager eine Rolle. Wir sind uns auch darüber im Klaren, dass wir die Auswirkungen unseres Handelns auf die Gesellschaft im Auge haben müssen. Wir diskutieren bereits darüber, ob und wie sich soziale Verantwortung in Managergehältern niederschlagen sollte.
Schneider: Diese Ausweitung wäre mir sehr wichtig. Was mich umtreibt, ist die Ökonomisierung unseres Denkens, die immer weitere Bereiche erfasst. Das allein kann es nicht sein. Die Orientierung an den Bedürfnissen aller Menschen muss wieder stärker in den Blick kommen. Kein Mensch ist überflüssig.