Der ideale Umgestalter
Wie man Messias wird, hängt davon ab, ob man einen jüdischen König oder einen amerikanischen Präsidenten meint
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
07.10.2010

"Messias gesucht. Für die Position eines/r Königs/Königin suchen wir eine kommunikationsstarke Persönlichkeit mit Führungskompetenz und Überzeugungskraft. Er/sie sollte in der Lage sein, Menschen für ihre/seine Visionen zu begeistern und Konflikte zu schlichten. Gefordert wird übermenschlicher Einsatz zum Aufbau einer neuen Gesellschaft. Wunder und Überstunden im göttlichen Auftrag werden nicht extra vergütet."

Wie wird man eigentlich Messias?

Heutzutage manchmal schon dadurch, dass man in Zeitungskommentaren dazu hochgeschrieben wird, wie es dem neuen amerikanischen Präsidenten Barack Obama geschah. Obama müsse zeigen: "Kann ein Messias auch regieren?" ("Die Zeit"). Journalisten machen "geradezu messianische Hoffnungen" aus, erkennbar daran, dass ein Amerikaner "Kandidat der ganzen Welt" geworden sei ("Die Zeit"). Da weht über dem Wahlergebnis auch schnell mal ein "Hauch von Erlösung" ("FAS").

Die Juden warten noch auf ihn

Ein Messias im religiösen Sinn ist etwas anderes als ein Mensch, der mit seinem Charisma Menschenmengen begeistert. Einen Messias zeichnet zunächst einmal eine zugleich religiöse und politische Vision aus, die er im Auftrag und mit Unterstützung Gottes verwirklicht. Messias, wörtlich übersetzt: Gesalbter, ist historisch gesehen meist ein König. Die Salbung bei seiner Inthronisation verleiht ihm geradezu göttliche Autorität, er gilt damit als sakrosankt, also allem politischen Streit und allen Anfeindungen entzogen. Gerade das wird man Obama und der amerikanischen Demokratie nicht wünschen.

Besonders wichtig ist die Fähigkeit eines Messias, die Gesellschaft zu versöhnen. Im Blick auf den Rassismus könnte Obama dies gelingen. Symbolisch hat es sich mit seiner Wahl bereits angekündigt, die politische Realität muss dem nun folgen, zum Beispiel durch bessere Berufs-und Bildungschancen für die Farbigen.

Die Versöhnung der Gesellschaft ist in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht eine Riesenaufgabe. Ein Messias aber weckt die Hoffnung, die bestehende Ordnung zu überwinden und an ihrer Stelle eine Ordnung allumfassender Gerechtigkeit und des Glücks zu errichten. Er besiegt die dunklen Mächte und Gewalten, die sich diesen Veränderungen entgegenstellen.

Der Messias, wie ihn die Bibel kennt, ist ein Nachkomme des großen Königs David, von dem auch Jesus von Nazareth abstammen soll. Auch als das davidische Königtum von der politischen Bühne verschwunden war, erlosch die Hoffnung auf einen solchen Gesalbten nicht, sie war jetzt aber nicht mehr beschränkt auf Mitglieder dieses Königshauses. Juden hoffen weiter auf einen Messias. "Die jüdische Messiaserwartung ist die eines irdischen Herrschers geblieben, der die konkrete Welt ideal umgestalten wird, dessen Kommen aber noch aussteht", vermerkt das "Wörterbuch des Christentums".

Jesus trat als Rabbi auf, nicht als König

Und im Christentum? Im Neuen Testament wurde die Bezeichnung zu einer Bekenntnisformel: Kein zukünftiger König, sondern ein Bußprediger, aller Königsmacht abhold, erhielt diesen Titel. Allerdings stritten sich Generationen von Bibelwissenschaftlern darüber, ob Jesus für sich selbst in Anspruch nahm, Messias, oder was als Hoheitstitel dasselbe bedeutet "Menschensohn" zu sein.

Heute ist es weitgehend unstrittig: Von einem Messias Jesus ist erst seit der Auferstehung die Rede, er selbst ließ sich so nicht nennen. Bereits vor sechzig Jahren brachte es der Theologe Rudolf Bultmann so auf den Punkt: "Jesus ist nicht als König aufgetreten, sondern als Prophet und Rabbi. Nichts von der Macht und Herrlichkeit, die nach jüdischer Vorstellung den Messias charakterisiert, ist im Leben Jesu verwirklicht."

Zum christlichen Glauben gehört im Kern die Passion Jesu. Jesus hat, anders als ein herkömmlicher Messias, nicht nur sein Augenmerk auf die Schwächsten der Gesellschaft gerichtet - er teilte ihr Leben. Er überwand die gesellschaftlichen Gräben, indem er bei den Geächteten und den Kranken lebte. Dafür hat der neue Messias im Weißen Haus, trotz seines Programms der nationalen Aussöhnung, weder Zeit noch Gelegenheit. Und dass er im direkten Auftrag Gottes handele, wird er sicherlich auch nicht denken.

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